Luftaufnahme des Flughafen in Kabul.
AP/Planet Labs Inc./Planet Labs Inc.
Kabul

Raketenangriff auf Flughafen abgewehrt

Die Evakuierungsaktion der USA und ihrer westlichen Verbündeten in Afghanistan neigt sich dem Ende zu. Inmitten der finalen Phase gab es Montagfrüh einen Raketenangriff auf den Kabuler Flughafen. Nach Angaben der US-Streitkräfte wurden bis zu fünf Geschoße vom Raketenabwehrsystems des Flughafens abgefangen.

Opfer oder Schäden dürfte es nicht gegeben haben. Das Raketenabwehrsystem des Flughafens war erst vor wenigen Wochen getestet worden. Die Raketen dürften von einem Auto aus abgefeuert worden sein. Bilder des ausgebrannten Fahrzeugs machten in sozialen Netzwerken die Runde.

US-Präsident Joe Biden hatte am Sonntag vor möglichen weiteren Anschlagen auf den Flughafen und dessen Umgebung gewarnt. Erst am Donnerstag waren bei einem Anschlag der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) auf dem Flughafen mindestens 13 US-Soldaten – und -Soldatinnen sowie zwei Briten ums Leben gekommen. Die Angaben über die afghanischen Todesopfer schwanken, Sender wie CNN sprachen von bis zu 200 Toten.

Bild zeigt eine zerstörte Raketen Abschussvorrichtung in einem abgebrannten Fahrzeug.
AP/Khwaja Tawfiq Sediqi
Ein Bild des Autos, aus dem die Raketen Richtung Flughafen abgefeuert wurden. Die Rohre dürften die Abschussvorrichtungen sein.

Bisher 114.000 Menschen ausgeflogen

Die militärische Evakuierungsmission geht indes unter extrem gefährlichen Bedingungen in ihre Endphase. Gleichzeitig gehen internationale Bemühungen weiter, auch nach dem bis Dienstag geplanten vollständigen Abzug der US-Streitkräfte Menschen eine sichere Ausreise aus Afghanistan zu ermöglichen. Seit dem 15. August wurden etwa 114.00 Menschen aus Afghanistan herausgebracht.

Zugleich wollen die EU-Innenminister aber offenbar „unkontrollierte Bewegungen großer Immigrantengruppen“ aus Afghanistan verhindern. Das geht aus einem Reuters vorliegenden Entwurf hervor, den die Innenminister am Dienstag in einer Dringlichkeitssitzung erklären wollen. Laut diesem Entwurf sollen neue Sicherheitsrisiken für EU-Bürger und -Bürgerinnen abgewendet werden.

UNO-Sicherheitszone gefordert

Am Montag wollen UNO-Generalsekretär Antonio Guterres und die Vertreter der ständigen Sicherheitsratsmitglieder über eine mögliche UNO-Sicherheitszone in Kabul sprechen. Frankreich und Großbritannien wollen das im UNO-Sicherheitsrat durchsetzen. „Unser Resolutionsentwurf zielt darauf ab, eine Sicherheitszone in Kabul zu definieren, die eine Fortsetzung der humanitären Operationen ermöglicht“, sagte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.

Außenminister Alexander Schallenberg und Innenminister Karl Nehammer (beide ÖVP) sehen nun vor allem die Vereinten Nationen gefordert und verlangen eine rasche Geberkonferenz auf UNO-Ebene. Beide Minister nehmen am Montag an einer Konferenz mit Vertretern aus Deutschland, Griechenland, Dänemark und zentralasiatischen Ländern teil. Dabei wollen sich die Politiker ein Bild der Lage machen und den humanitären Bedarf eruieren. Zunächst gehe es darum, Vertrauen aufzubauen und „auf Augenhöhe zu kommunizieren“, so Nehammer. Abschiebung in diese Länder sei ein wichtiges Thema, gehöre aber derzeit nachgereiht.

Bisher seien 109 österreichische Staatsbürger und Menschen mit gültigem Aufenthaltstitel aus Afghanistan gebracht worden, sagte Schallenberg. Man bemühe sich weiterhin, Menschen außer Landes zu bringen. Das habe sich derzeit auf den Landweg verlagert – vor allem über Pakistan. Es meldeten sich aber täglich neue Menschen, die Hilfe bei der Ausreise erbitten, so Schallenberg.

Maas auf Krisenmission

Der deutsche Außenminister Heiko Maas reist persönlich in einer eiligen Krisenmission durch fünf Länder, die eine Rolle für die Ausreise schutzbedürftiger Menschen spielen. Dazu zählt auch das arabische Golfemirat Katar, das einen besonders guten Draht zu den Taliban hat. Usbekistan gab laut Maas bereits seine Zusage, die Ausreise von Deutschen, Ortskräften und Schutzbedürftigen aus Afghanistan zu unterstützen.

Es gehe Deutschland nur um den Transit der Menschen, die von Usbekistan weiter nach Deutschland ausgeflogen werden sollen. Derzeit weist Usbekistan viele Flüchtlinge aus Afghanistan an der Grenze zurück. Es sei schwierig, in der zweiten Evakuierungsphase nach dem Ende der Militärflüge Menschen über den Landweg aus Afghanistan zu holen, so Maas.

