Luftbild vom Gelände des Hamid Karzai International Flughafens
Reuters/Maxar Technologies
„Konkrete Gefahr“

US-Warnung vor neuem Anschlag in Kabul

Kurz vor dem Ende des Evakuierungseinsatzes in Afghanistan hat US-Präsident Joe Biden vor weiteren Anschlägen gegen die US-Streitkräfte gewarnt. Die US-Botschaft rief US-Bürgerinnen und -Bürger dazu auf, den Flughafen wegen einer „konkreten, glaubwürdigen Bedrohung“ zu verlassen. Die US-Truppen begannen unterdessen ihren Abzug aus Kabul.

Die Lage sei weiterhin „extrem gefährlich“ und das Risiko von Terroranschlägen auf den Flughafen von Kabul hoch, erklärte Biden am Samstag in Washington. Das Militär halte einen Anschlag in den nächsten 24 bis 36 Stunden für „sehr wahrscheinlich“. Er habe die Streitkräfte angewiesen, sämtliche Vorkehrungen zu treffen, um jene Truppen zu schützen, die den Flughafen sichern und dabei helfen, Leute außer Landes zu bringen.

Erst am Vortag sprach die US-Botschaft bereits eine ähnliche Warnung aus und wies Menschen an, dem Flughafen fernzubleiben. Die Warnung des US-Präsidenten führte am Sonntag offenbar dazu, dass zahlreiche Menschen dem Flughafen fernblieben. Das berichtet die Nachrichtenagentur Reuters und beruft sich dabei auf Aussagen eines westlichen Sicherheitsbeamten.

US-Soldatin begleitet ein minderjähriges Mädchen auf dem Kabuler Flughafen
AP/U.S. Marine Corps/Staff Sgt. Victor Mancilla
Die USA warnten vor neuen Anschlägen, die Evakuierungen, hier ein Bild von unter der Woche, sind in der letzten Phase

Die US-Truppen befinden sich in der letzten Phase der Evakuierungen. Etwas mehr als tausend Zivilistinnen und Zivilisten warteten auf dem Flughafen Kabul zurzeit darauf, ausgeflogen zu werden, teilte der Sicherheitsbeamte mit. Biden will am Plan der USA festhalten, bis 31. August Afghanistan zu verlassen.

Taliban warten auf „Kopfnicken“ der USA

Die Taliban warten unterdessen auf die Übernahme des Flughafens in Kabul. Laut Taliban-Angaben habe man mit den USA eine rasche Übergabe vereinbart. „Wir warten auf das abschließende Kopfnicken der Amerikaner, um die vollständige Kontrolle über den Kabuler Flughafen zu übernehmen“, sagte ein Sprecher gegenüber Reuters. Nach seinen Worten verfügten die Taliban über ein Expertenteam, das in der Lage sei, die Flughafentechnik zu bedienen.

Biden kündigt weitere Luftangriffe an

Nach dem Vergeltungsschlag gegen Terroristen des örtlichen Ablegers der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) kündigte Biden zuvor weitere Luftangriffe an. „Dieser Angriff war nicht der letzte“, versprach Biden am Samstag. Mit Blick auf den verheerenden Terroranschlag in Kabul vom Donnerstag fügte er hinzu: „Wir werden weiterhin alle Personen, die in diesen niederträchtigen Anschlag verwickelt waren, jagen, fassen und dafür bezahlen lassen.“ Bei dem Anschlag waren 13 US-Soldaten und Dutzende weitere Menschen getötet worden. Die Soldaten und Soldatinnen waren zwischen 20 und 31 Jahre alt.

Biden warnt vor neuem Anschlag in Kabul

Kurz vor dem Ende des Evakuierungseinsatzes in Afghanistan hat US-Präsident Joe Biden eindringlich vor weiteren Anschlägen gegen amerikanische Soldaten gewarnt.

Zwei „hochrangige“ IS-Mitglieder getötet

Unterdessen wurde bekannt, dass bei dem US-Drohnenangriff auf den regionalen Ableger des IS nach Angaben des Pentagon zwei „hochrangige“ Mitglieder der Extremistengruppe getötet wurden. Ein weiterer Dschihadist sei verletzt worden, sagte der US-General Hank Taylor bei einer Pressekonferenz am Samstag.

Deutscher Soldat bei der Koordination der Evakuierung des Kabuler Flughafens
Reuters/Us Marines
Noch warten einige Menschen auf ihre Ausreise

Einer der Getöteten sei ein „Planer“ des afghanisch-pakistanischen IS-Ablegers Islamischer Staat Khorasan (IS-K) gewesen. Zivilisten seien bei dem Drohnenangriff nicht zu Schaden gekommen, sagte Taylor. Die US-Armee hatte am Freitag erklärt, dass die von einem anderen Land aus gesteuerte Attacke in der Provinz Nangarhar erfolgt sei.

