Sally Rooney
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Sally Rooney

Eine, die den Hype nicht will

Mit „Gespräche unter Freunden“ und „Normale Menschen“ hat sich die Irin Sally Rooney den Status einer Literatursensation gesichert. Am Dienstag erscheint ihr dritter Roman „Schöne Welt, wo bist du?“ – für Kritikerinnen und Kritiker eines der am sehnsüchtigsten erwarteten Bücher des Jahres. Der Hype ist ungebrochen, der Buchhandel hat sich längst auf den Erscheinungstag vorbereitet. Rooney selbst macht der Trubel aber zu schaffen.

„Jeden Tag wundere ich mich, warum mein Leben diesen Lauf genommen hat“, schreibt die gefeierte Schriftstellerin Alice ihrer Freundin Eileen in „Schöne Welt, wo bist du?“ Alice, so wird in den Zeilen deutlich, kämpft mit den Folgen ihres Ruhms und dem enormen Interesse an ihrer Person – etwas, was sie mit der Autorin Rooney gemein hat.

Berühmtheit sei ein Zustand, der in vielen Fällen „ohne bedeutende Zustimmung“ geschehe, wird Rooney – die Barack Obama und Taylor Swift zu ihren Fans zählt – im britischen „Guardian“ zitiert. „Die berühmte Person wollte nie berühmt sein“, sagt die Schriftstellerin. Sie gilt als Literaturphänomen: In Kritiken wird Rooney immer wieder als erste große Millennial-Autorin oder „Salinger der Snapchat-Generation“ bezeichnet. Der Ruhm der 30-Jährigen scheint vergleichbar mit jenem von Künstlerinnen der Musik- und Filmszene.

Kometenhafter Aufstieg mit Politik und Liebe

Denn mit ihren ewig nach Liebe, Sex und politischen Diskussionen lechzenden Charakteren ist es der Irin gelungen, Literatur-Aficionados aber auch jene, die sonst nur selten Bücher in die Hand nehmen, in ihren Bann zu ziehen – und das seit etwa vier Jahren: Ihr Erstlingswerk „Gespräche mit Freunden“ war 2017 erschienen, noch erfolgreicher war aber der im darauffolgenden Jahr veröffentlichte Coming-of-Age-Roman „Normale Menschen“, der für den renommierten Man Booker Prize nominiert worden war.

Nicht nur das – „Normale Menschen“, das von der sich über Jahre ziehenden (Nicht-)Beziehung der aus gutem Hause stammenden Marianne und des von einer alleinerziehenden Mutter großgezogenen Connell handelt, wurde in über 40 Sprachen übersetzt. Die Serienadaption von BBC und Hulu machte die ohnehin gefeierte Schriftstellerin einem noch breiteren Publikum bekannt und verhalf den bis dahin unbekannten Schauspielern Daisy Edgar-Jones und Paul Mescal (sowie der Halskette des von Mescal gespielten Connell) ebenso zu internationaler Berühmtheit. Verfilmt wird derzeit auch „Gespräche unter Freunden“, und zwar mit Joe Alwyn und Jemima Kirke in den Hauptrollen.

Cover „Schöne Welt, wo bist du“ von Sally Rooney
Claassen
Sally Rooney: Schöne Welt, wo bist du? Claassen, 352 Seiten, 20,60 Euro.

Rooney mit bewährtem Rezept

Rooney hat sich die Latte für den Erfolg ihres dritten Werks also denkbar hoch gesteckt. Mit „Schöne Welt, wo bist du?“ setzt sie auf ihr bewährtes Rezept: So geht es wieder um zwischenmenschliche Beziehungen, nur dieses Mal eben mit der Autorin Alice, dem Lagerarbeiter Felix, dem Politikberater Simon und der redaktionellen Assistentin Eileen im Zentrum.

Wieder geht es um Liebe, Freundschaft, Freiheit und Einsamkeit – nur sind die Charaktere nicht mehr im Teenageralter, sondern eben um die 30. Auch einen Hauch Endzeitstimmung ließ Rooney – die den Roman in der Pandemie und freilich auch während andauernder Debatten über die Klimakrise – einfließen: „Sind wir nicht bedauernswerte Babys, die geboren wurden, als die Welt unterging?“, fragen sich Alice und Eileen etwa.

