Bild zeigt das Logo des AMS auf einer Gebäudefassade.
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Debatte über Zuverdienst für Arbeitslose

Breite Front gegen Vorstoß von AMS-Chef

Der Vorschlag von Arbeitsmarktservice-Vorstand Johannes Kopf, der für ein Aus oder eine Einschränkung der Zuverdienstmöglichkeit für Arbeitslose plädiert hatte, ist am Donnerstag auf relativ breite Kritik gestoßen. Arbeitslose können ja derzeit 475 Euro im Monat dazuverdienen. Ablehnung kam von Grünen, SPÖ, FPÖ, ÖGB und AK. Während NEOS einen anderen Vorschlag brachte, signalisierte nur der ÖVP-Wirtschaftsbund Zustimmung.

Im Interview mit den „Oberösterreichischen Nachrichten“ („OÖN“, Donnerstag-Ausgabe) gab Kopf an, viel über das Thema Dazuverdienen nachgedacht zu haben, weil es auch Argumente dafür gebe. Doch sei er für die Abschaffung der Zuverdienstmöglichkeit – zumindest für eine deutliche Einschränkung. Ziel sei generell, mehr arbeitslos gemeldete Menschen wieder in Jobs zu bringen, vor allem Langzeitarbeitslose.

„Die Leute haben zumindest einen Fuß in der Arbeitswelt und verlernen nicht die Arbeitstugenden. Ist dieser Fuß in der Tür nützlicher, als es schädlich ist, weil der Unterschied zum Erwerbseinkommen zu gering wird? Inzwischen bin ich so weit: Es gehört – wenn nicht verboten – so doch massiv eingeschränkt. Wir haben dabei gute Erfolge mit dem Erhebungsdienst.“

Kopf für stufenweises Arbeitslosengeld

Seitens der Wirtschaft werde immer wieder argumentiert, dass Arbeitslose mit einem geringfügigen Nebenjob, Schwarzarbeit und Sozialleistungen ihr Auslangen finden würden, heißt es in dem „OÖN“-Bericht. Vor allem niedrig entlohnte Branchen fänden deshalb kaum Personal. Wie ÖVP-Arbeitsminister Martin Kocher spricht sich auch AMS-Vorstand Kopf dafür aus, das Arbeitslosengeld stufenweise zu gestalten, also am Anfang mehr, dann weniger auszuzahlen.

AMS-Chef für Ende von Nebenjobs für Arbeitslose

Im Herbst soll das Arbeitslosengeld neu gestaltet werden. AMS-Chef Johannes Kopf fordert, Nebenjobs für Arbeitslose zu verbieten oder stark einzuschränken. So sollen arbeitslos gemeldete Menschen motiviert werden, wieder einen Job zu finden.

Gegen „Pauschalvorwurf“ an Arbeitslose

Den „Pauschalvorwurf“, dass vom AMS geschickte Stellenbewerberinnen und -bewerber gar nicht arbeiten wollten, lasse er nicht gelten, so Kopf. Nur weil jemand einen konkreten Job nicht wolle, heiße das nicht, dass er nicht arbeiten wolle. Man müsse differenzieren: Bei günstigerer Arbeitszeit, kürzerer Anfahrt, besseren Bedingungen und höherem Lohn würden die Leute schon wollen. „Es gibt verschiedene Hebel, die Stellen dennoch besetzen zu können.“

Dass die Arbeitslosenzahl in Kürze das Niveau von vor der Pandemie erreichen könne, sei möglich. Das hänge von der Delta-Variante ab. Anfang des Jahres habe es 110.000 Arbeitslose mehr als vor Pandemiebeginn gegeben. „Jetzt sind wir bei plus 14.000. Es könnte sich heuer im Winter schon ausgehen“, so Kopf. Man werde dann die „harten Zahlen“ erreicht haben. Die Pandemie habe aber auf dem Arbeitsmarkt Probleme geschaffen, „gegen die wir noch jahrelang ankämpfen werden“.

Zustimmung vom Wirtschaftsbund

Auf die Seite Kopfs schlug sich in einer Reaktion der ÖVP-Wirtschaftsbund. Die Rekordzahl an offenen Stellen bei hoher Arbeitslosigkeit bestätige klar die strukturellen Probleme auf dem Arbeitsmarkt. „Es kann nicht sein, dass es für Arbeitslose lukrativer ist, die staatlichen Unterstützungsleistungen mit Nebenjobs aufzubessern, als aktiv am Erwerbsleben teilzunehmen“, teilte Wirtschaftsbund-Generalsekretär Kurt Egger per Aussendung mit.

Durch die Kombination aus Arbeitslosengeld, sonstigen Unterstützungen und dem Nebenverdienst sei es oft attraktiver, in der Arbeitslosigkeit zu verharren. Positive Anreize wie ein degressives Arbeitslosengeld, überregionale Mobilitätsförderung und Kombilohnmodelle sollten den Arbeitsmarkt dynamischer machen. Von FPÖ, Grünen, SPÖ und ÖGB kam in Aussendungen hingegen kollektiv Ablehnung für Kopfs Forderung.

