Bundeskanzler Sebastian Kurz im Rahmen des Parteitages
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99,4 Prozent

Rückenwind für Kurz bei ÖVP-Parteitag

Eine ordentliche Portion Rückenwind hat Bundeskanzler Sebastian Kurz am Samstag von seiner eigenen Partei bekommen: Die Türkisen bestätigten Kurz mit 99,4 Prozent als Bundesparteiobmann. Inhaltlich wurden die eigenen Anhängerinnen und Anhänger in St. Pölten mit türkisen Klassikern bedient – von Migration bis Steuerentlastung. Während es gegen den Grünen Koalitionspartner nur sanfte Spitzen gab, fuhr die ÖVP gegen die Opposition scharfe Geschütze auf.

Die Erzählung „Alle gegen uns“ und die mehrfache Aufforderung, ein Signal des Zusammenhalts zu senden, wurde von den türkisen Delegierten fast kollektiv erhört: Mit den 99,4 Prozent Zustimmung (533 von 536 Delegierte stimmten für ihn) übertraf der 35-jährige Kurz noch einmal seine hohe Zustimmung bei seinem ersten Antritt 2017 – damals hatten 98,7 Prozent der Delegierten für ihn gestimmt.

Kurz bedankte sich nach der Verkündung des Ergebnisses bei allen Beteiligten und Anwesenden. „Es ist wirklich ein schöner Tag“, sagte der wiedergewählte ÖVP-Obmann. „Ich nehme die Wahl an und möchte mich wirklich für diesen starken Rückhalt bedanken. Das gibt mir sehr viel Kraft“, so Kurz.

Auch Stellvertreter gewählt

Neben Kurz wurden auch seine Stellvertreter gewählt, die alle wieder antraten. Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer und die steirische Wirtschaftslandesrätin Barbara Eibinger-Miedl erhielt ebenso wie Finanzreferent Andreas Ottenschläger 100 Prozent. Die Bregenzer Stadträtin Veronika Marte bekam wie Kurz 99,4 Prozent.

Am frühen Nachmittag hatte der offizielle Teil des 39. Parteitags der ÖVP, unter Moderation von Peter L. Eppinger, mit Begrüßungsworten der Gastgeberin, Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, begonnen. Kurz selbst zog unter großem Jubel und unter Begleitung seiner schwangeren Freundin Susanne Thier in die Halle ein. Es gelte ein strenges Coronavirus-Sicherheitskonzept, hieß es aus der ÖVP – auf Videobildern war zu sehen, dass keiner und keine der Anwesenden Maske trug.

Andreas Ottenschläger, Barbara Eibinger-Miedl, Sebastian Kurz, Veronika Marte und Thomas Stelzer
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Kurz hier mit seinen Stellvertretern und Stellvertreterinnen

Fünf Punkte für türkise Politik skizziert

Nicht nur die Pandemie sei herausfordernd gewesen, so Kurz in seiner Rede vor der Wahl, sondern auch die Angriffe der anderen Parteien. Diese seien immer persönlicher geworden und härter, und er habe sich mitunter gefragt, ob er richtig sei an der Position. Die Erfahrung habe ihn stärker gemacht und „noch entschlossener“: „Mit mir könnt ihr rechnen“, bedankte er sich auch bei den Parteivertretern und Parteivertreterinnen.

Unmittelbar vor der Kür skizzierte er in seiner Rede fünf Bereiche, von denen er glaube, „dass sie für unser Land wirklich wichtig sind“: Entlastung, Arbeit, Ökologisierung, Digitalisierung und Migration. Wer früh aufstehe, solle auch von seiner Arbeit leben können, sagte der Bundeskanzler und versprach Steuersenkungen auf kleine und mittlere Einkommen sowie eine Erhöhung des Familienbonus. Jeder, der arbeiten könne, solle auch arbeiten gehen, wobei man Arbeitssuchende auch unterstützen werde – das entspreche dem Menschenbild der ÖVP: Man wolle eine Gesellschaft, in der die Menschen die „Ärmel hochkrempeln und nicht nur die Hand aufhalten“.

