Agenda mit druchgestrichenem Beschluss des Nationalrats aufgrund von Vertagung
ORF.at/Carina Kainz
Im Ausschuss vertagt

„Begräbnis erster Klasse“

Fachlich versiert, öffentlich jedoch kaum wahrnehmbar: Die Arbeit in den Ausschüssen des Parlaments gilt als zentrales Vehikel für künftige Gesetze. Hier trennt sich quasi die Spreu vom Weizen – so sollte es jedenfalls ablaufen. Doch etliche Anträge werden vertagt. Im Parlamentsjargon wird durchaus auch von einem „Begräbnis erster Klasse“ gesprochen.

Bevor der Nationalrat Gesetze beschließt, werden die Vorhaben den zuständigen Ausschüssen zugewiesen. Im Gesundheitsausschuss landen zum Beispiel Novellen des Epidemiegesetzes, im Justizausschuss die neuen Änderungen der Strafprozessordnung. In den Ausschüssen findet die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Text statt. Wie stehen die einzelnen Parteien zu einer Initiative einer anderen Partei? Sollte der Antrag abgeändert werden? Ist der Text beschlussreif – oder nicht?

Allerdings sorgen diese Ausschussdebatten in der Regel für wenig Aufsehen. Denn sie finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Soll der Antrag im öffentlichkeitswirksamen Plenum des Nationalrats aufschlagen, muss im Ausschuss zuerst darüber abgestimmt werden.

Es scheint auch ziemlich einfach zu sein: Sowohl bei einer Zustimmung als auch bei einer Ablehnung findet das Vorhaben nämlich seinen Weg auf die Bühne des Hohen Hauses. Allerdings gibt es noch eine dritte Möglichkeit: Wird ein Antrag vertagt, bleibt er liegen. Und blickt man auf die Website des Parlaments, wird deutlich: Dieses Schicksal ereilt die meisten Vorhaben.

„Noch nicht reif für den Beschluss“

Vertagungen in Ausschüssen sind nicht neu. Seit Jahrzehnten gehören sie zur parlamentarischen Arbeit und sind gesetzlich verankert. Die Argumente, die dagegen und dafür sprechen, liegen stets entlang der Grenze zwischen Opposition und Regierung. Während die einen von einer „Schubladisierung“ sprechen, wollen sich die anderen „zuerst noch intensiver“ mit dem Antrag beschäftigen. Erfahrungen von aktuellen und früheren Mitarbeitern von Oppositions- und Koalitionsparteien ergeben wie so oft ein differenziertes Bild.

Der Ausschuss, so erklärt ein früherer Klubreferent, kann „ein guter Ort für die Auseinandersetzung mit Gesetzesmaterien sein“. Insbesondere bei Regierungsvorlagen, die in der Regel detailliert ausgearbeitet sind, komme es zu „kompetenten Diskussionen“. Dasselbe gelte für Anträge der Oppositionsparteien – mit dem einzigen Unterschied, dass es hier zu „taktischen Spielchen“ komme. Durch das Abstimmungsverhalten besitze die Mehrheit die Möglichkeit, einem Antrag eine öffentliche Bühne im Plenum zu geben oder sie zu „verweigern“.

Screenshot zeigt  Vertagungen
Screenshot parlament.gv.at
Auf der Website des Parlaments kann der Weg einzelner Anträge nachverfolgt werden

Rechtlich ist die Möglichkeit einer Vertagung in der Geschäftsordnung festgeschrieben. Vor allem in Ausschüssen, in denen Gesetzesanträge vorberaten werden, werden Tagesordnungspunkte in der Praxis vertagt. Die Folge ist, dass es damit auch keinen Bericht des Ausschusses zu diesem Verhandlungspunkt gibt, den man auf die Tagesordnung der nächsten Nationalratsdebatte setzen kann.

