Volksschüler in einem Klassenzimmer
Getty Images/imagebroker/Wolfgang Weinhaeupl
Neues Schuljahr

Wiedersehen mit Sorge

Auf oder zu? Diese Frage mussten sich Schülerinnen und Schüler, Erziehungsberechtigte und Lehrpersonen während der letzten eineinhalb Jahre permanent stellen und ihr ganzes Leben dementsprechend binnen kürzester Zeit anpassen. Geht es nach der Regierung, bleiben die Schulen im Herbst offen, dafür gibt es die Covid-19-Schulverordnung. Sorgen und Bedenken bestehen dennoch.

Der Beginn des Schuljahres am 6. September in Ostösterreich (13. September in West- und Südösterreich) steht unter dem Motto des Bildungsministeriums „Sichere Schule im Herbst“. In den ersten drei Wochen sollen Schülerinnen und Schüler sowie Lehrende und weiteres Personal dreimal pro Woche auf CoV getestet werden – auch diejenigen, die bereits geimpft oder genesen sind.

Zweimal davon wird der bereits bekannte „Nasenbohrertest“ durchgeführt, einmal pro Woche dann ein PCR-Gurgeltest. Freiwillig ungeimpfte Lehrpersonen müssen ihren PCR-Test auf eigene Kosten bzw. selbstständig über eine offizielle Stelle organisieren.

Wenn ein Kind erkrankt

Das Gesundheitsministerium empfiehlt: Ist ein Kind bzw. eine Lehrperson positiv, folgt die Absonderung. Geimpfte Mitschülerinnen und Mitschüler, werden nicht als K1-, sondern als K2-Personen eingestuft. Sie können also trotz CoV-Infektion eines Kollegen bzw. einer Kollegin weiter in die Schule gehen, müssen aber ihren Gesundheitszustand genau beobachten und ab Tag fünf nach Letztexposition einen PCR-Test machen.

Blick durch eine Glastür auf einen leeren Schulgang
APA/Barbara Gindl
Leere Gänge mitten im Schuljahr – dieses Szenario soll der Vergangenheit angehören

Bei ungeimpften bzw. noch nicht geimpften Kindern sieht es ein bisschen anders aus: Weil das Risiko einer Übertragung von unter Zehnjährigen als gering angesehen wird, stuft das Ministerium Kinder bis zur vierten Klasse Volksschule inklusive deren Lehrperson ebenfalls als K2 ein. Werden aber mehr als zwei Kinder in einem Abstand von weniger als 14 Tagen in derselben Klasse positiv getestet oder ist eine Lehrperson positiv, entscheidet die zuständige Gesundheitsbehörde über etwaige Quarantänemaßnahmen. Sie könnten so also zu K1 werden. Es werde jedenfalls einen Unterschied machen, ob es nur eine Infektion in der Klasse gebe oder 18 von 20 Kindern infiziert seien, heißt es aus dem Gesundheitsministerium.

Ungeimpfte Kinder und Lehrpersonen ab der fünften Schulstufe sind, wird ein Mitschüler bzw. eine Mitschülerin positiv getestet, K1 und müssen in Quarantäne. Ein „Freitesten“ sei ab dem zehnten Tag nach Letztexposition möglich, stellte das Gesundheitsministerium am Donnerstagnachmittag gegenüber ORF.at richtig.

Abwasseranalysen, Impfbusse, Raumluftreiniger

In der dreiwöchigen Sicherheitsphase müssen alle Personen in der Schule außerhalb des Unterrichts einen Mund-Nasen-Schutz tragen. Die Phase endet in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland am 27. September, in den restlichen Ländern am 4. Oktober. Welche Maßnahmen dann gelten, ist von der CoV-Entwicklung im jeweiligen Bundesland abhängig.

Mit einem Frühwarnsystem für Schulen und elementarpädagogische Einrichtungen kündigte ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann außerdem an, Abwasseranalysen durchführen zu wollen. Ein Impfangebot für über Zwölfjährige soll es nicht nur über die Bundesländer organisiert, sondern auch direkt an den Schulen geben – Stichwort: Impfbusse. Wo regelmäßiges Lüften nicht möglich ist, sollen Raumluftreiniger zum Einsatz kommen. Das Ministerium rief hierfür zu einer Bestandsaufnahme auf. Der Bund unterstützt die Anschaffung der Geräte.

