Dass Chinas Tech-Konzernen harte Zeiten bevorstehen, deutete sich schon Ende des Vorjahres an. Damals statuierte die Staatsführung ein Exempel – und zwar nicht an irgendwem, sondern gleich am reichsten Mensch des Landes. Erst verschwand Alibaba-Gründer Jack Ma wochenlang von der Bildfläche, dann blies die Aufsicht den Börsengang seines Fintech-Start-ups Ant Group spontan ab, und zu guter Letzt wurde Alibaba zu einer Strafe von über 2,8 Milliarden Dollar verdonnert.
Seither geht es Schlag auf Schlag: Peking nimmt einen Tech-Giganten nach dem anderen gewaltig an die Kandare, die größten Konzerne des Landes gerieten ins Visier und wurden streng gemaßregelt. Kalkulationen zufolge wurden durch den Feldzug seit Februar eine Billion Dollar an Marktwert vernichtet – und ausländische Anleger unsanft daran erinnert, wie unberechenbar der chinesische Markt ist.
Stars und Spiele verschwinden
Bewaffnet ist die Staatsführung dabei nicht nur mit einem neuen Kartellrecht, sondern auch mit regulatorischen Maßnahmen zu Daten- und Arbeitnehmerschutz. Zuletzt erklärte das Höchstgericht den in chinesischen Tech-Unternehmen berüchtigten „996“-Arbeitstag (von 9.00 bis 21.00 Uhr, sechs Tage die Woche) für illegal, zudem gründeten JD.com und der Fahrdienstleister DiDi – wohl nicht ganz freiwillig – eine Gewerkschaft.
Aber nicht nur das Arbeitsrecht, auch der Jugendschutz muss herhalten, etwa im Falle Tencent: Erst wurde der Wert des Onlinemultis in den Keller geschickt, indem die Staatsmedien Videospiele als „spirituelles Opium“ bezeichneten, danach folgten konkrete Maßnahmen. Die erlaubte Videospielzeit für Minderjährige wurde auf wöchentlich drei Stunden beschränkt, gespielt werden darf nur noch freitags bis sonntags von 20.00 bis 21.00 Uhr.
Patriotismus statt „deformiertem Geschmack“
Die Partei scheint derzeit entschlossen, gegen aus Pekinger Sicht unerwünschte „Begleiterscheinungen“ von Konsum, Wohlstand und Kapitalismus vorzugehen. Dabei geraten auch die Unterhaltungsbranche und der „Starkult“ ins Fadenkreuz. Medien wurden angewiesen, „inkorrekte politische Positionen“ von Programmen auszuschließen. Es müsse eine „patriotische Atmosphäre“ kultiviert werden.
Gegen als „ungesund“ empfundene Inhalte werde ebenso vorgegangen wie gegen hohe Gehälter der Stars und Steuerhinterziehung. Der „deformierte“ Geschmack wie eine „verweichlichte“ Ästhetik in den Programmen und die Darstellung „weibischer Männer“ sollten beendet, Unterhaltung mit „vulgären“ Influencern und das Zurschaustellen von Reichtum abgelehnt werden.
Talentshows mit Beliebtheitsvotings wurden verboten – diese haben in China in den letzten Jahren enorm an Popularität gewonnen. Portale müssen zudem verhindern, dass Stars „exzessive Aufmerksamkeit“ bekommen. Große Dienste wie Weibo, Tencent und NetEase löschten daraufhin Promibeliebtheitslisten und beschränkten den Kauf von Musikalben. Einige Prominente verschwanden gleich spurlos aus dem Netz – etwa Showbiz-Veteranin und Schauspielerin Zhao Wei.
„Gemeinschaftlicher Wohlstand“ als neues Motto
Die Neujustierung der Beziehung zwischen Staat und privat läuft unter dem Schlagwort „allgemeiner Wohlstand“ („common prosperity“), das auf Mao Zedong zurückgeht. In Reden von Präsident Xi und den Staatsmedien gehört es derzeit zum Standardrepertoire – in einer Ansprache Mitte August verwendete Xi den Slogan gleich 15-mal.
Gemeint ist eine aggressive Umverteilung, denn China muss sich angesichts des rasant gewachsenen Wohlstandes zunehmend mit gravierender Ungleichheit auseinandersetzen. Geben sollen dabei in einem ersten Schritt offenbar vor allem die Tech-Konzerne und Superreiche, von denen es stetig mehr gibt. Viele von ihnen kamen der wenig subtilen Aufforderung nach. Allein sieben der reichsten Chinesen versprachen bisher eine Spende von über fünf Milliarden Dollar für karitative Zwecke, so das Wirtschaftsportal Bloomberg. Weitere Milliarden sollen von Konzernen kommen.
Kurz zuvor wurde zudem ein Fünfjahresplan vorgestellt, der eine strikte Reglementierung vieler Bereiche und den Kampf gegen Monopole vorsieht. Beobachter vermuten die nächste Etappe einer größeren Umstrukturierung der Wirtschaft: Weg von Konsum- und unterhaltungsorientierter Dienstleistung, hin zu einer stärkeren Industrialisierung – etwa in die Halbleiter- und Rüstungsindustrie, die E-Auto-Produktion oder die Automatisierung. Der Feldzug gegen die Tech-Konzerne könnte insofern auch dazu dienen, Kapitalströme und Personal umzulenken.
Nachhilfebranche quasi vernichtet
Auch Chinas Bildungsbereich wird umgegraben. Zuletzt wurde die Unterrichtszeit für Schulkinder verkürzt, Erstklässler müssen zudem künftig keine Prüfungen mehr schreiben. Parallel dazu wurde die Nachhilfebranche quasi vernichtet: Nachhilfe darf nur noch durch Non-Profit-Angebote stattfinden. Der private Bildungssektor hatte zuletzt floriert, weil viele chinesische Eltern angesichts des kompetitiven Schulsystems viel Geld und Energie in die Ausbildung ihrer Kinder steckten.
Die Entlastung der Jüngsten in den Schulen soll nun offenbar auch dazu beitragen, dass insbesondere Eltern aus der Mittelklasse gewillt sind, mehr Kinder zu bekommen. Denn auf China wartet eine demografische Bombe, das Land kämpft mit den Folgen der jahrelangen Einkindpolitik. Mittlerweile sind drei Kinder nicht nur erlaubt, sondern auch erwünscht – doch oft frisst aufgrund der hohen Lebenshaltungskosten schon ein Kind alle finanziellen Ressourcen. Zuletzt wurde wohl auch deswegen die Erhöhung der Mieten gedeckelt.
Die „Sorge des Großvater Xi“
Abseits davon erhöht Peking mit dem Abdrängen privater Bildungsangebote den Zugriff auf die Jüngsten. Zum Maßnahmenpaket gehört auch der Ausbau der Propaganda in den Schulen: In Volksschulen bis Universitäten müssen künftig Xis „Gedanken zum Sozialismus chinesischer Prägung für eine neue Ära“ gelehrt werden.
Der neue Stoff solle jungen Menschen helfen, „den Glauben in den Marxismus aufzubauen und das Vertrauen in den Weg, die Theorie, das System und die Kultur des Sozialismus chinesischer Prägung zu stärken“, wurde das Bildungsministerium zitiert. Bei dem Stoff geht es um Themen wie „Wir folgen der Kommunistischen Partei mit ganzem Herzen“. Auch wird auf die Sorge von „Großvater Xi“ um das chinesische Volk abgezielt. Dieser will sich im kommenden Jahr beim 20. Parteitag erneut bestätigen lassen. Die Voraussetzungen für eine lebenslange Amtsdauer hat er bereits geschaffen.