Rettungskräfte am Anschlagsort
Reuters/Reuters Tv
Flughafen Kabul

IS-Miliz bekennt sich zu Anschlag

Die Furcht vor einer Terrorattacke auf dem Flughafen von Kabul hat sich am Donnerstag bewahrheitet: Bei dem Doppelanschlag vor den Toren des Flughafens starben etliche Menschen, darunter auch zwölf US-Militärangehörige. Ein Ableger der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) reklamierte den Anschlag für sich.

Am Nachmittag gab es Explosionen nahe dem Flughafen, auf dem immer noch zahlreiche Menschen auf einen Flug ins Ausland hoffen. Ein Anschlag fand laut US-Verteidigungsministerium an einem Zugangstor zum Airport und ein weiterer beim nahe gelegenen Hotel Baron statt. Wenig später bestätigte das Pentagon mehrere Todesopfer, auch zwölf US-Soldaten kamen ums Leben, so das Pentagon.

Zu dem Doppelanschlag bekannte sich die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS). Wie das auf die Überwachung extremistischer Gruppen im Internet spezialisierte US-Unternehmen Site am Donnerstag mitteilte, erklärte der IS über sein Propagandasprachrohr Amak, einer seiner Kämpfer habe sich auf dem Flughafen in die Luft gesprengt. Der Kämpfer des regionalen IS-Ablegers Provinz Chorasan (ISKP) habe alle Sicherheitsabsperrungen überwinden und sich US-Soldaten auf „nicht mehr als fünf Meter“ nähern können. Er habe dann seine Sprengstoffweste detonieren lassen. Veröffentlicht wurde auch ein Foto des Angreifers.

In der Nacht war eine weitere Detonation in Kabul zu hören, wie Anrainer und Reporter der Nachrichtenagentur AFP angaben. Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid erklärte, die Explosion gehe darauf zurück, dass die US-Truppen Munition sprengten. Für die Bewohner von Kabul bestehe kein Anlass zur Sorge. Die Angaben konnten nicht von unabhängiger Seite bestätigt werden.

Tote nach Anschlägen am Flughafen in Kabul

Außerhalb des Flughafens der afghanischen Hauptstadt Kabul sind zwei Bomben detoniert, die laut BBC mindestens 60 Todesopfer forderten. Ersten Meldungen zufolge soll es sich um Selbstmordattentate handeln, für die die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) verantwortlich gemacht wird. Viele westliche Staaten haben ihre Evakuierungsflüge am Donnerstag eingestellt.

Deutschland beendet Mission

In den vergangenen Tagen hatte es zunehmend Warnungen vor Terroranschlägen rund um den Flughafen in Kabul gegeben. Die deutsche Bundeswehr hatte bereits am Dienstag berichtet, dass zunehmend potenzielle IS-Selbstmordattentäter in Kabul unterwegs seien. Ähnlich hatte sich US-Präsident Joe Biden geäußert. Zahlreiche Staaten riefen daher ihre Bürgerinnen und Bürger auf, den Flughafen nicht mehr aufzusuchen.

US-Sperrzone Flughafen Kabul mit ungefährer Lage des Hotels Baron.

Der Terroranschlag wird das US-Militär nach Angaben von Verteidigungsminister Lloyd Austin nicht davon abhalten, seinen Aufgaben weiter nachzukommen. Alles andere würde das von den getöteten Soldaten erbrachte Opfer entehren, so Austin am Donnerstagabend. Er sprach den Familienangehörigen und Kameraden der getöteten und verletzten US-Soldaten sein Beileid aus. „Wir bedauern ihren Tod. Wir werden ihre Wunden behandeln. Und wir werden die Familien unterstützen bei dem, was sicher erschütternde Trauer sein wird. Aber wir werden uns nicht von unserer Aufgabe abbringen lassen“, so Austin. Die USA wollen die Evakuierungsmission bis 31. August abschließen.

Belgien, Dänemark, Polen und Kanada stellten die Evakuierungen bereits ein. Auch die letzten deutschen Maschinen verließen Kabul am Donnerstag, alle deutschen Angehörigen der Evakuierungsmission wurden nach Angaben der deutschen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer ausgeflogen.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sagte am Donnerstag in Berlin, das sei ein „absolut niederträchtiger Anschlag in einer sehr, sehr angespannten Situation“. Auch nach dem Ende der Evakuierung werde sich Deutschland um von den Taliban bedrohte Menschen kümmern, so Merkel.

EU ruft zu Kampf gegen Terror auf

Frankreich will seine Evakuierungsflüge nach Möglichkeit fortsetzen. Präsident Emmanuel Macron sagte am Donnerstag, man werde alles versuchen, um noch „mehrere hundert Menschen“ aus Afghanistan zu retten. Der britische Premierminister Boris Johnson kündigte ebenso eine Fortsetzung des Evakuierungseinsatzes an. Er verurteilte die Tat als „barbarisch“ und sprach den USA sowie „dem afghanischen Volk“ sein Beileid aus. Es habe sich wohl um eine Serie von Attacken gehandelt, so Johnson weiter.

