Lou Lorenz-Dittlbacher im Gespräch mit Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) im Rahmen der Sommergespräche 2021
ORF/Roman Zach-Kiesling
„Sommergespräch“

Rendi-Wagner will Afghaninnen aufnehmen

SPÖ-Parteichefin Pamela Rendi-Wagner hat sich im ORF-„Sommergespräch“ dafür ausgesprochen, „einige hundert“ Afghaninnen im Rahmen einer internationalen Hilfsgemeinschaft in Österreich aufzunehmen. Die verheerende Situation dürfe man nicht ignorieren, gleichzeitig könnte Österreich aber „nicht die ganze Welt retten“. In Sachen Coronavirus betonte die Parteichefin ihre fachliche Expertise, in Sachen SPÖ-Querelen pochte sie auf Einigkeit.

„Einige hundert, das sollte möglich sein“, sagte sie, nachdem sie von Lou-Lorenz Dittlbacher nach einer konkreten Zahl gefragt wurde. Frauenrechtlerinnen, Richterinnen und Journalistinnen führte sie als besonders gefährdete Menschen an. „Wir können diese Menschen nicht in Stich lassen.“ Gleichzeitig brauche es Schutzzonen mit Standards des UNO-Hochkommissariats (UNHCR) in den Nachbarländern.

Die unkontrollierte Migrationswelle nach Mitteleuropa wie 2015 dürfe sich aber nicht wiederholen, so Rendi-Wagner. Österreich und Europa hätten aus den Fehlern von damals allerdings nichts gelernt. Es brauche ein neues, funktionierendes Asylsystem und effiziente Verfahren schon an den EU-Außengrenzen. Die Linie der SPÖ sei hier einheitlich und klar, „denn sie ist die einzige machbare Linie“, beteuerte die Parteivorsitzende.

Die ÖVP erteilte Rendi-Wagners Forderung, besonders gefährdete Menschen nach Österreich zu holen, am Dienstag eine Absage. Nicht nur die Wiener SPÖ, auch die rote Bundespartei habe aus dem Jahr 2015 mit seiner Flüchtlingswelle „nichts“ gelernt, sagte Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler.

„Sommergespräch“ mit Pamela Rendi-Wagner, SPÖ

Vierter Gast bei den ORF-„Sommergesprächen“ ist SPÖ-Bundesparteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner. Sie kam als Quereinsteigerin in die Politik und ist seit 2018 die erste Frau an der Spitze der SPÖ. Im Interview nimmt sie Bezug auf ihre Herkunft aus dem Wiener Gemeindebau, erklärt ihre CoV-Strategie und verrät, wohin sie mit der SPÖ will.

Querelen, aber „Grundwerte“

Zu den häufigen Querschüssen in ihrer Partei sagte sie: „Wir sind eine große Partei, es gibt unterschiedliche Meinungen. Man muss sich in den Grundwerten verbunden fühlen, das ist in der SPÖ der Fall.“ Die Frage, ob eher das Geschlecht oder ihre fehlende Hausmacht als Quereinsteigerin innerhalb der SPÖ es ihr schwieriger mache, meinte Rendi-Wagner, eine Frau zum ersten Mal an der Spitze der Sozialdemokratie in Österreich sei „für viele in der Partei ungewohnt“ gewesen.

Dass sie mit nur 75 Prozent beim Parteitag im Juni wiedergewählt wurde, habe sie rasch abgehakt, wobei: „Natürlich hätte ich mir mehr als 75 Prozent gewünscht.“ Dass das vergleichsweise schlechte Ergebnis aber aus heiterem Himmel kam, verwunderte sie offenbar schon: „Wir haben eigentlich eine Tradition, dass die Dinge, die zu besprechen sind, in den Gremien besprochen werden.“ Insofern sei es schade gewesen, dass dieser Diskurs dort nicht geführt worden sei, meinte Rendi-Wagner.

Lou Lorenz-Dittlbacher im Gespräch mit Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) im Rahmen der Sommergespräche 2021
ORF/Roman Zach-Kiesling
Rendi-Wagner mit Interviewerin Dittlbacher im Wiener MuseumsQuartier

Keine Koalition mit „System Kurz“

Sie glaube aber, die fehlende Geschlossenheit habe viele gestört. Immer dann, wenn die SPÖ mit einer Stimme gesprochen hätte, wenn es keine Querschüsse gegeben habe, dann hätte ihre Partei Vertrauen gewonnen und sei in den Umfragen gestiegen. Sie gehe jedenfalls davon aus, da sie bei der nächsten Wahl Spitzenkandidatin ist. „Das ist mein Ziel.“

Eine Zusammenarbeit mit der ÖVP schloss sie nicht aus, wohl aber eine mit dem „System Kurz“. Bei diesem vermisste sie Respekt vor der Demokratie, dem Rechtsstaat, der Justiz und wesentlichen Institutionen. Die Frage sei, in welche Richtung sich die ÖVP entwickle. Aber sie schließe eine Koalition aus, die einen jahrzehntelang in der heimischen Politik gelebten Grundkonsens nicht respektiere.

