Arbeiter auf einer Baustelle
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Nicht nur Covid-19

Gesundheit je nach Job und Status

Armut macht krank, und die Pandemie verstärkt die Auswirkungen sozialer Ungleichheit auf die Gesundheit noch. Auf Status und Beruf kommt es an. In Österreich ist der Zusammenhang noch wenig erforscht, so Moritz Oberndorfer von der MedUni Wien. ORF.at hat mit ihm gesprochen und mit einer Reinigungskraft, die erzählt: „Ich habe Kolleginnen, die sind nach fünf Jahren Arbeit körperlich kaputt.“

Die Pandemie trifft arme Menschen härter, das zeigt die Studie „Gesundheitliche und sozioökonomische Belastung durch die Covid-19-Pandemie in Wien (2021)“, die von Oberndorfer und seinen Kolleginnen und Kollegen durchgeführt wurde. Befragt wurden gut 1.000 Personen aus Wien während eines harten Lockdowns. Laut den Ergebnissen haben sich bei einem Viertel die psychische und bei 14 Prozent die körperliche Gesundheit verschlechtert.

Menschen in den untersten 20 Prozent der Einkommensverteilung hatten eine doppelt so hohe Chance, dass sich aufgrund der Pandemie die selbst eingeschätzte psychische Gesundheit verschlechtert hat – verglichen mit den obersten 20 Prozent. Rund sechs Prozent der Befragten zeigten Symptome einer akuten Belastungsstörung.

Ungleichheit nicht erst seit CoV

Der Zusammenhang zwischen sozialem Status und Gesundheit ist international evident. Studien aus den Vereinigten Staaten und Großbritannien zeigen, dass CoV vor allem ärmere Stadtviertel betrifft. Auch eine Untersuchung aus Deutschland bestätigt: Je geringer das Einkommen, desto größer ist das Risiko einer Ansteckung mit dem Virus.

Ein Leben am Bau

Ein Leben als Bauarbeiter hinterlässt Spuren, berichtet Herbert Strobl. Ein Job kann krank machen – genauso wie ein sozialer Status, erklären zwei Experten.

Laut den Ergebnissen haben Langzeitarbeitslose ein 94 Prozent höheres Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf als Menschen mit regulärer Beschäftigung. Oberndorfer sagt, dass diese Ungleichheiten durch die Pandemie nur sichtbarer geworden seien, dass es sie aber auch schon davor gegeben habe.

Armut bedeutet Stress bedeutet Krankheit

Dass sozial benachteiligtere Gruppen öfter von Depressionen, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Depressionen betroffen sind, zeigt auch eine Studie der Stadt Wien, die vor der Pandemie durchgeführt wurde.

Für Oberndorfer gibt es dazu naheliegende Erklärungen wie etwa den Lebensstil, den man sich zeitlich und finanziell leisten kann. Aber auch psychosoziale Faktoren beeinflussen die Gesundheit wesentlich: „Je niedriger die soziale Position, desto höher ist man chronischem Stress ausgesetzt“, erklärt der Sozialepidemiologe im Interview. Der chronische Stress löst Prozesse im Körper aus, die langfristig dem Körper schaden, weil sie etwa das Immunsystem schwächen – wodurch man anfälliger für Krankheiten ist.

Was im Büro krank macht

Auch der Beruf hat einen wesentlichen Einfluss auf die Gesundheitschancen, ausschlaggebend ist dabei die Art der Beschäftigung. Bei einem Bürojob sind es vor allem psychosoziale Mechanismen, etwa wenn ein Ungleichgewicht zwischen Arbeitsaufwand und Belohnung besteht, sagt Oberndorfer. Eine fehlende Balance kann das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen, ein Burn-out kann die Folge sein.

Putzjob wirkt wie tägliche Packung Zigaretten

Besonders bei Berufen mit hoher körperlicher Belastung drohen langfristig physische Schäden. Agatha – um ihre Anonymität zu wahren, wird nur ihr Vorname genannt – ist 44 Jahre alt und arbeitet seit zehn Jahren als Reinigungskraft in Wien. Der Beruf ist körperlich sehr herausfordernd, erzählt sie im Interview mit ORF.at: „Ich habe Kolleginnen, die sind nach fünf Jahren Arbeit körperlich kaputt.“ Probleme mit dem Kreuz zählen laut Agatha zu den häufigsten Beschwerden.

