Bild zeigt Personen und mehrere Flugzeuge zur Evakuierung am Flughafen von Kabul.
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Terrorgefahr in Kabul

Mehrere Länder stoppen Evakuierungsflüge

Mehrere Länder haben angesichts von Terrorwarnungen ihre Evakuierungsflüge aus Afghanistan vorzeitig gestoppt. Es sei „nicht mehr sicher, vom Flughafen Kabul zu fliegen“, hieß es etwa aus Dänemark. Zuvor war eindringlich vor einer möglichen Terrorattacke auf dem Gelände des Flughafens gewarnt worden. Aus London hieß es, ein Anschlag binnen der nächsten Stunden sei möglich.

Eigentlich geht die Frist für die Evakuierungsflüge bis zum 31. August. An diesem Stichtag wollen die USA endgültig ihre Truppen abziehen. Allerdings verkündeten nun mehrere Staaten ein vorzeitiges Ende der Missionen. Frankreich etwa teilte mit, am Freitag die letzten Flüge durchzuführen. Bis dahin sollen auch militärische Kräfte abgezogen sein. Auch Spanien will mit Freitag stoppen.

Auch der Einsatz der deutschen Bundeswehr dürfte bald enden. „Wir wissen, dass die Terrordrohungen sich massiv verschärft haben, dass sie deutlich konkreter geworden sind“, sagte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer am Donnerstag in Berlin. „Wir befinden uns jetzt in der sicherlich hektischsten, in der gefährlichsten, in der sensibelsten Phase.“

Terrorwarnung auf Flughafengelände

Die westlichen Länder haben nur noch knapp eine Woche Zeit, um ihre Staatsangehörigen aus Afghanistan auszufliegen. Vor dem Flughafen Kabul drängen sich weiterhin Ausreisewillige.

Kramp-Karrenbauer sagte, man arbeite zwar „fieberhaft“ an der weiteren Evakuierung, müsse aber die Terrorgefahr berücksichtigen. „Das ist keine Einzelfrage für die Bundesrepublik Deutschland, das ist im Moment die Einsatzsituation für alle anderen Staaten auch.“ Es gebe Bemühungen, möglichst friktionsfrei in die zweite Phase der Evakuierungen überzugehen. In dieser werde es darum gehen, Menschen auf diplomatischem Wege die Ausreise zu ermöglichen.

Niederlande: Menschen werden zurückbleiben

Die Niederlande teilten ebenfalls mit, man müsse am Donnerstag den letzten Flug durchführen. Trotz aller Anstrengung würden nun Menschen in Afghanistan zurückbleiben, die eigentlich ausgeflogen werden sollten, hieß es. Belgien, Polen und Dänemark beendeten die Rettung von Menschen bereits am Mittwoch. Auch Ungarn hat seine zwei Militärmaschinen abgezogen.

Zahlreiche Personen in der Nähe eines Evakuierungs-Checkpoints am Flughafen in Kabul.
AP
Der Andrang auf den Flughafen war auch am Donnerstag enorm

Wie Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) am Mittwoch im ZIB2-Interview sagte, wurden bisher 89 Menschen nach Österreich gebracht, zwei, drei Dutzend dürften nach Schätzung des Außenministeriums noch in Afghanistan sein. Es sei klar das Ziel, auch nach dem 31. August jeden Österreicher und jede Österreicherin sowie jede Person mit Aufenthaltstitel nach Österreich zu bringen. Die SPÖ kritisierte indes mangelnde Anstrengungen und warf der Regierung Versagen und Untätigkeit vor.

Schallenberg über Afghanistan-Evakuierungen

Laut Außenministerium sind bisher 87 Österreicher aus Afghanistan in Sicherheit gebracht worden. Dutzende befinden sich jedoch noch in Kabul.

Wie eine Sprecherin des österreichischen Außenministeriums weiter mitteilte, arbeite das Krisenteam an Ort und Stelle weiterhin vehement daran, Österreicher und Afghanen mit einem Aufenthaltstitel zu retten. Es stelle sich vor allem die Frage, wie die Menschen in den Flughafen kommen. Die Evakuierung erfolge dann in „enger Abstimmung“ mit internationalen Partnern, da Österreich keine eigenen Flugzeuge dort habe. Besonders unterstrich die Sprecherin dabei die Kooperation mit Deutschland und Ungarn. Ein mögliches Ende der Rettungseinsätze hänge daher auch von diesen und anderen Partnern ab, hieß es gegenüber der APA.