Verhandlungen über Flughafenbetrieb

Unterdessen laufen die Verhandlungen zwischen den NATO-Ländern und den Taliban über den Weiterbetrieb des Kabuler Flughafens. Laut Taliban-Angaben vereinbarte man mit den USA eine rasche Übergabe. „Wir warten auf das abschließende Kopfnicken der Amerikaner, um die vollständige Kontrolle über den Kabuler Flughafen zu übernehmen“, sagte ein Sprecher gegenüber Reuters. Nach seinen Worten verfügten die Taliban über ein Expertenteam, das in der Lage sei, die Flughafentechnik zu bedienen.

Menschenmenge vor Evakuierung auf dem Flughafen von Kabul
Reuters/Italienisches Verteidigungsministerium
Die Türkei könnte künftig den operativen Betrieb des Flughafens Kabul übernehmen

Der Vorschlag der Taliban, wonach die Türkei künftig für den operativen Betrieb und sie nur für die Absicherung des Airports zuständig sein sollen, wurde vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan mit Skepsis quittiert. Die vorgeschlagene Aufgabenteilung sei schwierig umzusetzen, sagte Erdogan am Sonntag im Zuge laufender Verhandlungen über die künftige Absicherung.

Türkei prüft Betrieb des Flughafens

Trotz der geäußerten Skepsis Erdogans prüft die Türkei nach Angaben von Außenminister Mevlüt Cavusoglu den Betrieb des Flughafens. Zu den Reparaturen und dem Betrieb brauche man Personal und Anlagen, fügte Cavusoglu hinzu. Dabei sei es wichtig, von den Taliban Sicherheitsgarantien zu bekommen. Deutschland kündigte finanzielle und technische Hilfe beim Wiederaufbau des schwer beschädigten Flughafens an.

Forderung nach Sicherheitszone

Frankreich und Großbritannien wollen sich für eine UNO-Sicherheitszone um den Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul einsetzen, um weitere Evakuierungen zu gewährleisten.

Bisher spielte die NATO für das Funktionieren des Flughafens eine große Rolle: Zivilpersonal des Militärbündnisses übernahm die Luftverkehrskontrolle, Treibstoffversorgung und Kommunikation, während Soldaten aus der Türkei, den USA, Großbritannien und Aserbaidschan für die Sicherheit zuständig waren.

Taliban sichern geordnete Ausreise von Ortskräften zu

Unterdessen versicherten die Taliban mehreren Ländern, dass ihre Staatsbürgerinnen und Staatsbürger und Ortskräfte aus dem Land ausreisen dürfen. Man habe von den Taliban Zusicherungen erhalten, dass „alle ausländischen Staatsangehörigen und alle afghanischen Staatsbürger mit einer Reisegenehmigung aus unseren Ländern sicher und geordnet zu Abflugorten sowie aus dem Land reisen dürfen“, hieß es in einer am Sonntag veröffentlichten gemeinsamen Erklärung von fast 100 Ländern, darunter die USA und Deutschland.

US Flugzeug über dem Flughafen von Kabul
AP/Wali Sabawoon
Der Flugbetrieb soll auch nach dem US-Abzug aus Kabul weitergeführt werden

Man werde bestimmten Afghaninnen und Afghanen weiterhin Reisedokumente ausstellen und man habe die klare Erwartung und Zusage der Taliban, dass diese in die jeweiligen Länder reisen könnten, heißt es in der Erklärung weiter. Man nehme zudem die öffentlichen Erklärungen der Taliban zur Kenntnis, die dieses Verständnis bestätigten. In den vergangenen Tagen hatten mehrere hochrangige Taliban-Mitglieder öffentlich versichert, dass Afghanen weiterhin über legale Wege aus dem Land ausreisen könnten.

USA prüfen nach Luftangriff Berichte zu zivilen Opfern

Nach dem US-Militärschlag gegen mutmaßliche IS-Terroristen am Sonntag in Kabul prüft die US-Armee indes Berichte über zivile Opfer. Der Einsatz habe erfolgreich eine „unmittelbare Bedrohung“ für den Flughafen Kabul durch die Terroristen abgewendet, darüber hinaus würden die Ergebnisse des Luftschlags noch geprüft, hieß es in einer Stellungnahme der US-Kommandozentrale für die Region (Centcom).

In dem zerstörten Fahrzeug habe sich „eine große Menge Sprengstoff“ befunden, „die womöglich zu weiteren Opfern führte“, hieß es. „Es ist nicht klar, was passiert sein könnte, und wir untersuchen das weiterhin. Wir wären sehr traurig über den möglichen Tod Unschuldiger“, hieß es.

Zuvor hatte in Afghanistan unter anderem der Fernsehsender ArianaNews berichtet, dass sechs Menschen, darunter vier Kinder, beim Einschlag einer Mörsergranate in einem Kabuler Privathaus getötet worden seien. Dabei seien zwei Fahrzeuge und Teile des Hauses zerstört worden. Es war nicht unmittelbar klar, ob diese Opfer einer Mörsergranate oder dem US-Luftschlag zuzurechnen waren. CNN berichtete unter Berufung auf Angehörige in Kabul, dass bei dem Luftangriff neun Mitglieder einer Familie getötet worden seien, darunter sechs Kinder.