„Häufig wird argumentiert, dass ein Verhandlungsgegenstand noch nicht reif für die Beschlussfassung sei. Deshalb wird ein Antrag auf Vertagung gestellt“, sagt die Leiterin des Rechts-, Legislativ- und Wissenschaftliche Dienst (RLW-Dienst), Gerlinde Wagner, im ORF.at-Gespräch. „Es könnten zum Beispiel auch noch Expertinnen und Experten vor einer Beschlussfassung zurate gezogen werden.“

Anträge ziehen Schleifen

Damit ein Antrag jene Öffentlichkeit bekommt, die sich Abgeordnete wünschen, braucht es also einen Beschluss im Ausschuss. Ein vertagter Verhandlungsgegenstand befinde sich in einer „Endlosschleife“, sagt ein Ex-Mitarbeiter einer Oppositionspartei. „Deshalb wird das auch ‚Begräbnis erster Klasse‘ genannt. Es geht nichts weiter.“ Möglich ist freilich, dass der Antrag bei der nächsten Ausschusssitzung wieder auf die Tagesordnung kommt. Aber auch dann könnte er wieder auf die Wartebank geschoben werden.

So hatte Ex-NEOS-Abgeordneter Sepp Schellhorn kürzlich im „Falter“ beklagt, dass ein Antrag „zweistellig“ vertagt wurde. Die Kritik richtet sich freilich stets gegen die Koalition, da Ausschüsse nach der Mandatsstärke im Plenum zusammengesetzt sind: Die Koalition kann beschließen oder vertagen. Wie und warum ein Antrag vertagt wird, sei je nach Mandatarin bzw. Mandatar unterschiedlich, sagt ein langjähriger Klubmitarbeiter, der die Ausschussarbeit schon als Teil der Opposition und als Teil der Regierungskoalition miterlebt hat.

Es gebe Abgeordnete, die „schmerzbefreit“ agieren und ohne „große Begründung“ einen Antrag auf Vertagung stellen. Manchmal wird das Zögern vor einem Beschluss „gut begründet“, und manchmal äußern sich Koalitionsabgeordnete „fast entschuldigend“, weil man das Anliegen zwar gut finde, aber es im Koalitionspakt nicht vorgesehen ist. Genau dafür sei die Vertagung das „einfachste Mittel“, sagt der Klubreferent. Denn lehnt man einen fremden Antrag ab, gerät man in Kritik. Stimmt man ihm zu, sieht es aus, als biete man selbst keine passable Lösung für ein Problem.

„Prosa“ statt Paragrafen

Aber Vertagungen können laut den Befragten auch durchaus plausibel sein. „Manchmal fühlen sich Regierungsparteien von der Opposition überrumpelt. Es ist gescheit, wenn Anträge nicht gleich beschlossen werden, nur weil man die Absicht des Vorhabens goutiert“, sagt ein Parlamentsmitarbeiter. Es sei zwar möglich, auch im Plenum Anträge noch zu ändern. Aber der Ausschuss ist das „Arbeitsparlament“, wo inhaltlich ohne Bühne diskutiert werden kann. „Im besten Fall wird der Antrag unter Einbeziehung der Opposition später wieder aufgegriffen, im schlechtesten Fall dreht er weiter seine Runden.“

Auch wenn man über andere Instrumente öffentlichkeitswirksam für ein Thema werben kann, seien Vertagungen für Abgeordnete und Klubbeschäftigte „frustrierend“. Besonders in Gesetzesanträge werde viel Arbeit gesteckt, sagt ein erfahrener Parlamentsmitarbeiter. Nicht ohne Grund würden in den Ausschüssen oft nur Entschließungsanträge behandelt werden. Damit wird die Regierung aufgefordert, ein bestimmtes Vorhaben umzusetzen. „Das ist Prosa, wird schnell geschrieben und ist weniger aufwendig als ein Gesetzesantrag.“

Alle Befragten sind sich aber einig, dass von allen Klubs Vorschläge in Form von Gesetzesanträgen in den Fachausschüssen eingebracht werden sollen. „Für die Debatte ist es hilfreich, wenn schon aufgezeigt wird, was gesetzlich möglich und machbar ist“, sagt eine Person. Damit könne eine Diskussionsgrundlage geschaffen werden, selbst wenn später ein Antrag auf Vertagung gestellt wird. In einigen Fällen würden sich Opposition und Koalition ergänzen, selbst wenn es auf der öffentlichen Bühne öfters anders aussieht.