US-Soldaten am Flughafen von Kabul
AP/Shekib Rahmani
Flughafen Kabul

Abzug des US-Militärs hat begonnen

Kurz vor dem Ende des Evakuierungseinsatzes hat das US-Militär nach eigenen Angaben mit dem Abzug seiner Truppen vom Flughafen Kabul begonnen. Der Prozess laufe, sagte der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, John Kirby, am Samstag. Zugleich betonte das Pentagon, dass der Flughafen Kabul weiterhin komplett unter Kontrolle des US-Militärs stehe. Befürchtet werden neue Anschläge – diese seien „sehr wahrscheinlich“.

Das Militär werde noch bis zum geplanten Abzug am Dienstag für Sicherheit und Betrieb des Airports verantwortlich sein, sagte Kirby. Alle Tore des Flughafens stünden weiter unter Kontrolle der US-Truppen. Damit widersprach Kirby einer Darstellung der militant-islamistischen Taliban, wonach die USA „zwei, drei“ Zugänge zum Flughafen in der Nacht zu Samstag an Kräfte der Islamisten übergeben hätten.

Die Taliban hätten Sicherheitskontrollen rund um den Flughafen errichtet, sagte Kirby. „Aber sie kontrollieren keine Tore, sie sind nicht am Flughafen und haben keine Rolle für die Sicherheit“. Die US-Truppen sollen Afghanistan nach Willen von US-Präsident Joe Biden bis Dienstag verlassen. Am Freitag waren noch mehr als 5.000 US-Soldatinnen und -Soldaten auf dem Flughafen Kabul stationiert gewesen.

Noch 350 US-Bürger im Land, 5.400 ausgeflogen

Kirby erklärte, das Militär werde aus Sicherheitsgründen zunächst keine neuen Zahlen zur Truppenstärke nennen. Das US-Militär werde noch bis zum Abschluss des Einsatzes westliche Staatsbürger und frühere afghanische Mitarbeiter ausfliegen können, betonte er. Nach Angaben des US-Außenministeriums sind noch rund 350 US-Bürgerinnen und US-Bürger in Afghanistan, die das Land verlassen wollen. Die Bemühungen, sie sicher außer Landes zu bringen, liefen rund um die Uhr, erklärte das Ministerium.

Britische Soldaten beim Verlassen des Flugzeugs
APA/AFP/Alastair Grant
Zurück auf heimischem Boden: Britische Soldaten beim Verlassen des Flugzeugs

Bisher seien seit der Machtübernahme der militant-islamistischen Taliban Mitte August insgesamt 5.400 US-Bürger und US-Bürgerinnen aus Afghanistan evakuiert worden, hieß es. Die US-Diplomaten stehen zudem mit rund 280 Menschen in Afghanistan in Kontakt, die sich als US-Bürger ausgegeben haben, aber bisher keine Informationen zu ihrer geplanten Abreise gemacht haben oder angegeben haben, vor Ort bleiben zu wollen, wie das Ministerium weiter erklärte.

GB: Flüge für Zivilisten aus Kabul beendet

Indes schloss am Samstag mit Großbritannien ein weiterer Staat die Evakuierung von Zivilisten aus Afghanistan ab. Wie das Verteidigungsministerium mitteilte, plant das Land keine weiteren Flüge eigens für Zivilisten. Fortgesetzt würden allerdings Flüge aus Kabul für britische Militärangehörige, bei denen auch eine kleine Anzahl an Afghanen mitgenommen werde.

Es sei „herzzerreißend“, dass man nicht in der Lage gewesen sei, mehr Menschen aus der Region zu holen, sagte Nick Carter, Chef des britischen Verteidigungsstabs, dem Sender BBC Radio 4. Zuvor hatten bereits Deutschland, Australien, Belgien, Dänemark, Polen, die Niederlande, Schweden, Spanien, Italien und Kanada ihre Rettungseinsätze beendet. Russland plant zumindest vorerst keine weiteren Flüge. Frankreich will die Flüge fortsetzen.

