„Wir begrüßen gute diplomatische Beziehungen mit allen.“ Zuvor hatten die USA ihren Afghanistan-Einsatz nach knapp 20 Jahren beendet. Mujahid beglückwünschte die Afghanen zu ihrem „Sieg“, wenige Stunden nachdem die letzten US-Soldaten das Land kurz vor Mitternacht verlassen hatten. „Glückwunsch an Afghanistan, dieser Sieg gehört uns allen“, sagte Mujahid, der auf der Landebahn des Kabuler Flughafens stand.
Damit endete auch die militärische Evakuierungsmission. Diese sollte US-Bürger und -Bürgerinnen sowie Verbündete und schutzbedürftige Afghanen und Afghaninnen retten. Es war eine ungewöhnliche Art und Weise, wie das Ende von Amerikas längstem Krieg verkündet wurde.

Biden lässt General Abschluss verkünden
Der Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte, Präsident Joe Biden, tat das am Montag nicht selbst, sondern schickte einen seiner höchsten Generäle vor. In einer knappen Videoschaltung mit Journalisten im Pentagon sagte General Kenneth McKenzie, der zuständige US-Kommandeur für die Region, am Montagnachmittag (Ortszeit): „Ich bin hier, um die Vollendung unseres Abzugs aus Afghanistan zu verkünden.“

Damit ist der verlustreiche Militäreinsatz der USA und ihrer Verbündeten in dem Krisenland nach fast 20 Jahren beendet – und auch die militärische Evakuierungsmission der vergangenen gut zwei Wochen. Es ist unklar, was aus jenen wird, die keinen Platz in einem der militärischen Evakuierungsflugzeuge ergattern konnten.
Foto von letztem Soldaten veröffentlicht
Eine Minute vor Mitternacht hob am späten Montag (Ortszeit) laut McKenzie das letzte US-Militärflugzeug vom Typ C-17 vom Flughafen der afghanischen Hauptstadt ab. Die Amerikaner hatten zuvor dazu geschwiegen, wie genau der sicherheitstechnisch heikle Rückzug ihrer allerletzten Soldaten ablaufen werde. Die Sicherheitslage war bis zum Schluss prekär: Kurz vor dem Abzug hatte der afghanische Ableger der Terrormiliz IS Raketen auf den Kabuler Flughafen abgefeuert.
Erst nachdem die letzte Maschine des US-Militärs den afghanischen Luftraum verlassen hatte, veröffentlichte das Pentagon ein Bild des „letzten amerikanischen Soldaten“, der Afghanistan verlässt. Auf dem Foto ist – aufgenommen mit einem Nachtsichtgerät – zu sehen, wie Generalmajor Chris Donahue jene letzte C-17 besteigt.
„Haben nicht alle rausgeholt, die wir rausholen wollten“
McKenzie betonte, nun sei kein einziger US-Soldat mehr in Afghanistan. Er räumte aber ein, es sei nicht gelungen, alle Menschen, die man in Sicherheit habe bringen wollen, auszufliegen. „Wir haben nicht alle rausgeholt, die wir rausholen wollten.“ Man habe bis zum letzten Moment die Möglichkeit gehabt, weitere US-Bürger und -Bürgerinnen zu retten. Aber einige hätten es nicht zum Flughafen geschafft.
Nach Einschätzung des US-Außenministeriums sind noch zwischen 100 und 200 Amerikaner und Amerikanerinnen in Afghanistan, die das Land verlassen wollen. Biden hatte allen ausreisewilligen US-Bürgern versprochen, sie aus Afghanistan herauszuholen.
Rund 123.000 Menschen außer Landes gebracht
Biden und sein Außenminister Antony Blinken versicherten nach dem Abschluss des Truppenabzugs, die US-Regierung werde weiter alles daransetzen, im Land verbliebene US-Bürger, andere Ausländer und schutzbedürftige Afghanen aus dem Land zu holen – nun eben mit diplomatischen statt mit militärischen Mitteln. Doch wie genau das geschehen soll, ist unklar.
Nach der Machtübernahme der Taliban Mitte August hatten die USA und ihre internationalen Partner mit der Militär-Evakuierungsmission begonnen. McKenzie sagte, in dieser Zeit habe allein das US-Militär mehr als 79.000 Zivilisten aus Kabul ausgeflogen, darunter rund 6.000 Amerikaner. Die USA und ihre Verbündeten hätten gemeinsam insgesamt mehr als 123.000 Menschen außer Landes gebracht. Immer noch befinden sich aber Zehntausende Menschen in Afghanistan, die vor den Taliban fliehen wollen – bei den meisten davon handelt es sich um Afghanen und Afghaninnen.

