Bundeskanzler Sebastian Kurz
APA/Herbert Pfarrhofer
ÖVP-Parteitag

Kurz will „Klimaschutz mit Hausverstand“

Vor Hunderten Delegierten hat ÖVP-Bundesparteivorsitzender und Bundeskanzler Sebastian Kurz beim Parteitag in St. Pölten am Samstag die Eckpunkte der türkisen Politik skizziert. Es sei in den letzten Monaten sicher nicht alles perfekt gelaufen, aber es sei dennoch viel geschafft worden. Als Politiker dürfe man nicht wehleidig sein, so Kurz, der sich kampfeslustig zeigte.

Nicht nur die Pandemie sei herausfordernd gewesen, so Kurz, sondern auch die Angriffe der anderen Parteien. Diese seien immer persönlicher geworden und härter, und er habe sich mitunter gefragt, ob er richtig sei an der Position. Die Erfahrung habe ihn stärker gemacht und „noch entschlossener“: „Mit mir könnt ihr rechnen“, bedankte er sich auch bei den anwesenden Parteivertretern und Parteivertreterinnen.

Kurz skizzierte dann fünf Bereiche, von denen er glaube, „dass sie für unser Land wirklich wichtig sind“: Entlastung, Arbeit, Ökologisierung, Digitalisierung und Migration. Wer früh aufstehe, solle auch von seiner Arbeit leben können, sagte der Bundeskanzler und versprach Steuersenkungen auf kleine und mittlere Einkommen sowie eine Eröhung des Familienbonus. Jeder, der arbeiten könne, solle auch arbeiten gehen, wobei man Arbeitssuchende auch unterstützen werde – das entspreche dem Menschenbild der ÖVP. Man wolle eine Gesellschaft, in der die Menschen die „Ärmel hochkrempeln und nicht nur die Hand aufhalten“.

Bundeskanzler Sebastian Kurz
APA/Herbert Pfarrhofer
Kurz wurde mit Standing Ovations empfangen

In Sachen Klimapolitik sagte er, im Herbst würden Ökologierungsschritte „mit Hausverstand und Vernunft“ gesetzt, es gebe kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch. Der Feind sei nicht das Auto, auf das viele Menschen auf dem Land angewiesen seien, oder die Straßen, sondern die Emissionen. Beim Thema Flucht und Migration wiederholte Kurz, dass er gegen die freiwillige Aufnahme weiterer Menschen sei. Österreich habe beim Schutz von Flüchtlingen bereits viel geleistet.

Leitantrag zu Migration, Pflege, Klimakrise

Migration, Wirtschaft, Digitalisierung, Pflege und die Klimakrise sind die inhaltlichen Schwerpunkte des Parteitags, wurde schon im Vorfeld bekannt. Konkret gibt es einen Leitantrag, der einen harten Migrationskurs vorgibt. So wird etwa gefordert, dass Sozialleistungen an die Voraussetzung einer gelungenen Integration geknüpft werden. Integration durch Leistung soll forciert werden, indem Deutsch- und Wertekurse ausgebaut und Sozialleistungen an die Voraussetzung einer gelungenen Integration geknüpft werden.

„Unser Kampf gegen illegale Migration und das Schlepperwesen muss entschlossen fortgesetzt werden“, bekräftigte die ÖVP ihre Position im Vorfeld. Darüber hinaus müsse der „politische Islam“ weiter konsequent bekämpft werden, „indem politische Organisationen verstärkt kontrolliert, entschlossen gegen Hass und Extremismus im Netz vorgegangen und ein Scharia-Verbot geschaffen wird“. Mit den Grünen werden diese Vorstellungen freilich schwer umsetzbar sein.

Zahlreiche Fotografen, Peter L. Eppinger und Bundeskanzler Sebastian Kurz vor Beginn des Parteitages
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Großer Andrang herrschte, als Kurz am Samstag beim Parteitag in die Halle kam

Partei forciert wirtschaftlichen Aufschwung

Ein weiteres Thema ist der wirtschaftliche Aufschwung nach der Coronavirus-Krise. Die ÖVP will die Lohnsteuertarifstufen weiter reduzieren und damit die Steuer- und Abgabenquote in Richtung 40 Prozent senken. Mit einem Gründerpaket sollen der Wirtschaftsstandort gestärkt und Unternehmensgründungen entbürokratisiert und vereinfacht werden. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Digitalisierung. Unter anderem sollen alle Schülerinnen und Schüler mit Laptops ausgestattet werden.

Auch wünscht sich die ÖVP einen Pflege-daheim-Bonus. Beim Klimaschutz wolle man „auf Technologieoffenheit in der Mobilität und synthetische Kraftstoffe anstatt Auto-Feindlichkeit und Straßenstopp setzen“ – freilich eine Spitze gegen den Koalitionspartner, hatte doch Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne) die Evaluierung aller ASFINAG-Bauprojekte vorgeschrieben. Weiters sollte heimischen Lebensmitteln Vorrang eingeräumt, „klimafitte Wälder“ sollten errichtet und nachhaltig arbeitende Agrarbetriebe gefördert werden.