Alles für offene Schulen

So weit der Plan des Bildungsministeriums, für die Umsetzung sind die Schulen zuständig. Dabei äußerten Eltern gegenüber ORF.at die Sorge, es könnte, insbesondere bei den Jüngeren, nur mehr ums Testen gehen, Lerninhalte könnten auf der Strecke bleiben. Aus der Bildungsdirektion Wien heißt es zu ORF.at, die Situation sei „durchaus herausfordernd“ und bedarf wohl einer längeren Einübungsphase, in der ein intensiver Dialog mit den Eltern bzw. Erziehungsberchtigten notwendig sein werde. Doch hält das Amt fest: „Diese Maßnahmen wurden geschaffen, um die Schulen offen zu halten. Diesen Hintergrund muss man im Auge behalten.“

Bildungspsychologin Christiane Spiel
Gerhard Smolke
Christiane Spiel ist Professorin für Bildungspsychologie, die sozialen Aspekte der CoV-Krise gehören zu ihren Forschungsschwerpunkten

Auch Bildungspsychologin Christiane Spiel hält ein überbordendes CoV-Testen für unwahrscheinlich, vielmehr sei ein Einbinden der Kinder in die Prozesse wesentlich. „Dann ist es wahrscheinlicher, dass Kinder sich an die Corona-Maßnahmen halten“, so Spiel zu ORF.at. Außerdem zeigte sich die Forscherin überzeugt, dass Gespräche über das Testen, Einhalten der CoV-Regeln und das Impfen in der Schule wichtig sind. „So lernen die Kinder, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen sowie für die Gesellschaft.“

Für offene Schulen in Europa während der Pandemie sprachen sich zuletzt übrigens auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und das UNO-Kinderhilfswerk UNICEF aus. Zu den Maßnahmen, um die Schulen offen zu halten, gehören laut WHO Impfangebote für Lehrpersonal und Kinder ab zwölf Jahren, gute Lüftung in den Klassenzimmern, möglichst kleine Klassen, Abstand halten und regelmäßiges Testen. Der Schulbetrieb sei neben dem üblichen Lernstoff absolut wichtig für die seelische Gesundheit und soziale Kompetenz von Minderjährigen, so WHO-Europa-Direktor Hans Kluge. Schulen machten Kinder zu zufriedenen und produktiven Mitgliedern der Gesellschaft.

Bildungsschere weiter aufgegangen

Dieser Meinung schloss sich Spiel an: „Ich habe schon zu Beginn des ersten Lockdowns gesagt: Es geht nicht nur um die physische Gesundheit, sondern auch um die psychische und um faire Bildungschancen.“ Kinder hätten durch die Schule einen geregelten Tagesablauf, können direkt Fragen stellen und über ihren Lernprozess in Austausch mit Lehrpersonen sowie Mitschülerinnen und Mitschülern stehen. Dadurch, dass es Studien zufolge vorwiegend Mütter waren, die Lehrerin spielen mussten, wurde außerdem der Gendergap größer – mehr dazu in wien.ORF.at.

Mädchen sitzt an einem Laptop
Getty Images/10'000 Hours
Distance-Learning soll im kommenden Schuljahr die Ausnahme bleiben

Ein Nachteil geschlossener Schulen habe sich gesellschaftlich abgezeichnet, bedauerte Spiel: „Durch die Schullockdowns ist die Bildungsschere noch weiter aufgegangen.“ Kinder mit Eltern, die beim Distance-Learning helfen konnten, hätten einen Vorteil gehabt gegenüber jenen, die daheim keine Hilfe erhalten konnten.

Gesundheit bleibt Sorgenkind

Es gibt allerdings auch Erziehungsberechtigte, die mit offenen Schulen in der Pandemie nicht einverstanden sind, darunter bei Weitem nicht nur Testverweigerinnen und -verweigerer. Allgemein ist das Vertrauen in die CoV-Maßnahmen der Regierung zumindest im ersten Pandemiejahr stark gesunken. 3.396 Schülerinnen und Schüler im Pflichtschulalter wurden laut Gesundheitsministerium bis Anfang August sogar vom Unterricht abgemeldet. Das ist ein Drittel mehr als vor einem Jahr. In sozialen Netzwerken äußern viele Eltern die Angst, ihre Kinder könnten sich mit dem Coronavirus infizieren.

Denn vor allem die Jüngeren können derzeit noch nicht durch eine Impfung geschützt werden. Freilich aber verringert sich die Gefahr einer Ansteckung auch für die unter Zwölfjährigen, wenn das Umfeld geimpft ist, sprich Lehrerinnen und Lehrer, Eltern und weitere Bezugspersonen. „Den Eltern, die besorgt sind, kann ich nur raten, allen Menschen, die sie kennen zu sagen, sie sollen sich impfen lassen“, appellierte Bildungsforscherin Spiel.