Die Zahl der britischen Staatsbürger, die sich noch in Afghanistan befinden, siedelte der britische Außenminister Dominic Raab im „niedrigen Hunderter“-Bereich an. Das sei ein „sehr niedriges Niveau“ angesichts dessen, dass 5.000 Menschen aus Afghanistan herausgeholt worden seien, sagte Raab am Dienstag dem Sender Sky News.
Blinken: Taliban müssen sich Legitimität verdienen
US-Außenminister Blinken betonte: „Die Militärmission ist beendet. Ein neue diplomatische Mission hat begonnen.“ Diese wird jedoch aus der Ferne zu steuern sein. Denn mit dem Abzug der US-Truppen gaben die Amerikaner auch ihre diplomatische Präsenz in Afghanistan auf. An Bord der letzten Militärmaschine war Ross Wilson, der bisherige US-Botschafter in Afghanistan. Blinken sagte, die USA hätten ihre diplomatischen Aktivitäten nun in Katars Hauptstadt Doha verlegt.
USA schließen Truppenabzug aus Afghanistan ab
Die USA haben ihren Truppenabzug aus Afghanistan abgeschlossen. Nachdem die Evakuierungsmission laut Washington beendet ist, befindet sich erstmals seit 20 Jahren kein US-Soldat in dem Land.
Eine Regierung unter Führung der Taliban muss sich nach den Worten von Blinken internationale Legitimität und Unterstützung verdienen. „Die Taliban können das tun“, sagte Blinken. Sie müssten dafür ihre Zusagen zur Reisefreiheit einhalten, Grundrechte respektieren und eine inklusive Regierung bilden. Sie dürften außerdem Terroristen keine Zuflucht gewähren und keine Racheaktionen gegen ihre Kontrahenten ausüben.
Taliban sprechen mit Türkei und Katar über Flughafen
Blinken kündigte an, die USA würden weiterhin humanitäre Hilfe für die Afghanen leisten. Diese Hilfe werde aber nicht über die Taliban-Regierung erfolgen, sondern über unabhängige Organisationen wie die Vereinten Nationen und Hilfsorganisationen. „Wir erwarten, dass diese Bemühungen nicht durch die Taliban behindert werden.“
Die Taliban führen nach französischen Regierungsangaben mit Vertretern Katars und der Türkei Gespräche über die Steuerung des Flughafens von Kabul. „Wir müssen einen sicheren Zugang zum Flughafen verlangen“, sagte der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian dem TV-Sender France 2. Auf die Taliban müsse weiter Druck ausgeübt werden. Frankreich verhandle aber nicht mit ihnen.
Jubel über US-Abzug bei den Taliban
Die Taliban reagierten mit Jubel auf den Abzug der USA. Taliban-Sprecher Mujahid schrieb auf Twitter, das Land habe jetzt völlige Unabhängigkeit erreicht. Das hochrangige Taliban-Mitglied Anas Haqqani twitterte: „Wir schreiben wieder Geschichte. Die 20-jährige Besetzung Afghanistans durch die USA und die NATO endete heute Abend. Gott ist groß.“
Ausländische Truppen waren unter US-Führung vor 20 Jahren in Afghanistan einmarschiert – als Antwort auf die Terroranschläge von Al-Kaida-Terroristen am 11. September 2001. Der internationale Einsatz führte damals zum Sturz der Taliban-Regierung, die Al-Kaida-Terroristen Unterschlupf gewährt hatte. Der Militäreinsatz verschlang Unsummen, Zehntausende Zivilisten und afghanische Sicherheitskräfte kamen ums Leben, ebenso mehrere tausend internationale Soldaten, darunter 2.461 Amerikaner. McKenzie betonte am Montag, der Preis für die Mission sei hoch gewesen.
Biden will sich erst später melden
Biden äußerte sich zunächst nur in einer schriftlichen Stellungnahme, in der er seine umstrittene Abzugsentscheidung erneut verteidigte. Erst für Dienstag kündigte der Präsident eine Ansprache an die Nation an. Dass der Oberbefehlshaber einen derart historischen Moment – das Ende eines für die USA höchst schmerzhaften Einsatzes, der sich über die Amtszeiten von vier Präsidenten erstreckte – nicht selbst verkündet, ist bezeichnend. Biden ist angesichts des chaotischen Abzuges heftiger Kritik ausgesetzt. Das Afghanistan-Debakel ist die bisher größte außenpolitische Krise seiner Präsidentschaft.
Der Demokrat hatte im April angekündigt, alle US-Soldaten spätestens bis zum 11. September bedingungslos aus Afghanistan abzuziehen – dem 20. Jahrestag der Anschläge von 2001 also. Nach Bidens Ansage kündigte die NATO an, den gesamten internationalen Einsatz in Afghanistan zu beenden. Im Juli zog Biden das Datum für den vollständigen Abzug schließlich auf den 31. August vor.
Taliban trafen kaum auf Widerstand
In den vergangenen Wochen überschlugen sich die Ereignisse in Afghanistan dann: Nach Bidens Ankündigung gewann der Siegeszug der Taliban rasant an Tempo. Die militanten Islamisten übernahmen eine Provinzhauptstadt nach der anderen – oft leisteten die afghanischen Sicherheitskräfte wenig oder keinen Widerstand. Am 15. August floh der afghanische Präsident Ashraf Ghani ins Ausland, die Taliban marschierten kampflos in Kabul ein. Die US-Botschaft wurde geschlossen, die Diplomaten flohen auf den Flughafen.
Von dort aus wickelten die Amerikaner und ihre Verbündeten zuletzt ihre atemlose Evakuierungsmission ab – geschützt von mehreren tausend zusätzlichen US-Soldaten, die vorübergehend nach Kabul geschickt wurden. Bei einem Anschlag des IS, der mit den Taliban verfeindet ist, wurden am Donnerstag vor dem Flughafen schließlich Dutzende Afghanen und 13 US-Soldatinnen und -Soldaten getötet.