Ergebnis am Nachmittag erwartet

Um 13.00 Uhr begann der offizielle Teil des Parteitags, unter Moderation von Peter L. Eppinger, mit Begrüßungsworten der Gastgeberin, Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner. Kurz selbst zog unter großem Jubel und unter Begleitung seiner schwangeren Freundin Susanne Thier in die Halle ein. Es gelte ein strenges Coronavirus-Sicherheitskonzept, hieß es aus der ÖVP.

ÖVP-Parteitag: Schwerpunkte für Herbst

Bundeskanzler Kurz (ÖVP) stellt sich auf dem ÖVP-Bundesparteitag am Samstag der Wiederwahl als Obmann der Volkspartei. Mit 98,7 Prozent der Delegiertenstimmen bei seinem ersten Antritt 2017 liegt die Latte hoch.

Neben Kurz werden auch seine Stellvertreter gewählt. Die aktuellen Vizes, Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer, die Bregenzer Stadträtin Veronika Marte und die steirische Wirtschaftslandesrätin Barbara Eibinger-Miedl treten wieder an, ebenso Finanzreferent Andreas Ottenschläger. Das Ergebnis wird gegen 16.00 Uhr vom Tiroler Landeshauptmann Günther Platter, der als Wahlleiter fungiert, verkündet. Im Anschluss soll sich Kurz noch einmal zu Wort melden.

Platter bezeichnete Kurz in seiner Rede als „zachen Burschn“, mit dem er schon einige 3.000er bezwungen habe, er freue sich sehr, dass Kurz erneut kandidiere. ÖVP-Klubobmann August Wöginger teilte dann nach einem entsprechenden Video gegen die Opposition aus, die alle gegen die ÖVP seien. Es sei okay, wenn sich Parteien und deren Vertreter für ihre Themen einsetzen, aber nicht in Ordnung, „wenn man nur anpatzt“. Dieses ständige Anpatzen schade der Politik insgesamt, „das wollen wir nicht“.

Wöginger teilt gegen Opposition aus

Wöginger sprach eine anstehende Pflegereform und „Klimaschutz mit Hausverstand“ als Ziele an. Die Zusammenarbeit mit den Grünen sei nicht immer einfach, aber man habe „viel zusammengebracht“. In seiner Gemeinde in Oberösterreich gebe es keine U-Bahn, richtete Wöginger dem Koalitionspartner aus. „Wir sind froh, wenn bei uns ein paar Mal am Tag der Bus vorbeifährt“, so Wöginger. „Der Pendler braucht das Auto, der Bauer den Traktor und der Unternehmer den Lastwagen, sonst funktioniert’s nicht.“

Er wies zudem den Vorwurf zurück, dass die ÖVP im Parlament nicht mit den anderen Parteien rede. „Wir sind keine Unmenschen, mit uns kann man reden.“ Und „wir reden mit den anderen, wenn wir wissen, mit wem wir reden sollen“, so Wöginger in Richtung SPÖ, die immer wieder um eine einheitliche Linie ringt. Der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil finde, dass zu viele Migranten nach Österreich kommen, der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig „will immer mehr hineinholen“.

Seit die ÖVP den Kanzler stelle, „sind alle gegen uns, alle gegen die Volkspartei“, meinte Wöginger. Kurz erzählte dann, dass ihm der ehemalige ÖVP-Vorsitzende Wolfgang Schüssel – wie Staatssekretärin Karoline Edtstadler beim Parteitag verhindert – auf die Frage, wann die Angriffe aufhörten, gesagt habe, das werde erst besser, „wenn die ÖVP nicht mehr an erster Stelle ist“.

Bauern demonstrierten vor Halle

Anwesend sind fast alle türkisen Regierungsmitglieder, Landeshauptleute, zahlreiche ehemalige ÖVP-Chefs und Landeshauptleute, Abgeordnete und viele andere Funktionäre. Empfangen wurden sie von einer für die Türkisen eher unangenehmen Demonstration. Zahlreiche Bauernfamilien hatten am Beginn der Veranstaltung lautstark gegen den Bau der S34 Traisental-Schnellstraße protestiert und mit ihren rund 50 Traktoren lärmend auf ihr Anliegen aufmerksam gemacht. Der ÖVP-Chef hatte sich zuletzt für den Bau einiger umstrittener Straßenbauprojekte ausgesprochen.

Sebastian Kurz, bei der Wahl zum Bundesparteiobmann der ÖVP 2017
APA/Hans Punz
Von Schwarz zu Türkis: Sebastian Kurz wurde nach dem Rücktritt von Reinhold Mitterlehner 2017 zum Parteiobmann gekürt

Kurz ist der vierte Parteichef, der sich heuer einer parteiinternen Wahl stellen muss. Vor ihm taten das Beate Meinl-Reisinger von NEOS und Herbert Kickl, der die FPÖ von Norbert Hofer übernahm. Kickl bekam 88,24 Prozent, Meinl-Reisinger 93 Prozent. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner musste sich nach einem mageren Ergebnis von nur 75 Prozent wochenlangen Debatten stellen.