Bundeskanzler Sebastian Kurz
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Kurz wurde mit Standing Ovations empfangen

In Sachen Klimapolitik sagte er, im Herbst würden Ökologisierungsschritte „mit Hausverstand und Vernunft“ gesetzt, es gebe kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch. Der Feind sei nicht das Auto, auf das viele Menschen auf dem Land angewiesen seien, oder die Straßen, sondern die Emissionen. Beim Thema Flucht und Migration wiederholte Kurz, dass er gegen die freiwillige Aufnahme weiterer Menschen sei. Österreich habe beim Schutz von Flüchtlingen bereits viel geleistet.

Leitantrag zu Migration, Pflege, Klimakrise

Migration, Wirtschaft, Digitalisierung, Pflege und die Klimakrise als inhaltliche Schwerpunkte des Parteitags waren bereits im Vorfeld bekannt. Konkret gibt es einen Leitantrag, der einen harten Migrationskurs vorgibt. So wurde etwa gefordert, dass Sozialleistungen an die Voraussetzung einer gelungenen Integration geknüpft werden. Integration durch Leistung soll forciert werden, indem Deutsch- und Wertekurse ausgebaut und Sozialleistungen an die Voraussetzung einer gelungenen Integration geknüpft werden.

„Unser Kampf gegen illegale Migration und das Schlepperwesen muss entschlossen fortgesetzt werden“, bekräftigte die ÖVP ihre Position im Vorfeld. Darüber hinaus müsse der „politische Islam“ weiter konsequent bekämpft werden, „indem politische Organisationen verstärkt kontrolliert, entschlossen gegen Hass und Extremismus im Netz vorgegangen und ein Scharia-Verbot geschaffen wird“. Mit den Grünen werden diese Vorstellungen freilich schwer umsetzbar sein.

Zahlreiche Fotografen, Peter L. Eppinger und Bundeskanzler Sebastian Kurz vor Beginn des Parteitages
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Großer Andrang herrschte, als Kurz am Samstag beim Parteitag in die Halle kam

Partei forciert wirtschaftlichen Aufschwung

Ein weiteres Thema: der wirtschaftliche Aufschwung nach der Coronavirus-Krise. Die ÖVP will die Lohnsteuertarifstufen weiter reduzieren und damit die Steuer- und Abgabenquote in Richtung 40 Prozent senken. Mit einem Gründerpaket sollen der Wirtschaftsstandort gestärkt und Unternehmensgründungen entbürokratisiert und vereinfacht werden. Im Rahmen der Digitalisierung sollen unter anderem alle Schülerinnen und Schüler mit Laptops ausgestattet werden.

Auch wünscht sich die ÖVP einen Pflege-daheim-Bonus. Beim Klimaschutz wolle man „auf Technologieoffenheit in der Mobilität und synthetische Kraftstoffe anstatt Auto-Feindlichkeit und Straßenstopp setzen“ – freilich eine Spitze gegen den Koalitionspartner, hatte doch Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne) die Evaluierung aller ASFINAG-Bauprojekte vorgeschrieben. Weiters sollte heimischen Lebensmitteln Vorrang eingeräumt, „klimafitte Wälder“ sollten errichtet und nachhaltig arbeitende Agrarbetriebe gefördert werden.

Wöginger teilte gegen Opposition aus

Der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter, der am Samstag als Wahlleiter fungierte, bezeichnete Kurz in seiner Rede vor der Wahl als „zachen Burschn“, mit dem er schon einige 3.000er bezwungen habe, er freue sich sehr, dass Kurz erneut kandidiere. ÖVP-Klubobmann August Wöginger teilte dann nach einem entsprechenden Video gegen die Opposition aus, die alle gegen die ÖVP seien. Es sei okay, wenn sich Parteien und deren Vertreter für ihre Themen einsetzen, aber nicht in Ordnung, „wenn man nur anpatzt“. Dieses ständige Anpatzen schade der Politik insgesamt, „das wollen wir nicht“.

Wöginger sprach eine anstehende Pflegereform und „Klimaschutz mit Hausverstand“ als Ziele an. Die Zusammenarbeit mit den Grünen sei nicht immer einfach, aber man habe „viel zusammengebracht“. In seiner Gemeinde in Oberösterreich gebe es keine U-Bahn, richtete Wöginger dem Koalitionspartner aus. „Wir sind froh, wenn bei uns ein paar Mal am Tag der Bus vorbeifährt“, so Wöginger. „Der Pendler braucht das Auto, der Bauer den Traktor und der Unternehmer den Lastwagen, sonst funktioniert’s nicht.“

„Wir sind keine Unmenschen“

Er wies zudem den Vorwurf zurück, dass die ÖVP im Parlament nicht mit den anderen Parteien rede. „Wir sind keine Unmenschen, mit uns kann man reden.“ Und „wir reden mit den anderen, wenn wir wissen, mit wem wir reden sollen“, so Wöginger in Richtung SPÖ, die immer wieder um eine einheitliche Linie ringt.

