Impfstofffläschchen
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ECDC

Auffrischungsimpfung nicht allgemein nötig

Die Krankheitsbekämpfungsbehörde der EU sieht für die allgemeine Bevölkerung derzeit „keine dringende Notwendigkeit“ einer Auffrischungsimpfung gegen das Coronavirus. In einem am Mittwochabend veröffentlichten Vermerk empfiehlt das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) solche zusätzlichen Dosen allerdings für Menschen mit geschwächtem Immunsystem.

„Nach derzeitigem Kenntnisstand besteht keine dringende Notwendigkeit, Auffrischungsdosen an vollständig geimpfte Personen in der Allgemeinbevölkerung zu verabreichen“, erklärte das ECDC. „Die Priorität sollte darin bestehen, die infrage kommenden Personen zu impfen, die ihre Impfung noch nicht abgeschlossen haben.“

Für Menschen mit stark geschwächtem Immunsystem sollten jedoch zusätzliche Dosen in Betracht gezogen werden, wenn sie keinen ausreichenden Impfschutz erreichen, fügte die in Stockholm ansässige Agentur hinzu.

WHO empfiehlt Verzicht zugunsten ärmerer Länder

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte die reichen Länder im August aufgefordert, auf Auffrischungsimpfungen zu verzichten, solange viele Millionen Menschen in ärmeren Länder noch auf ihre erste Impfdosis warten. WHO-Nothilfekoordinator Mike Ryan sagte, Länder wie die USA, die bereits mit Auffrischungsimpfungen begonnen haben, teilten „zusätzliche Rettungswesten an Menschen“ aus, „die schon Rettungswesten haben, während wir andere Menschen ertrinken lassen“.

ECDC-Gebäude in Stockholm
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Sitz der ECDC in Stockholm: Die Behörde empfiehlt die Auffrischung für Menschen mit geschwächtem Immunsystem

Die Europäische Union wies die WHO-Kritik am Mittwoch zurück. EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton sagte, die EU benötige für mögliche Auffrischungsimpfungen geschätzt 300 bis 350 Millionen Impfdosen – so viel Coronavirus-Impfstoff werde in der EU in einem Monat produziert.

„Ich verstehe die Botschaft, aber die Zahlen geben das nicht her“, sagte Breton, der für den Ausbau der Produktionskapazitäten in der EU zuständig ist. Zusammengenommen produzierten die EU und die USA 500 bis 600 Millionen Impfdosen pro Monat. Die EU exportiere zudem Hunderte Millionen Impfdosen in bedürftige Länder.

Auffrischungsimpfungen in Österreich gestartet

Auffrischungsimpfungen werden in vielen Ländern als Reaktion auf die wegen der ansteckenderen Delta-Variante stark steigenden Infektionszahlen diskutiert. Es besteht die Sorge, dass der bestehende Impfschutz nicht reicht, um besonders gefährdete Menschen auch in den kommenden Monaten zu schützen.

In Österreich hat das Nationale Impfgremium (NIG) eine Empfehlung für die Auffrischungsimpfung vorgelegt. Zunächst sollen Seniorinnen und Senioren, Risikopatientinnen und -patienten und all jene, die einen Vektorimpfstoff erhalten haben, geimpft werden. Für alle anderen gibt es den „Booster“ neun bis zwölf Monate nach dem Zweitstich. Am Mittwoch hat Niederösterreich als erstes Bundesland mit den Auffrischungsimpfungen begonnen – mehr dazu in noe.ORF.at.

Ursprünglich wollte die Regierung mit der Auffrischungsimpfung auf eine Entscheidung der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) warten. Diese hat die derzeit verfügbaren Impfstoffe noch nicht für die dritte Impfung zugelassen. In Österreich gilt die Auffrischungsimpfung formal daher als „Off label“-Anwendung.

Zwei Mio. Israelis schon dreimal geimpft

Auch international sind die Auffrischungskampagnen bereits angelaufen. In Israel wurden bereits zwei Millionen Menschen zum dritten Mal geimpft, in den USA etwa eine Million Menschen. Frankreich hat am Mittwoch eine Kampagne für Auffrischungsimpfungen für besonders gefährdete Menschen gestartet. Auch Großbritannien will „so bald wie möglich“ mit Auffrischungsimpfungen für rund eine halbe Million Menschen mit stark geschwächtem Immunsystem starten, wie Gesundheitsminister Sajid Javid ankündigte.

CoV-Welle der Ungeimpften

Die Coronavirus-Pandemie wird zunehmend eine Angelegenheit der ungeimpften jüngeren Bevölkerung. So ist die Inzidenz bei den ungeimpften unter 18-Jährigen 16-mal höher als bei den geimpften unter 18-Jährigen.

Die WHO hat das Ziel formuliert, dass jedes Land der Welt bis Ende September mindestens zehn Prozent seiner Bevölkerung geimpft haben soll. Bis Ende des Jahres sollen es 40 Prozent, bis Mitte 2022 70 Prozent sein. Davon sind viele Länder noch sehr weit entfernt.