Eltern beklagen Planungsunsicherheit

Gegenüber ORF.at beklagten Eltern trotz der Covid-19-Schulverordnung die Planungsunsicherheit, denn Schulen können bei CoV-Ausbrüchen immer noch schließen – und das auch plötzlich, wenn nötig. Die Angst ist groß, die Schule könnte in der Priorisierung im Notfall doch wieder als Letztes gereiht werden. „Nach Gondeln und Co.“, wie eine Mutter sagte. Dass Planbarkeit das Um und Auf nicht nur für Eltern, sondern auch für Schülerinnen und Schüler sowie für das Lehrpersonal ist, bestätigte Expertin Spiel mit Verweis auf mehrere Studien.

Ob eine Schule im Bedarfsfall zugesperrt wird oder nicht – dafür will das Ministerium die risikoadjustierte 7-Tage-Inzidenz beobachten (einbezogen werden neben den Infektionszahlen auch die Zahl der Tests, die Aufklärungsrate, die Symptomatik und Dynamik des Infektionsgeschehens). Die Schwellenwerte für die Bildungseinrichtungen lauten: geringes Risiko unter 100, mittleres Risiko zwischen 100 und 200 und hohes Risiko über 200. Bei geringem Risiko sind die Tests für Schülerinnen und Schüler freiwillig.

Auf dieser Basis kann das Bildungsministerium weitere Maßnahmen ableiten und im Wege der Bildungsdirektionen bezirksspezifische Verordnungen erlassen. Die Gesundheitsbehörde kann auch einzelne Klassen und Standorte nach dem Epidemiegesetz vorübergehend schließen. Darüber hinaus kann jede Schulleitung bei Bedarf extra Maßnahmen setzen – etwa zusätzliche Tests und Mund-Nasen-Schutz in den Klassenräumen.

Individualität als Schlüssel?

Sorge haben Erziehungsberechtigte auch, dass Kinder zu viel aufzuholen haben und Lernschwächere zurückbleiben könnten. Das Bildungsministerium plant diesbezüglich eine „Informationsfeststellung“. Für jeden Schüler und jede Schülerin soll festgestellt werden, ob Lernfortschritte trotz der Schullockdowns erreicht wurden. Das Ministerium rät gegebenenfalls zu Förderunterricht an den Schulen, je nach Schulstufe können dafür Mittel bzw. zusätzliche Lehrpersonen beantragt werden. Auch kann entsprechender Lernstoff in das aktuelle Schuljahr verschoben werden, was die Schulleitung bestimmen kann.

Schulpsychologische Beratung

Psychologische Beratung kann von Schülerinnen und Schülern bzw. deren Erziehungsberechtigten von Montag bis Freitag von 8.00 bis 20.00 Uhr und an Samstagen von 8.00 bis 12.00 Uhr unter der Nummer 0800 211320 in Anspruch genommen werden.

Dabei müssten insbesondere „Risikoschülerinnen und -schüler identifiziert und differenzierte, individuelle Unterstützungsangebote angeboten werden“, so Bildungspsychologin Spiel. Ihre Empfehlung: Gespräche zwischen Kind, Erziehungsberechtigten und Lehrperson (KEL-Gespräche), bei denen man sich folgende Fragen stellen müsse: „Wo steht das Kind? Welche Problembereiche liegen vor? Ist ein Kind zum Beispiel aus dem Lernen herausgefallen, hat es Probleme mit der deutschen Sprache, Probleme in einem oder mehreren Fächern?“, so Spiel exemplarisch.

„Erfolge benennen“

Gut sei auch, dass man durch die KEL-Kommunikation „geteilte Verantwortung“ erreiche, sich also niemand als allein zuständig fühlen müsse. Gemeinsam soll dann ein maßgeschneidertes Lern-, Förder- und Unterstützungsprogramm vereinbart werden. Das könne etwa mit Förderunterricht oder „Schulbuddys“ passieren, das sind ausgewählte Schülerinnen und Schüler, die sich besonders um andere kümmern. Ziele müssten gemeinsam gesetzt und gegebenenfalls nachjustiert werden.

Wichtig sei es überdies, Erfolge, die jedes Kind erziele – ob schulisch oder außerschulisch – zu benennen, um die Lernmotivation zu steigern. „Erfolgserlebnisse – diese können nicht nur in der Schule sein, sondern auch beim Sport, beim Computerspielen – sollten hervorgehoben werden“, so Spiel. Das erhöhe das Selbstvertrauen auch in anderen Lebenslagen und vermittle vor allem eins: „Ich weiß, wie ich dranbleiben kann, um etwas zu schaffen.“