Warnung vor „tödlichem Angriff“

Zuvor hatten mehrere Staaten, darunter die USA, Großbritannien und Australien, eindringlich vor einem möglichen Terroranschlag auf dem Gelände des Flughafens gewarnt. Im Laufe der Woche seien sich die Geheimdienste immer sicherer darüber geworden, dass ein „ernsthafter, unmittelbarer, tödlicher Angriff“ auf den Flughafen oder die von westlichen Truppen genutzten Zentren drohe, sagte der britische Verteidigungsstaatssekretär James Heappey. Eine Attacke binnen Stunden sei möglich.

Die Länder riefen dazu auf, das Gelände rasch zu verlassen, die US-Botschaft warnte konkret vor Aufenthalten beim Abbey Gate, East Gate und North Gate. Ein Augenzeuge berichtete allerdings der dpa, dass der Andrang Schutzsuchender zum Flughafen angesichts des sich abzeichnenden Endes der Evakuierungsflüge weiterhin enorm ist. Die Menschen stünden „so eng aneinander wie Ziegel einer Mauer“.

Verweis auf IS-Ableger

Die deutsche Bundeswehr hatte bereits am Dienstag berichtet, dass zunehmend potenzielle Selbstmordattentäter der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) in Kabul unterwegs seien. Ähnlich hatte sich US-Präsident Joe Biden geäußert.

Ein NATO-Diplomat appellierte, Terrordrohungen nicht zu ignorieren. Zwar seien die Taliban für die Sicherheit außerhalb des Flughafens verantwortlich. Dennoch könnten Drohungen etwa von IS-Ablegern nicht vernachlässigt werden. Die westlichen Streitkräfte wollten unter keinen Umständen in eine Lage geraten, in der sie einen Angriff abwehren oder selbst in die Offensive gehen müssten.

„Sehr einfach für Selbstmordattentäter“

Auch die deutsche Botschaft warnte in einem Schreiben an deutsche Staatsbürger vor Schießereien und Terroranschlägen. Ein Mitarbeiter der afghanischen zivilen Luftfahrtaufsicht, Ahmedullah Rafiqzai, sagte Reuters: „Es ist sehr einfach für Selbstmordattentäter, die Korridore voller Menschen anzugreifen.“

Seit der Machtübernahme der militant-islamistischen Taliban versuchen Tausende Menschen, aus Afghanistan zu fliehen. Seit mehr als einer Woche versammeln sie sich an verschiedenen Eingängen des Flughafens, um auf einen Evakuierungsflug zu kommen. Bisher wurden rund 95.000 Menschen außer Landes gebracht. Der Flughafen wurde bisher vor allem durch US-Streitkräfte gesichert. In die Bresche springen könnte noch die Türkei. Laut einem Sprecher von Präsident Recep Tayyip Erdogan gebe es entsprechende Gespräche.

USA: Helfen weiter bei Ausreise

Die USA halten unterdessen trotz Drängens der G-7-Staaten auf eine Verlängerung weiter an ihrem Truppenabzug bis zum 31. August fest. Die US-Regierung betonte aber, dass es keine „Frist“ für ihre Bemühungen gebe, ausreisewilligen US-Amerikanern und Afghanen zu helfen.

Die Taliban hätten sich verpflichtet, Menschen über den 31. August hinaus sicheres Geleit zu ermöglichen, sagte Außenminister Antony Blinken. Auch der britische Premier Boris Johnson sagte: „Wenn sie Entwicklungshilfe erhalten wollen, wenn sie diese Milliarden an Fonds auftun wollen und eine diplomatische, politische Beziehung mit der Außenwelt haben wollen, dann ist freies Geleit für diejenigen, die rauswollen, die Bedingung“, so Johnson.

Auch nach Angaben der deutschen Bundesregierung haben die Taliban zugesagt, dass Afghanen auch nach dem 31. August das Land verlassen dürfen. Das gab der deutsche Verhandlungsführer Markus Potzel nach Gesprächen mit Sher Mohammad Abbas Stanikzai bekannt, dem Vizechef des politischen Büros der Taliban in Katar.

Treffen der EU-Innenminister

Angekündigt wurde indes für Dienstag ein Treffen der EU-Innenminister zur aktuellen Lage. Sie werden die Konsequenzen aus den Entwicklungen in Afghanistan beraten. Dabei gehe es um Sicherheit und Immigration, teilte die slowenische Ratspräsidentschaft mit.