Analyse zur Lage in Afghanistan

ORF-Auslandsredaktionsschef Andreas Pfeifer und ORF-Korrespondent Christoph Kohl analysieren die Lage in Afghanistan nach der Explosion in der Nähe des Flughafens in Kabul. Ersten Meldungen zufolge soll es sich um Selbstmordattentate handeln, die zahlreiche Todesopfer forderten.

Die Spitzen der EU riefen nach dem Anschlag zu einer entschlossenen Fortsetzung des Kampfes gegen den Terrorismus auf. „Die internationale Gemeinschaft muss eng zusammenarbeiten, um ein Wiederaufflammen des Terrorismus in Afghanistan und an anderen Orten zu verhindern“, forderte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. EU-Ratspräsident Charles Michel sagte: „Wir müssen sicherstellen, dass die derzeitige Instabilität nicht zu einer Wiederholung des Terrorismus führt.“ Beide forderten zudem, alles zu tun, um die Sicherheit der Menschen auf dem Flughafen von Kabul zu gewährleisten. Ein sicherer Zugang bleibe unverzichtbar, so Michel. Der Anschlag wurde von den EU-Spitzen als feige, menschenverachtend und grausam verurteilt.

Noch immer großer Andrang

Noch immer wollen Tausende einen Flug ins Ausland erreichen. Ein Augenzeuge berichtete der dpa, dass der Andrang Schutzsuchender angesichts des baldigen Endes der Evakuierungsflüge weiterhin enorm sei. Die Menschen stünden „so eng aneinander wie Ziegel einer Mauer“. Bisher kamen entweder im Gedränge oder durch Schüsse auf dem Flughafen circa 50 Menschen ums Leben, wie der russische Botschafter in Afghanistan am Donnerstag sagte. „Auf dem Kabuler Flughafen herrscht Chaos, die Amerikaner können dort tatsächlich nichts sicherstellen“, sagte Dmitri Schirnow am Donnerstag im russischen Staatsfernsehen. „Es gibt dort Opfer. Etwa 50 gewöhnliche Menschen sind gestorben.“

Zahlreiche Personen in der Nähe eines Evakuierungs-Checkpoints am Flughafen in Kabul.
AP
Der Andrang auf den Flughafen war auch am Donnerstag enorm

Seit der Machtübernahme der militant-islamistischen Taliban versuchen Tausende Menschen, aus Afghanistan zu fliehen. Seit mehr als einer Woche versammeln sie sich an verschiedenen Eingängen des Flughafens, um auf einen Evakuierungsflug zu kommen. Bisher wurden rund 95.000 Menschen außer Landes gebracht. Der Flughafen wurde bisher vor allem durch US-Streitkräfte gesichert. In die Bresche springen könnte noch die Türkei. Laut einem Sprecher von Präsident Recep Tayyip Erdogan gebe es entsprechende Gespräche.

UNO-Treffen mit Vetomächten

Die USA halten unterdessen trotz Drängens der G-7-Staaten auf eine Verlängerung weiter an ihrem Truppenabzug bis zum 31. August fest. Die US-Regierung betonte aber, dass es keine „Frist“ für ihre Bemühungen gebe, ausreisewilligen US-Amerikanern und Afghanen zu helfen. Die Taliban hätten sich verpflichtet, Menschen über den 31. August hinaus sicheres Geleit zu ermöglichen, sagte Außenminister Antony Blinken.

Angesichts der Sicherheitslage lud UNO-Generalsekretär Antonio Guterres die Vetomächte zu einem Krisentreffen ein. Diplomatenkreisen zufolge sollen die Botschafter der USA, Chinas, Russlands, Großbritanniens und Frankreichs am Montag in New York mit dem UNO-Chef zusammenkommen, um sich über die Lage auszutauschen.

Keine Hinweise, dass Österreicher zu Schaden kamen

Das Außenministerium in Wien teilte mit, es gebe keinen Hinweis, dass Österreicher zu Schaden gekommen seien. Die Bemühungen, Österreicher und Personen mit österreichischer Aufenthaltserlaubnis bei der Ausreise zu unterstützen, liefen mit Hochdruck weiter, hieß es.

„Volle Solidarität im Kampf gegen Terrorismus und gewalttätigen Extremismus“, twitterte das Außenministerium. Die außenpolitische Sprecherin der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic, sah mit den Anschlag „die schlimmsten Befürchtungen eingetreten“. Sie forderte, dass weiterhin alles darangesetzt werde, dass auch nach dem Ende der Evakuierungsflüge den Menschen geholfen wird, die dringend Schutz benötigen.