Der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil finde, dass zu viele Migranten nach Österreich kommen, der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig „will immer mehr hineinholen“. FPÖ-Chef Herbert Kickl wiederum demonstriere mit Rechtsextremen und wolle das Coronavirus mit frischer Luft bekämpfen, und die NEOS seien dort, wo sie mitregieren, ohnehin nicht spürbar.

Seit die ÖVP den Kanzler stelle, „sind alle gegen uns, alle gegen die Volkspartei“, meinte Wöginger. Kurz erzählte dann, dass ihm der ehemalige ÖVP-Vorsitzende Wolfgang Schüssel – wie Staatssekretärin Karoline Edtstadler beim Parteitag verhindert – auf die Frage, wann die Angriffe aufhörten, gesagt habe, das werde erst besser, „wenn die ÖVP nicht mehr an erster Stelle ist“.

Bauern demonstrierten vor Halle

Anwesend waren fast alle türkisen Regierungsmitglieder, Landeshauptleute, zahlreiche ehemalige ÖVP-Chefs und Landeshauptleute, Abgeordnete und viele andere Funktionäre. Empfangen wurden sie von einer für die Türkisen eher unangenehmen Demonstration. Zahlreiche Bauernfamilien hatten am Beginn der Veranstaltung lautstark gegen den Bau der S34 Traisental-Schnellstraße protestiert und mit ihren rund 50 Traktoren lärmend auf ihr Anliegen aufmerksam gemacht. Der ÖVP-Chef hatte sich zuletzt für den Bau einiger umstrittener Straßenbauprojekte ausgesprochen.

Kurz ist der vierte Parteichef, der sich heuer einer parteiinternen Wahl stellen musste. Vor ihm taten das Beate Meinl-Reisinger von NEOS und Herbert Kickl, der die FPÖ von Norbert Hofer übernahm. Kickl bekam 88,24 Prozent, Meinl-Reisinger 93 Prozent. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner musste sich nach einem mageren Ergebnis von nur 75 Prozent wochenlangen Debatten stellen.

SPÖ: „Substanzlose Inszenierung“

SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch ortete in einer Aussendung im Parteitag eine „substanzlose Inszenierung der türkisen Truppe“ und bezeichnete die ÖVP als „seelenlosen Anbetungsverein“. Angriffe auf das Parlament, die Kirche, Justiz und Medien sowie das Management der CoV-Krise würden ein verheerendes Bild auf die ÖVP unter Kurz werfen. Dass sich die ÖVP und Kurz an ihrem Parteitag in einem Video und der Rede von Wöginger in Opferpose werfe, sei „vollkommen absurd“.

„Heiße Luft und politische Blendgranaten“ sah auch FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz als Hauptbestandteile des Parteitags, auf dem Kurz „wie einem Sektenführer gehuldigt wurde“. Als „groteskes Highlight“ bezeichnete er, dass Wöginger den Umgangston im Parlament beklagt habe, „um gleich darauf die Opposition zu beschimpfen“. Der Parteitag habe gezeigt, dass es der ÖVP um „Inszenierung und nicht um Inhalte gehe“.

„Wenig überzeugt“ zeigte sich auch NEOS-Generalsekretär Douglas Hoyos von Kurz’ Rede. Es gebe bis jetzt nicht mehr als „Überschriften, Ankündigungen und Pressekonferenzen“, das sei zu wenig, um notwendige Reformen anzugehen. NEOS stehe für ernsthafte Kooperation bereit, etwa bei der Abschaffung der Kalten Progression oder einer „echten ökologischen Steuerreform“. Er erwarte sich aber eine konstruktive, ehrliche Politik mit Anstand, Kurz müsse aufhören, die Gesellschaft mit seiner Politik zu spalten, „egal ob es um innere Sicherheit, Integration oder Asyl geht“.