Ein Hubschrauber wird in Kabul in ein US-Air-Force-Flugzeug verladen
AP/Department of Defense
Inmitten der Eskalation

US-Abzug aus Afghanistan abgeschlossen

Die USA haben ihren Truppenabzug aus Afghanistan abgeschlossen und ihren Militäreinsatz in dem Land nach 20 Jahren beendet. Eine letzte US-Militärmaschine hob in der Nacht auf Dienstag vom Flughafen der Hauptstadt Kabul ab. Der UNO-Sicherheitsrat erhöhte indessen den Druck auf die radikalislamischen Taliban, die Menschenrechte zu wahren und Ausreisewillige ungehindert passieren zu lassen.

„Ich bin hier, um die Vollendung unseres Abzugs aus Afghanistan zu verkünden“, sagte US-General Kenneth McKenzie, der das US-Zentralkommando (Centcom) führt, am Montag zu Journalisten im Pentagon. Damit ende auch die militärische Mission, Amerikaner, Verbündete und schutzsuchende Afghaninnen und Afghanen außer Landes zu bringen. Das letzte US-Militärflugzeug habe eine Minute vor Mitternacht (Ortszeit) vom Kabuler Flughafen abgehoben.

Nach Angaben des Weißen Hauses vom Montag brachten die USA und ihre Verbündeten bei der Evakuierungsmission seit dem 14. August rund 116.700 Menschen in Sicherheit. Immer noch befinden sich aber Zehntausende Menschen in Afghanistan, die vor den Taliban fliehen wollen – bei den meisten handle es sich um Einheimische. Die USA und die westlichen Partner haben wiederholt betont, dass es auch nach dem Ende des Einsatzes die Möglichkeit geben soll, Menschen in Sicherheit zu bringen.

UNO-Sicherheitsrat in New York
APA/AFP/Timothy A. Clary
Der Sicherheitsrat forderte die Taliban auf, Afghanen und ausländische Staatsangehörige weiterhin ungehindert ausreisen zu lassen

UNO erhöht Druck

Der UNO-Sicherheitsrat erhöhte unterdessen am Montag den Druck auf die Taliban in Afghanistan, die Menschenrechte zu wahren und Ausreisewillige ungehindert passieren zu lassen. In seltener Einigkeit verabschiedete das mächtigste UNO-Gremium eine entsprechende Resolution. Die Entscheidung fiel mit 13 Ja-Stimmen, Russland und China enthielten sich. UNO-Resolutionen sind völkerrechtlich bindend.

In der Resolution, die von Großbritannien und Frankreich zusammen mit den USA und Irland vorgelegt wurde, verweist der UNO-Sicherheitsrat auf die Zusagen der Taliban, dass Afghaninnen und Afghanen das Land jederzeit und auf allen möglichen Wegen ungehindert verlassen dürften. Man erwarte, „dass die Taliban diese und alle anderen Verpflichtungen einhalten“, heißt es darin.

Zugleich unterstrich das Gremium die Forderung nach einem ungehinderten humanitären Zugang sowie nach Wahrung der Menschenrechte in Afghanistan, insbesondere „der Rechte von Frauen, Kindern und Minderheiten“. Eine zuletzt vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron ins Spiel gebrachte UNO-Sicherheitszone in Kabul wird in der Resolution nicht erwähnt.

20 Jahre nach 9/11

US-Präsident Joe Biden hatte im April angekündigt, alle US-Soldaten spätestens bis zum 11. September bedingungslos aus Afghanistan abzuziehen. Das Datum markiert den 20. Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001, die den US-geführten Militäreinsatz in Afghanistan auslösten. Auch die NATO kündigte daraufhin an, den von ihr geführten internationalen Einsatz zu beenden. Im Juli zog Biden das Datum für den vollständigen Abzug auf den 31. August vor.