„Verbittert und frustriert“

„Die Möglichkeit für Ortskräfte Deutschlands, rauszufliegen, ist jetzt (…) nicht mehr vorhanden“, sagte am Freitag der Leiter des Patenschaftsnetzwerks Afghanische Ortskräfte, Marcus Grotian. Alle seien nach dem Ende der deutschen Luftbrücke und dem Anschlag vom Donnerstag „verbittert und frustriert und auch hoffnungslos, denn so richtig, wie es jetzt weitergehen soll, wissen sie alle nicht“, so Grotian zu Reuters TV.

Deutsche Truppen nach der Rückkehr von Kabul
Reuters/Fabian Bimmer
Deutsche Truppen nach der Rückkehr aus Kabul

Dass die radikalislamischen Taliban die früheren Ortskräfte einbinden könnten, hält er für unmöglich. Sie hätten schließlich 20 Jahre dabei geholfen, die Taliban zu bekämpfen. „In dem Sinne sind die quasi ja wie ein Stachel im eigenen Fleisch.“ Am Freitag gab das deutsche Außenministerium bekannt, dass es noch rund 10.000 Ortskräfte und zur Ausreise identifizierte Personen in Afghanistan gebe, die Zahl der Deutschen in Afghanistan schätzte man auf etwa 300. Den Zurückgelassenen versprach die Regierung in Berlin Hilfe.

Evakuierung auch auf dem Landweg

Auch die Außerlandesbringung von Österreichern wird zunehmend schwierig. Mehr als hundert Menschen sind nach Angaben des Außenministeriums vom Freitag bisher mit österreichischer Unterstützung aus Afghanistan außer Landes in Sicherheit gebracht worden.

Zum Teil sei das auch über den Landweg erfolgt, hieß es am Freitag gegenüber der APA. Derzeit seien aber immer „noch einige Dutzend“ österreichische Staatsbürger mit afghanischen Wurzeln in und um Kabul. Dazu kämen noch afghanische Staatsbürger, deren Aufenthalt in Österreich aber teilweise noch nicht abgeklärt sei.

Man werde weiterhin alle Möglichkeiten ausschöpfen, diese Personen aus Afghanistan zu bringen. Die zivilen Evakuierungsflüge der Partner seien aber beendet, teilte das Außenministerium mit. Über eigene Evakuierungsflüge verfügt Österreich nicht. Nun konzentrierten sich die laufenden Bemühungen auf eine Ausreise über den Landweg. Die österreichischen Stellen bemühten sich, einen Grenzübertritt in die Nachbarländer zu ermöglichen. Derzeit seien aber die Grenzen geschlossen.

Weiterer Anschlag auf Airport „sehr wahrscheinlich“

Gleichzeitig befürchten die USA einen weiteren Terroranschlag in Kabul. Die US-Botschaft veröffentlichte in der Nacht erneut eine Sicherheitswarnung und rief alle Landsleute dazu auf, die Gegend rund um die Eingangstore zum Flughafen sofort zu verlassen. Auch US-Präsident Biden sagte am Samstag, ein weiterer Anschlag auf den Kabuler Flughafen in den nächsten 24 bis 36 Stunden sei „sehr wahrscheinlich“. Biden sagte, die Lage vor Ort sei „nach wie vor extrem gefährlich, und die Gefahr von Terroranschlägen auf den Flughafen bleibt hoch“.

Menschen sammeln sich bei einem Checkpoint in der Nähe des Kabuler Flughafens
AP/Khwaja Tawfiq Sediqi
Checkpoint nahe dem Flughafen Kabul: Die Sicherheitslage nach dem Anschlag vom Donnerstag ist höchst angespannt

Taliban versprechen offene Grenzen

Die Taliban geben sich indes weiter gemäßigt. Am Freitag versprach ein ranghoher Vertreter zukünftig offene Grenzen und Reisefreiheit für alle Bürger mit gültigen Papieren. „Die Grenzen Afghanistans werden offen sein, und die Menschen werden jederzeit ein- und ausreisen können“, so Sher Mohammad Abbas Stanikzai, Vizechef der politischen Kommission der Taliban in einer Fernsehansprache.