Erinnerungen an den „Potter“-Hype?

Dass Rooney der nächste Kassenschlager erwartet, scheint klar: zum einen, weil Rezensionen und Interviews mit der Irin schon seit Wochen immer wieder in Zeitungen und Zeitschriften wie der „New York Times“, dem „Guardian“, „Atlantic“ und auch bei „Vogue“ und „Grazia“ erscheinen – zum anderen, weil bereits bekannt ist, dass allein in Großbritannien 50 Buchhandlungen in Erwartung langer Schlangen am Erscheinungstag früher als sonst öffnen wollen. Manche Händler beteiligen sich an einem „Rooney-Day“.

Der „Guardian“ hält gar Szenen wie jene beim Erscheinen einzelner „Harry Potter“-Folgen für möglich – nur dass jene, die damals samt Zauberstab und Hexenhut vor den Buchhandlungen ausharrten, nun erwachsen sind. Was damals die Sehnsucht nach Magie und Abenteuer war, ist heute die Gier nach Liebe und intellektuell stimulierenden Gesprächen. „Die Veröffentlichung von Rooneys drittem Roman ist der aufregendste und am meisten erwartete Moment im diesjährigen literarischen Kalender“, wird Bea Carvalho vom britischen Buchriesen Waterstones von „The Bookseller“ zitiert.

Heimischer Buchhandel erwartet große Nachfrage

Auch hierzulande wird mit großem Interesse auf den neuen Rooney-Roman gewartet. Kurz vor dem Erscheinungstag sei zwar noch keine verstärkte Nachfrage – etwa durch Vorbestellungen – zu beobachten, gab die Buchhandelskette Thalia gegenüber ORF.at an, aber „man kann sagen, dass sich die Bücher über einen längeren Zeitraum konstant gut verkaufen“. „Sally Rooney steigt selten von null auf eins in die Bestsellerlisten, hält sich aber lange und deutlich darin auf“, so Thalia.

Rooneys bisherige Werke hätten sich „schon immer überdurchschnittlich gut verkauft“, berichtete Franz Lindl, Filalleiter der Buchhandlung Morawa Wollzeile, gegenüber ORF.at. Im Segment der fremdsprachigen Literatur „verhalten sich Nachfrage und Verkäufe ganz und gar nicht in gewohntem Rahmen, sondern gehen weit über diesen hinaus“, so Lindl. Erstaunlich groß sei die Nachfrage ihm zufolge auch nach den deutschsprachigen Ausgaben.

Vorabexemplare als Statussymbol

Dass der Hype ungebrochen ist, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass Vorabexemplare des Romans, die einige wenige ausgewählte Journalistinnen und Journalisten sowie Influencer Monate vor der offiziellen Veröffentlichung erhielten, auf Onlinemarktplätzen wie eBay und Depop auftauchten und sich dort um mehrere hundert Euro verkauften. „Teil des Zwecks von Vorabexemplaren ist es, Menschen das Gefühl zu geben, dass sie Teil eines exklusiven Clubs sind“, sagt Adam Howard vom australischen Verlag Scribe Publications. „Aber mit Sally Rooney geschah das in einem Ausmaß, das wir davor noch nie gesehen haben.“

Gekrönt wird die ohnehin erfolgreiche PR-Kampagne von begehrten Merchandise-Produkten, darunter ein dottergelber Bucket-Hat mit dem Schriftzug „Beautiful World Where Are You“ (Schöne Welt, wo bist du?, Anm.) und allerlei Schreibwaren. „Niemand profitiert von der Kultur rund um das Autorendasein – auch nicht jene, die davon am meisten zu profitieren scheinen“, sagt Rooney zur „New York Times“ paradoxerweise.

Rooney bezeichnet sich nämlich als Marxistin und ist damit der Meinung, dass sie für das Bücherschreiben freilich bezahlt werden soll, nur eben nicht das Vielfache dessen, was Menschen wie ihr Ehemann – ein Mathematiklehrer – verdienen. Überrascht dürfte die Autorin von der Literaturmaschinerie trotz allem auch nicht sein: „Alle Bücher wurden letztendlich als Statussymbole vermarktet“, denkt ihre Romanfigur Connell in „Normale Menschen“ – „und alle Autoren haben bis zu einem gewissen Ausmaß an diesem Marketing teilgenommen.“