Verpflichtende PCR-Tests für Reiserückkehrer

In der Frage der Maßnahmen gegen die Coronavirus-Pandemie entlieh sich Rendi-Wagner einen geflügelten Satz des ehemaligen Gesundheitsministers Rudolf Anschober (Grüne): Die nächsten zwei, drei Wochen würden die entscheidenden sein. Österreich befinde sich in der vierten Welle, und jetzt sei zu tun, was man eigentlich schon vor dem Sommer hätten machen müssen. Die Herausforderungen seien die ansteckendere Delta-Variante, die Reiserückkehrer und die kommende Schulöffnung. Bei Rückkehrern plädierte die SPÖ-Chefin für einen verpflichtenden PCR-Test und vielleicht noch einen zweiten in zeitlichem Abstand. Und Schülerinnen und Schüler sollten auch zweimal pro Woche PCR-getestet werden.

Rendi-Wagner: Impfpflicht für neue Spitals- und Pflegekräfte

„Haben es in der Hand“

Die Impfrate sei zu gering, so Rendi-Wagner, sie verwies auf Nachzügler Oberösterreich, wo zuletzt die Neuinfektionen vergleichsweise stark angestiegen sind. Die SPÖ-Chefin sagte auch, ein dritter Stich für Ältere, Hochrisikogruppen und auch für AstraZeneca-Geimpfte sei bald notwendig. Der Schutzschirm der Impfung helfe nur aufgespannt. Von einer generellen Impfpflicht halte sie wenig, weil sich Menschen ihrer Erfahrung nach zumeist mit Argumenten überzeugen ließen.

Rendi-Wagner zeigte sich optimistisch: „Wir haben es in der Hand“ und „Ich glaube, wir können es schaffen“, sagte sie. Und im Vergleich zum Vorjahr habe man jetzt die Impfung und eine etablierte Teststrategie.

Kritik an Kopf-Ideen für Arbeitslose

Auch bei anderen Fragen versuchte Rendi-Wagner mit gesundheitspolitischen Themen zu punkten: So will sie dem drohenden Ärztemangel mit einer Verdoppelung der Medizinstudienplätze, Unterstützungen bei Praxisgründungen, vor allem auf dem Land, begegnen und Primärversorgungszentren ausbauen. Auch in Sachen Pflege ortete die SPÖ-Chefin großen Nachholbedarf und verwies auf ihren Vorschlag für einen Umstiegsbonus in Höhe von 500 Euro, wenn sich Langzeitarbeitslose dem Pflegeberuf widmen.

Rendi-Wagner zu Umschulungsboni für Arbeitslose

Kritik übte sie an der Forderung des Vorstands des Arbeitsmarktservice (AMS), Johannes Kopf, nach einem „Aus“ bzw. einer starken Einschränkung für die Zuverdienstmöglichkeit für Arbeitslose. Wenn etwa die Gastronomie nicht genug Arbeitskräfte bekomme, müsse sich die Branche fragen, ob die Arbeitsbedingungen und die Löhne passen. Wenn nicht, und da sah sich Rendi-Wagner auf einer Linie mit der Gewerkschaft, müsse man etwa Löhne erhöhen, um die „Attraktivität“ der Branche zu steigern.

Mit den von Kopf vorgeschlagenen Maßnahmen würde man den arbeitslosen Menschen die „letzte Würde nehmen“, das sei sowohl wirtschaftlich als auch menschlich zu hinterfragen. Derzeit ist ein Zuverdienst von 475 Euro im Monat erlaubt.

Analyse: Ausgelassene Chancen beim Thema Coronavirus?

Politologe Peter Filzmaier sprach bei der Analyse des „Sommergesprächs“ in der ZIB2 davon, dass Rendi-Wagner als Epidemiologin beim Thema Impflicht im Dilemma sei: Eine solche zu fordern sei „sowohl strategisch wie auch inhaltlich nicht anzuraten“. Sie habe zwar das Problem gut umrissen, allerdings habe sie keine Vorschläge gebracht, wie die Impfrate gesteigert werden könnte. Auch Daniela Kittner vom „Kurier“ vermisste Kritik an der Regierung und inhaltliche Gegenvorschläge bei der Thematik.

Kittner und Filzmaier kommentieren Rendi-Wagners Aussagen

Politologe Peter Filzmaier und Daniela Kittner vom „Kurier“ analysieren das „Sommergespräch“ mit Rendi-Wagner.

Bei ihrem Vorschlag, Afghaninnen in Österreich aufzunehmen, habe Rendi-Wagner sicherlich nicht die Mehrheit der Österreicher auf ihrer Seite, so Kittner. Aber sie habe „das so schwierige Thema bei den Sozialdemokraten“ mit „sehr viel Engagement“ und „sehr glaubwürdig“ vertreten. Filzmaier sagte, es sei ihr gelungen, „Zuwanderung und Flucht und Asyl auseinanderzuhalten“, genau das hätte die SPÖ in der Vergangenheit zumeist nicht geschafft.

Rendi-Wagner: Hunderte afghanische Frauen herausholen

Dass die Führungsdebatte in der SPÖ jetzt vorbei sei, glauben weder Filzmaier noch Kittner. Die „Front“ sei nicht „befriedet“, so die „Kurier“-Journalistin, auch wenn manche in der SPÖ jetzt merkten, dass man nicht „immer nur der Parteivorsitzenden die Schuld in die Schuhe schieben“ könne, wenn es schiefgeht. Filzmaier konstatierte fehlenden „Flankenschutz“ wegen schwächelnder SPÖ-Landesgruppen – aber auch mangelnde Kommunikationsarbeit der SPÖ.