Im öffentlichen Gesundheitssektor beschäftigte Frauen wurden unterdessen aufgefordert, ihre Arbeit wieder aufzunehmen. Das Gesundheitsministerium weise alle weiblichen Mitarbeiter in der Hauptstadt und den Provinzen an, an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren, hieß es in einem Tweet des Taliban-Sprechers Zabihullah Mujahid von Freitagabend. Der Ausübung ihrer Arbeit stehe nichts im Weg.

Taliban wollen bald Kabinett bekanntgeben

Auch bereiten sich die Taliban nach eigenen Angaben auf die Aufstellung einer Regierung vor. In den nächsten Tagen wollten sie das vollständige Kabinett bekanntgeben, sagte ein Taliban-Sprecher. Die Vertreter von wichtigen Behörden wie dem Gesundheits- und Bildungsministerium sowie der Zentralbank seien bereits ernannt worden. Zudem gehe man davon aus, dass die Turbulenzen der heimischen Währung bald enden dürften.

Zwei „hochrangige“ IS-Mitglieder getötet

Unterdessen wurde bekannt, dass bei dem US-Drohnenangriff auf den regionalen Ableger der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) in Afghanistan nach Angaben des Pentagon zwei „hochrangige“ Mitglieder der Extremistengruppe getötet wurden. Ein weiterer Dschihadist sei verletzt worden, sagte der US-General Hank Taylor bei einer Pressekonferenz am Samstag.

Einer der Getöteten sei ein „Planer“ des afghanisch-pakistanischen IS-Ablegers Islamischer Staat Provinz Khorasan (IS-K) gewesen. Zivilisten seien bei dem Drohnenangriff nicht zu Schaden gekommen, sagte Taylor. Die US-Armee hatte am Freitag erklärt, dass die von einem anderen Land aus gesteuerte Attacke in der Provinz Nangarhar erfolgt sei.

Biden: „Angriff war nicht der letzte“

US-Präsident Joe Biden hatte nach der blutigen Attacke von Kabul Rache geschworen. Bei dem Terrorangriff auf den Flughafen waren am Donnerstag Dutzende Menschen getötet worden – darunter 13 US-Soldaten. Laut „New York Times“ gab es neben 170 Todesopfern auch rund 200 Verletzte. Das Blatt berief sich in seinem am Freitag veröffentlichten Bericht (Onlineausgabe) auf Spitalsvertreter, die anonym bleiben wollten.

Biden drohte dem IS-Ableger in Afghanistan mit weiteren Vergeltungschlägen. „Der Angriff war nicht der letzte. Wir werden weiter alle Personen jagen, die in die abscheuliche Attacke verwickelt sind und diese zur Rechenschaft ziehen“, sagte Biden.

Getötete Soldaten zwischen 20 und 31 Jahre alt

Die getöteten US-Soldaten waren zwischen 20 und 31 Jahre alt. Unter den Opfern waren elf Marineinfanteristen und je ein Soldat des Heeres und der Marine, wie das US-Verteidigungsministerium am Samstag bekanntgab. Fünf der Marineinfanteristen waren gerade mal 20 Jahre alt. Unter den Opfern waren auch eine 23 sowie eine 25 Jahre alte Soldatin.

Elf der Opfer waren zwischen 20 und 23 Jahre alt, ein Soldat war 31. Das Ministerium veröffentlichte, wie in den USA üblich, auch die vollen Namen der Getöteten. Über die Dutzenden zivilen Opfer ist hingegen bislang wenig bekannt. Die Särge der getöteten Soldaten waren in einem Flugzeug auf dem Weg in die USA, wie der Sprecher des Pentagons, John Kirby, am Samstag erklärte.