Polizeiabsperrung in den USA
Reuters/Shannon Stapleton
US-Pandemiefolge

Schussunfälle durch Kinder stark gestiegen

Die Zahl der Schussunfälle durch Kinder, die mit Waffen hantieren, ist in den USA seit der Pandemie und den Lockdown-Maßnahmen stark gestiegen. Im Vorjahr stieg die Zahl der Todesfälle zum Vergleichszeitraum 2019 um 31 Prozent – und heuer setzt sich der Trend fort, berichtet die Non-Profit-Organisation Everytown for Gun Safety. Die Kinder würden in Pandemiezeiten mehr Zeit zu Hause verbringen, gleichzeitig sei die Zahl der Waffen in Haushalten gestiegen.

Von März bis Dezember 2019 gab es 98 Todesfälle durch unbeabsichtigte Schüsse von Kindern. Bei insgesamt 255 Vorfällen wurden zudem 169 Menschen verletzt. Im Vorjahr gab es dann von März bis Dezember 314 Schussunfälle mit 199 verletzten und 128 Toten. Gezählt wurden Fälle, wo Kinder und Jugendliche bis inklusive 17 Jahren mit Waffen hantierten und sich ein oder mehrere Schüsse lösten.

Heuer habe es bereits mindestens 259 unbeabsichtigte Schussunfälle durch Kinder gegeben, was landesweit zu 104 Todesfällen und 168 Verletzungen führte, berichtete der öffentlich-rechtliche Sender NPR unter Berufung auf Everytown.

Unbetreute Kinder und Rekorde bei Waffenkäufen

Für die Organisation gibt es mehrere Faktoren für den Anstieg: Mit den Coronavirus-Maßnahmen würden Kinder und Jugendliche mehr zu Hause sein, eine adäquate Kinderbetreuung würde aber oft fehlen. Dazu komme der Rekordanstieg an Waffenverkäufen in der Pandemie, weil viele Leute dachten, sich in so unsicheren Zeiten schützen zu müssen. Geschätzte 22 Millionen Schusswaffen wurden 2020 in den USA gekauft – um rund 60 Prozent mehr als im Jahr davor. Dabei gab es dabei eben auch einen hohen Anstieg bei Erstbesitzern von Waffen, bei denen Umgang und Lagerung der Waffen offenbar fahrlässig erfolgte.

Everytown verfolgt seit sechs Jahren unbeabsichtigte Schießereien durch Kinder. Fälle, in denen kleine Kinder eine Waffe in die Hand nehmen und versehentlich sich selbst, einen Freund oder ein Familienmitglied erschießen, kommen täglich vor. Laut den Untersuchungen der Gruppe zufolge gab es zwischen 2015 und 2020 mindestens 2.070 unbeabsichtigte Schießereien durch Kinder, die zu 765 Todesfällen führten. Erst Mitte August sorgte ein Fall aus Florida für Aufsehen: Ein Kleinkind erschoss seine 21-jährige Mutter, während diese an einer Videokonferenz teilnahm.

Auch Opfer zumeist Kinder und Jugendliche

Doch dass Erwachsene zu Schaden kommen, ist eher die Ausnahme: 91 Prozent der Opfer waren ebenfalls unter 18 Jahre alt. Bei mehr als 25 Prozent der Fälle hantiert ein Kind im Alter von fünf Jahren oder jünger mit der Waffe. Und eines von vier Opfern ist ebenfalls fünf Jahre oder jünger. Die Altersgruppe, die am häufigsten sowohl als Täter als auch als Opfer auftritt, sind Teenager im Alter von 14 bis 17 Jahren, gefolgt von Kindern im Vorschulalter. Buben stellen mit jeweils rund 80 Prozent die Mehrheit der Schützen und der Opfer.

Sicherheitsprogramm der Waffenlobby strauchelt

Warren Eller vom John Jay College für Kriminologie in New York verweist in The Daily Beast darauf, dass es wohl auch eine hohe Dunkelziffer bei diesen Vorfällen gibt, etwa dann, wenn nur kleinere Verletzungen die Folge sind. Eller sagte das im Zuge einer Recherche des Nachrichtenportals, die den Niedergang des Sicherheits- und Schulungsprogramms der Waffenlobby NRA für Kinder beschreibt. Die Zahl der Teilnehmer an dem Programm „Eddie Eagle“ sei innerhalb von zwei Jahren um 96 Prozent gefallen. Die derzeit in Turbulenzen befindliche NRA habe die Mittel für Sicherheit, Ausbildung und Erziehung um 14 Millionen Dollar gekürzt.

Warnung vor Suiziden und häuslicher Gewalt

Die Initiative Everytown macht allerdings selbst noch auf weitere gefährliche Folgen der Pandemie und ihrer Bekämpfung in Zusammenhang mit Schusswaffen in Haushalten aufmerksam. Die soziale Isolierung habe der psychischen Gesundheit, gerade von jungen Menschen, geschadet. Eine Studie der US-Gesundheitsbehörde CDC aus dem Vorjahr habe ergeben, dass ein Viertel der jungen Erwachsenen (im Alter von 18 bis 24 Jahren) seit Beginn der Pandemie Selbstmordgedanken gehegt habe. Der Anteil der jungen Menschen mit einem Risiko für klinische Depressionen habe sich in den ersten Monaten der Pandemie im Vergleich zu der Zeit davor fast verdoppelt.

Und aus anderen Studien wisse man, dass der Zugang zu einer Schusswaffe das Risiko eines Suizids verdreifache. Dank mehrerer politischer Maßnahmen wie eine verstärkte Suizidprävention dürfte, wenn, nur ein geringer Anstieg zu verzeichnen sein – auch wenn die Daten noch nicht vorliegen, so Everytown.

Und die Organisation verweist auch auf den Anstieg von häuslicher Gewalt in Stresssituationen. Daten aus über 40 Bundesstaaten im letzten Quartal von 2020 würden zeigen, dass etwa die Hälfte von befragten Beratungseinrichtungen und Gewaltschutzzentren während der Pandemie deutlich mehr Opfer häuslicher Gewalt von Bedrohungen mit Schusswaffen berichten.