Nach Bidens Ankündigung legte der Siegeszug der Taliban noch an Geschwindigkeit zu, die militanten Islamisten übernahmen eine Provinzhauptstadt nach der anderen – oftmals leisteten die afghanischen Sicherheitskräfte wenig oder keinen Widerstand. Am 15. August floh der afghanische Präsident Ashraf Ghani ins Ausland, die Taliban marschierten kampflos in der afghanischen Hauptstadt Kabul ein und besetzten den Präsidentenpalast. Die US-Botschaft wurde geschlossen, die Diplomaten flohen an den Flughafen.

US Air Force am Flughafen in Kabul
APA/AFP/Aamir Qureshi
Der Flughafen ist derzeit der strategisch wichtigste Ort in Kabul

Flughafen als wichtigster Punkt

Der Flughafen in Kabul blieb auch nach der Machtübernahme der Taliban unter Kontrolle der US-Truppen. Die USA flogen 5.000 zusätzliche Soldaten ein, um die Evakuierungen abzusichern. US-Kommandeure koordinierten sich dabei mit den Taliban. Bei einem Anschlag der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) am Donnerstag wurden vor dem Flughafen Dutzende Afghanen und 13 US-Soldaten getötet. Der IS und die Taliban sind miteinander verfeindet.

Noch am Montag griff der IS erneut den Flughafen Kabul an. Nach Angaben der US-Regierung wurden fünf Raketen in Richtung des Airports abgefeuert. Drei seien außerhalb des Geländes gelandet, eine von einem Raketenabwehrsystem am Flughafen abgewehrt worden, sagte Generalmajor William Taylor. Eine weitere Rakete sei innerhalb des Flughafengeländes eingeschlagen, ohne Menschen oder die Evakuierungsmission zu gefährden.

Der in Afghanistan aktive Ableger des IS reklamierte den Raketenangriff für sich. „Soldaten des Kalifats“ hätten den Flughafen mit sechs Raketen des Typs Katjuscha angegriffen, teilte IS-Khorasan, wie der IS sich in Afghanistan und Pakistan nennt, am Montag auf der Plattform Nashir News mit.

Washington prüft Berichte über zivile Opfer

Bei einem US-Luftangriff in Kabul am Sonntag sollen mindestens zehn Zivilisten getötet worden sein. Unter den Toten seien auch Kinder, berichtete der lokale TV-Sender Tolo News unter Berufung auf Anrainer. Die US-Regierung schloss zivile Opfern am Montag nicht aus. „Wir sind nicht in der Lage, das jetzt zu bestreiten“, sagte der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, John Kirby. Man werde das weiter untersuchen und die Ergebnisse offenlegen. Das US-Militär hatte am Sonntag mitgeteilt, der Einsatz habe erfolgreich eine „unmittelbare Bedrohung“ für den Flughafen Kabul durch die Terroristen abgewendet.

Nach Angaben der Taliban befindet sich der jahrelang nicht gesehene Taliban-Führer Hibatullah Akhundzada in Afghanistan. Sein Aufenthaltsort war über Jahre unbekannt. Akhundzada führe derzeit Gespräche in Kandahar, sagte Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid am Sonntagabend in einem Interview der türkischen staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu. Die Islamisten führen aktuell Gespräche über die künftige Regierung des Landes.

WHO startet Luftbrücke

Unterdessen startete die Weltgesundheitsorganisation (WHO) am Montag eine Luftbrücke, um die medizinische Versorgung zu unterstützen. Eine Maschine aus Pakistan mit 12,5 Tonnen an Medikamenten und medizinischen Hilfsgütern landete auf dem eigentlich geschlossenen Flughafen in der Stadt Mazar-e Sharif im Norden Afghanistans – eine logistische Herausforderung. Ingenieure aus Pakistan waren schon vorab zum Flughafen geschickt worden, um den Betrieb zu ermöglichen.

Laut WHO ist das die erste medizinische Hilfslieferung seit der Machtübernahme der Taliban. Damit kann der Gesundheitsbedarf von mehr als 200.000 Menschen gedeckt werden. Die WHO will die Lieferung an 40 Gesundheitseinrichtungen in 29 der 34 Provinzen des Landes verteilen. Zudem sind zwei weitere Flüge mit medizinischen Gütern geplant.