Menschen vor dem Flughafen in Kabul
AP
Afghanistan

Warnung vor Anschlag am Flughafen Kabul

Wenige Tage vor dem voraussichtlichen Ende der internationalen Rettungsmissionen in Kabul haben mehrere beteiligte Staaten erhöhte Terrorgefahr um den Flughafen gemeldet. Großbritannien, die USA und Australien riefen ihre Staatsbürger zuletzt dazu auf, das Gebiet zu meiden. In diesem herrscht nach wie vor hoher Andrang.

„Aufgrund der Sicherheitsbedrohungen vor den Toren des Flughafens Kabul raten wir US-Bürgern, derzeit nicht zum Flughafen zu reisen und die Tore des Flughafens zu meiden“, teilte die US-Botschaft in der Nacht auf Donnerstag mit, ohne die Bedrohungslage genauer zu benennen. US-Staatsangehörige, die sich derzeit am Abbey Gate, East Gate oder North Gate aufhielten, sollten das Gebiet „sofort“ verlassen, warnte die US-Vertretung in Kabul.

Die britische Regierung forderte Bürgerinnen und Bürger in der Nähe des Flughafens auf, sich an einen sicheren Ort zu begeben und auf weitere Anweisungen zu warten. Sie sprach in ihren Reisehinweisen von einer „weiterhin hohen Bedrohung durch Terroranschläge“. Es gebe „sehr, sehr glaubhafte“ Hinweise von Geheimdiensten, dass ein Anschlag unmittelbar bevorstehe, so der Staatssekretär im britischen Verteidigungsministerium, James Heappey. „Ich kann nur sagen, dass die Bedrohung sehr ernst ist“, sagte er der BBC. Ein Anschlag sei „binnen Stunden“ möglich, ergänzte er im Sender Sky.

Terrorgefahr um Kabuler Flughafen

Die westlichen Länder haben nur noch knapp eine Woche Zeit, um ihre Staatsangehörigen aus Afghanistan auszufliegen. Vor dem Flughafen Kabul drängen sich weiterhin Ausreisewillige.

„Während die Uhr bis zum Ende des Monats weiter tickt, müssen wir diese sehr, sehr reelle Bedrohung mit den Menschen in Kabul teilen und ihnen raten, sich vom Flughafen zu entfernen, anstatt dorthinzukommen“, sagte der Staatssekretär.

Auch die deutsche Botschaft warnte in einem Schreiben an deutsche Staatsbürger vor Schießereien und Terroranschlägen. Ein Mitarbeiter der afghanischen zivilen Luftfahrtaufsicht, Ahmedullah Rafiqzai, sagte Reuters: „Es ist sehr einfach für Selbstmordattentäter, die Korridore voller Menschen anzugreifen.“ Aber die Flüchtlinge wollten trotz der Warnungen nicht weggehen. Augenzeugen berichteten von einem enormen Andrang.

Verweis auf IS-Ableger

Die deutsche Bundeswehr hatte bereits am Dienstag berichtet, dass zunehmend potenzielle Selbstmordattentäter der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) in Kabul unterwegs seien. Ähnlich hatte sich US-Präsident Joe Biden geäußert. Praktisch täglich versuche ein örtlicher Ableger des IS, den Flughafen anzugreifen, hatte er gesagt. Die Terrormiliz sei auch ein „erklärter Feind“ der militant-islamistischen Taliban.

Die USA halten unterdessen trotz Drängens der G-7-Staaten auf eine Verlängerung weiter an ihrem Truppenabzug bis zum 31. August fest. Das bedeutet ein Ende der Evakuierungsflüge der deutschen Bundeswehr schon in den kommenden Tagen. Auch die Türkei hat damit begonnen, ihre Einsatzkräfte aus Afghanistan abzuziehen. Damit dürfte auch die zeitweise besprochene Option vom Tisch sein, dass türkische Truppen den Flughafen über das Ende des NATO-Einsatzes hinaus sichern. Unklar ist, ob Menschen auch nach dem 31. August über den Flughafen ausreisen können.

USA: „Haben Druckmittel“

Die US-Regierung betonte, dass es keine „Frist“ für ihre Bemühungen gebe, ausreisewilligen US-Amerikanern und Afghanen zu helfen. Die Taliban hätten sich verpflichtet, Menschen über den 31. August hinaus sicheres Geleit zu ermöglichen, sagte Außenminister Antony Blinken. „Und wir haben sicherlich Anreize und Druckmittel gegenüber einer zukünftigen afghanischen Regierung, um sicherzustellen, dass das geschieht“, sagte Blinken weiter, ohne ins Detail zu gehen.