Mit 98,7 Prozent hinter Mitterlehner

Kurz legte sich die Latte bei seiner ersten Kür 2017 hoch: Bei der Abstimmung am Parteitag vor vier Jahren erhielt er 98,7 Prozent der Delegiertenstimmen und somit das zweitbeste Ergebnis der jüngeren Parteigeschichte, die Bestmarke von 99,1 Prozent hält damit weiterhin ausgerechnet dessen Vorgänger Reinhold Mitterlehner.

Kurz’ Wahl zum Parteiobmann fand damals noch in einem ganz anderen Licht statt: Mitterlehner war nur wenige Wochen zuvor aufgrund monatelanger Machtkämpfe zurückgetreten – und sparte auch nicht mit Kritik an den eigenen Parteikollegen. Kurz galt in der Partei zu dem Zeitpunkt schon längst als Kanzlerhoffnung und als einzig logische Wahl für die Parteiführung – mit dessen Kür war auch das Ende der SPÖ-ÖVP-Koalition fix.

Von Schwarz zu Türkis

Mit Kurz’ Wahl zum Parteiobmann gingen damals auch eine Reihe von Änderungen, die er zur Voraussetzung für seinen Antritt als Obmann machte, einher: Die von ihm verlangte Statutenänderung bekam grünes Licht und gab Kurz weitgehend freie Hand bei wesentlichen Personal- und Strategieentscheidungen – sei es bei der Bestellung von Generalsekretären und Regierungsmitgliedern, der Erstellung von Wahllisten, sei es bei der inhaltlichen Positionierung.

Aber nicht nur das – auch die Umfärbung von Schwarz zu Türkis sowie die Vermarktung als „Die neue Volkspartei“ wurde damals vollzogen. Seit 2017 sind das ÖVP-Logo und auch die schwarze Farbe weitgehend aus der öffentlichen Erscheinung gewichen.

SPÖ kritisiert „Ego-Show“

Im Vorfeld des Parteitags hagelte es am Freitag auch noch Kritik der drei Oppositionsparteien SPÖ, FPÖ und NEOS. Die FPÖ zeigte sich empört darüber, dass das österreichische Bundesheer Afghanen, die in Österreich Asylstatus genießen, aus dem Krisengebiet holt. Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) würde „Asylbetrüger aus Afghanistan auf Staatskosten per Lufttaxi wieder nach Österreich holen“, so FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz.

SPÖ und NEOS nahmen die Ansagen von Kurz in Sachen CoV ins Visier. Der Kanzler hatte vor genau einem Jahr eine Rede zur Lage der Nation gehalten und dabei „das Licht am Ende des Tunnels“ verkündet. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch ortete ein „desaströses Corona-Management“. Auf die Selbstinszenierung des Kanzlers folgten die „Explosion der Corona-Zahlen, Dauerlockdown, Impfstoff-Desaster, Verantwortungsflucht und Vertrauensverlust“. Besonders fatal sei dabei „der Hang des Kanzlers zur Ego-Show, zu leeren Ankündigungen und Versprechungen, die sich in Luft auflösen“.

NEOS ortet „leere Versprechen“

Ähnlich bilanzierte auch NEOS: „Das Licht am Ende des Tunnels war einmal mehr politisches Phrasendreschen mit null Wahrheitsgehalt“, sagte der stellvertretende NEOS-Klubobmann Gerald Loacker. „Denn jedes Mal, wenn der Kanzler die Pandemie aus politischem Kalkül für beendet erklärt, wird es danach noch schlimmer.“ Die vielen „leeren Versprechen von Sebastian Kurz dienen nur der Ablenkung von den vielen Skandalen seiner türkisen Familie und der nächsten Schlagzeile, nicht den Menschen“, so Loacker.

Kritik von grünen Landesvertretern

Kritik kam im Vorfeld des Parteitags aber auch von Vorarlbergs Landesrat Johannes Rauch (Grüne), der hinter der harten Linie der ÖVP in Sachen Aufnahme besonders gefährdeter Personen aus Afghanistan Kalkül ortete: Auch wenn es seitens der ÖVP üblich sei, vor Parteitagen oder vor Landtagswahlen wie jetzt in Oberösterreich „Geräusche zu machen“, so sei das im Hinblick auf Afghanistan „jenseitig“ und „zurückzuweisen“, sagte er im Ö1-Interview.

Die Tiroler Grünen-Chefin Ingrid Felipe hoffte in der „Tiroler Tageszeitung“ (Wochenendausgabe) auf ein Signal des Parteitags gegen den „menschenverachtenden Kurs der türkisen Spitze“ in der Afghanistan-Frage: „Vielleicht wäre ein nicht ganz so tolles Votum für Kurz am Bundesparteitag ein Zeichen dafür.“ Greenpeace kritisierte im Vorfeld die geplante Absage gegen „Auto-Feindlichkeit“. Die Organisation fordert ein „Ende der türkisen Attacken auf den Umweltschutz“ und sieht „mit dem Festhalten am Zubetonieren Österreichs“ auch die Koalition aufs Spiel gesetzt.