GB: Flüge für Zivilisten aus Kabul beendet

Indes schloss am Samstag mit Großbritannien ein weiterer Staat die Evakuierung von Zivilisten aus Afghanistan ab. Wie das Verteidigungsministerium mitteilte, plant das Land keine weiteren Flüge eigens für Zivilisten. Fortgesetzt würden allerdings Flüge aus Kabul für britische Militärangehörige, bei denen auch eine kleine Anzahl an Afghanen mitgenommen werde.

Britische Soldaten beim Verlassen des Flugzeugs
APA/AFP/Alastair Grant
Zurück auf heimischem Boden: Britische Soldaten beim Verlassen des Flugzeugs

Es sei „herzzerreißend“, dass man nicht in der Lage gewesen sei, mehr Menschen aus der Region zu holen, sagte Nick Carter, Chef des britischen Verteidigungsstabs, dem Sender BBC Radio 4. Zuvor hatten bereits Deutschland, Australien, Belgien, Dänemark, Polen, die Niederlande, Schweden, Spanien, Italien und Kanada ihre Rettungseinsätze beendet. Russland plant zumindest vorerst keine weiteren Flüge. Frankreich will die Flüge fortsetzen.

Nach dem Ende der britischen Rettungsmission in Afghanistan hat Großbritanniens Premier Boris Johnson Bilanz des 20 Jahre währenden Militäreinsatzes in dem Land gezogen. „Ihr Leid und Ihre Entbehrungen waren nicht umsonst“, sagte der Regierungschef an die Hinterbliebenen getöteter Militärangehöriger gerichtet. Es sei kein Zufall, dass in den vergangenen zwei Jahrzehnten kein westliches Land zum Ziel von in Afghanistan geplanten Terrorangriffen geworden sei, so Johnson in einer Videobotschaft, die am Sonntag auf Twitter veröffentlicht wurde.

Frankreich will UNO-Sicherheitszone für Evakuierungen

Frankreich möchte sich unterdessen mit Großbritannien für die Schaffung einer UNO-Sicherheitszone in Kabul einsetzen, um von dort aus Evakuierungen nach dem Abzug der Amerikaner fortsetzen zu können. Das sei Ziel einer gemeinsamen Resolution bei einer Dringlichkeitssitzung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen am Montag, sagte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron der Sonntagszeitung „Le Journal du Dimanche“.

„Unser Resolutionsentwurf zielt darauf ab, eine Sicherheitszone in Kabul zu definieren, die eine Fortsetzung der humanitären Operationen ermöglicht“, sagte Macron. „Das würde einen UNO-Rahmen für dringende Maßnahmen schaffen und vor allem alle Beteiligten vor ihre Verantwortung stellen, und der internationalen Gemeinschaft ermöglichen, den Druck auf die Taliban aufrechtzuerhalten.“

„Was wir versuchen ist, gezielte humanitäre Einsätze für Evakuierungen organisieren zu können, die nicht über den Militärflughafen in Kabul abgewickelt werden“, sagte Macron der Zeitung. „Es geht darum, diese bedrohten Afghanen zu schützen und sie in den nächsten Tagen oder Wochen aus dem Land zu bringen.“ Man werde sehen, ob das über den zivilen Flughafen von Kabul oder über die Nachbarländer geschehen kann.

Taliban wollen bald Kabinett bekanntgeben

Auch bereiten sich die Taliban nach eigenen Angaben auf die Aufstellung einer Regierung vor. In den nächsten Tagen wollten sie das vollständige Kabinett bekanntgeben, sagte ein Taliban-Sprecher. Die Vertreter von wichtigen Behörden wie dem Gesundheits- und Bildungsministerium sowie der Zentralbank seien bereits ernannt worden. Zudem gehe man davon aus, dass die Turbulenzen der heimischen Währung bald enden dürften.

Stammesführer und regionale Herrscher forderten unterdessen eine Beteiligung an der Regierung. Eine Gruppe afghanischer Führer, darunter zwei regionale Machthaber, wolle sich deswegen in den nächsten Wochen mit Vertretern der Islamisten treffen. Es sei wichtig, dass insbesondere die traditionellen Führer in die Regierungsbildung einbezogen würden, sagte Chalid Nur, Sohn von Atta Mohammad Nur, einst mächtiger Gouverneur der nordafghanischen Provinz Balkh. Der 27-Jährige warnte vor einem Scheitern der Verhandlungen mit den Taliban. Denn dann würde sich die Gruppe auf den bewaffneten Widerstand gegen die Taliban vorbereiten. „Eine Kapitulation kommt für uns nicht infrage.“