Auch nach Angaben der deutschen Bundesregierung haben die Taliban zugesagt, dass Afghanen auch nach dem 31. August das Land verlassen dürfen. Das gab der deutsche Verhandlungsführer Markus Potzel nach Gesprächen mit Sher Mohammad Abbas Stanikzai bekannt, dem Vizechef des politischen Büros der Taliban in Katar.

Weiterer deutscher Evakuierungsflug

Die Bundesregierung will weiterhin deutsche Staatsbürger und schutzbedürftige Afghanen mit zivilen Flügen von Kabul aus außer Landes bringen. Es geht um mehrere tausend Menschen. Mittwochfrüh startete ein weiterer Evakuierungsflug der Bundeswehr, vier Flüge sind für Donnerstag geplant. Man wolle „bis zur letzten Sekunde“ evakuieren, so Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer.

Allerdings berichteten der „Spiegel“ und „Bild“, dass die Bundeswehr ihre Mission bereits am Donnerstag beenden könnte. Als Grund wurde die Sicherheitslage angeführt, der Zugang zum Flughafen sei kaum noch möglich bzw. gefährlich. Die Regierung wollte das nicht bestätigen. Auch Frankreich gab an, die Mission bis Freitag beenden zu wollen. Dänemark beendet seine Mission bereits am Donnerstag, Flüge seien nicht mehr sicher. Auch die Niederlande wollen am Donnerstag ihre Flüge beenden, Belgien und Polen brachen bereits am Mittwoch ab. Bisher wurden mehr als 90.000 Menschen aus Kabul ausgeflogen.

Menschen warten in Schlangen vor einem US-Militärflugzeug auf dem Flugfeld am Flughafen in Kabul
APA/AFP/Us Air Force/Donald R. Allen
Vom US-Militär zur Verfügung gestellte Bilder zeigten Szenen der Evakuierungen

Sicherheitslage andernorts ruhig

Wie die UNO unterdessen mitteilte, gestaltete sich die Sicherheitslage seit der Machtübernahme durch die Taliban weitgehend ruhig. Das geht aus einem wöchentlichen Bericht der UNO-Agentur zur Koordinierung humanitärer Hilfe (OCHA) hervor, der am Mittwochabend veröffentlicht wurde. In den meisten Regionen des Landes sei die Sicherheitssituation im Berichtszeitraum – der Woche nach der Taliban-Machtübernahme – vergleichsweise ruhig gewesen.

In dem Bericht hieß es, im Süden seien Zivilistinnen und Zivilisten weiter von Explosionen durch am Straßenrand versteckte Bomben betroffen gewesen und von Kugeln durch Freudenschüsse in den Provinzhauptstädten. Die großen Krankenhäuser in der südlichen Region hätten zudem eine große Zahl an Patienten aufgenommen, die bereits früher verletzt worden waren, wegen andauernder Gefechte und Straßensperren aber keine Möglichkeit gehabt hätten, in Krankenhäuser zu kommen.

Gefechte mit lokalen Milizien

Im Nordosten habe es Berichte über Gefechte in den Bezirken Pul-e Hisar, Dih Salah und Bano der Provinz Baghlan gegeben. Einem Bericht der „New York Times“ zufolge hatten Hausdurchsuchungen durch die Taliban diese Gefechte mit lokalen Milizen ausgelöst. Aus den Provinzen Kabul und Panjshir seien mehrere Sicherheitsvorfälle und Gewalttaten gemeldet worden. Allerdings gibt es in dem Bericht keine Details hierzu.

In der Stadt Jalalabad im Osten seien Berichten zufolge zwei Zivilisten getötet und sechs weitere im Zuge eines Protests am Nationalfeiertag verletzt worden, hieß es weiter. Lokale Journalisten berichteten, Taliban-Kämpfer hätten das Feuer eröffnet. Am Samstag habe es bewaffnete Zusammenstöße zwischen Kämpfern der Taliban und der Terrormiliz IS im Bezirk Alingar der Provinz Laghman im Osten gegeben.

Zuletzt hatte sich die UNO allerdings beunruhigt über Berichte von Menschenrechtsverletzungen gezeigt. Darunter seien standrechtliche Hinrichtungen von Zivilisten und Angehörigen regierungstreuer Sicherheitskräfte, sagte die UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, am Dienstag in Genf. Über die Zahl der Opfer war nichts bekannt.