„Leistungsfeindlich, herzlos und unsozial“

Das Ende von Nebenjobs für Arbeitslose wäre laut SPÖ „leistungsfeindlich, herzlos und unsozial“. Der ohnedies geringe Zuverdienst zum Arbeitslosengeld sei für viele ältere Menschen und ihre Familien die einzige Möglichkeit, finanziell über die Runden zu kommen, so Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch. Es brauche stattdessen „eine Joboffensive und faire Löhne, von denen man gut leben kann“. Die SPÖ forderte einen Mindestlohn von 1.700 Euro und eine Anhebung des Arbeitslosengeldes auf 70 Prozent des Letztbezuges.

Letzteres forderte auch der ÖGB in einer Aussendung und lehnte den Vorschlag von Kopf ab: „Wir haben noch immer rund 350.000 Arbeitslose, die mit einem Arbeitslosengeld auskommen müssen, das mit durchschnittlich 1.000 Euro unterhalb der Armutsgrenze liegt“, so die Leitende Sekretärin Ingrid Reischl. Es brauche eine Gesamtdiskussion, wie Menschen in Beschäftigung gebracht werden könnten – dazu zählt laut ÖGB die Qualifikation von Arbeitssuchenden sowie die Bewertung der Jobangebote auf ihre Zumutbarkeit.

Die Arbeiterkammer (AK) verwies per Aussendung darauf, dass ein geringfügiger Zuverdienst oft lebensnotwendig sei – Präsident Johann Kalliauer plädierte klar für den Erhalt dieser Möglichkeit und führte die Armutsgefährdung ins Treffen.

Absage von Grünen: Zuverdienst „letztes Standbein“

Die Grünen sehen dringenden Reformbedarf in Hinblick auf eine „soziale Absicherung arbeitsloser Menschen“. Man stehe für eine breit geführte Diskussion über eine Reform der Arbeitsmarktpolitik bereit. Eine Abschaffung der Zuverdienstmöglichkeiten sei aber eine Armutsfalle, „solange Arbeitslosengeld und Notstandshilfe nicht angehoben werden“, so Markus Koza, Arbeits- und Sozialsprecher der Grünen. Der Zuverdienst wäre das „letzte Standbein“ für Arbeitslose auf dem Arbeitsmarkt.

Die freiheitliche Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch sah in der Forderung des AMS-Chefs eine langsame, aber kontinuierliche Abschaffung des Sozialstaates. Sie sprach von einem „Angriff auf Menschen ohne Arbeitsplatz“, schließlich könne ein „kleiner Zuverdienst in diesen schweren Zeiten aus dem Ärgsten heraushelfen“. Kopf riet sie, sich stattdessen lieber des Themas Schwarzarbeit anzunehmen.

NEOS schlägt degressives Modell vor

Bei diesem Thema hakte auch NEOS ein und reagierte mit „Skepsis“, wie es in einer Aussendung hieß: „Das große Problem, das die Menschen davon abhält, wieder einen Vollzeitjob anzunehmen, ist nicht der legale Zuverdienst, das große Problem ist die Schwarzarbeit darüber hinaus – die sollten wir bekämpfen“, wurde NEOS-Sozialsprecher Gerald Loacker zitiert.

Der Zuverdienst sei nicht nur eine Möglichkeit, einen Fuß im Berufsleben zu haben, sondern mildere auch die finanziellen Einbußen, so Loacker und schlug vor: „Wer diese Möglichkeit streicht, muss das Arbeitslosengeld am Anfang erhöhen, beispielsweise auf 65 Prozent, und dann schrittweise absenken.“ Dieses degressive Modell würde Menschen, die nur kurz arbeitslos sind, finanziell absichern und Anreize schaffen, schnell wieder in Beschäftigung zu wechseln, so Loacker – bei Notstandshilfeempfängern sollte kein Zuverdienst mehr möglich sein.

Kocher: Gespräche für „Gesamtkonzept“

Arbeitsminister Kocher kündigte zuletzt an, im Herbst eine Debatte über eine Arbeitsmarktreform starten zu wollen. Zunächst wolle er sich noch die August-Arbeitslosenzahlen anschauen (sie werden kommende Woche veröffentlicht) und die Zahlen für die Kurzarbeitsphase fünf. Die Reform solle nicht groß zusätzliche Kosten verursachen, aber wenn man es schaffe, dass Menschen schneller vermittelt werden und schneller Beschäftigung finden, spare man dadurch auch ein, so der Tenor.

Dabei steht auch die Höhe des Arbeitslosengeldes auf dem Prüfstand: Wer in Österreich arbeitslos wird, falle sehr rasch auf ein niedriges Niveau und bleibe dann sehr lange auf diesem Niveau, so Kocher. „Wenn ich es schaffe, dass Menschen, die besonders lange arbeitslos sind, rascher integriert werden, kann ich möglicherweise eine höhere Abgeltung geben, ohne dass höhere Kosten entstehen“, meinte er.

Es gehe ihm darum, über sinnvolle Konzepte der Neuregelung des Arbeitsmarkts zu diskutieren. Im Regierungsprogramm stehe das Wort „degressives Arbeitslosengeld“ jedenfalls nicht drinnen. Auch von einer Abschaffung der Notstandshilfe, die von manchen gefordert wurde, stehe nichts im Regierungsprogramm.