Mit gesunder Ernährung und Sport hält sich Agatha fit, denn für diese Art der Arbeit müsse man „körperlich gut beieinander“ sein. Dazu gehörten auch „guter Schlaf und positives Denken.“ Forscherinnen und Forscher haben etwa in einer norwegischen Studie herausgefunden, dass die Vollzeitarbeit als Reinigungskraft durch die eingesetzten Chemikalien in etwa gleich schädlich ist, wie eine Packung Zigaretten am Tag zu rauchen.

Das Scheitern an der Kaloriengrenze

Für Reinigungskräfte in Österreich ist eine finanzielle Zulage für besonders gefährliche Tätigkeiten, wenn die Arbeit beispielsweise ein Atemschutzgerät erfordert, kollektivvertraglich geregelt, erklärt Anna Daimler, Generalsekretärin der Gewerkschaft vida, im Interview mit ORF.at. Die Gewerkschaft fordere daher einen erleichterten Zugang zur Schwerarbeitspension, etwa für Angestellte in der Reinigungsbranche.

Weibliche Gebäudeinnenreinigungskräfte sind auf der Liste der Schwerarbeitsberufe in Österreich erfasst, dennoch fallen viele nicht unter den Anwendungsbereich. Das liege daran, erklärt Daimler, dass Aufträge in der Regel als Teilzeitbeschäftigung vergeben werden, da Reinigungskräfte üblicherweise in den Morgenstunden und abends arbeiten. Durch die verringerte Arbeitszeit werde aber nicht die notwendige 1.400-Kalorien-Grenze erreicht, die zu den Voraussetzungen der Schwerarbeit zählt.

Zusammenhänge zwischen Armut und Krankheit

Je niedriger das Einkommen, desto häufiger werden Menschen krank. Dieses Phänomen hat sich nicht nur während der CoV-Pandemie gezeigt.

Abwechslung, Pausen, Feedback: Gesundheitsvorsorge

Auf politischer und gesellschaftlicher Ebene müsste allen Berufsgruppen ein umfassender Schutz ermöglicht werden, damit Arbeitnehmer gesund bleiben, sagt der Arbeitsmediziner Richard Crevenna, Leiter der Universitätsklinik für Physikalische Medizin, Rehabilitation und Arbeitsmedizin am AKH Wien, denn: „Arbeitnehmerschutz ist Arbeitgeberpflicht.“

Bereits eine sinnvolle Arbeitsgestaltung kann gesundheitlich präventiv wirken. „Als Arbeitgeber sollte ich darauf achten, dass die Arbeitnehmer in meinem Betrieb eine abwechslungsreiche Aufgabenstellung haben,“ erklärt Crevenna, „mit Gestaltungsspielraum und autonomen Entscheidungsmöglichkeiten.“

Besonders wichtig sei auch die Pausengestaltung, im Idealfall werden zehn Prozent der Arbeitszeit als Pausenzeit verwendet und immer wieder auch Pausen zwischendurch eingelegt. Aus der Trainingslehre ist bekannt, dass Übertraining zu keiner besseren Leistung führt, und dasselbe gelte auch für den Arbeitsplatz, so der Arbeitsmediziner. Auch die sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz gelten als wertvolle Gesundheitsressource. Es zählen gegenseitige Unterstützung, Vertrauen und eine ehrliche Feedback-Kultur.

Mehr Bewusstsein schaffen

Der Zusammenhang zwischen sozialer Position und Gesundheit ist in Österreich im Vergleich zu anderen europäischen Ländern wenig erforscht. Laut Oberndorfer brauche es dafür eine Verknüpfung verschiedener Längsschnittdaten zur Gesundheit sowie der sozioökonomischen Merkmale und Lebensumstände von Personen, wie sie in anderen Ländern wie Großbritannien bereits seit langer Zeit durchgeführt wird.

Präzisere Daten und Analysen können in Österreich dazu beitragen, diejenigen zu identifizieren, die am dringendsten auf unterstützende Maßnahmen angewiesen sind, „denn das sind schlussendlich jene, die in der Pandemie nicht nur die größte Krankheitslast, sondern auch die größten Schäden der Nebenwirkungen der Pandemiebekämpfung erlitten haben“.