Bewaffneter Talib neben einem Schönheitssalon in Kabul, dessen Auslage angesprayt ist
APA/AFP/Wakil Kohsar
Taliban an der Macht

Afghaninnen in Angst um ihre Zukunft

Nach der Machtübernahme durch die Taliban sehen vor allem Frauen der nahen Zukunft mit Unsicherheit und großer Sorge entgegen. Zwar soll es Afghaninnen weiterhin erlaubt sein, in bestimmten Berufen zu arbeiten, doch die Angst vor einer Rückkehr in alte Zeiten ist groß.

An dem Tag, an dem die Taliban die Hauptstadt Kabul einnahmen, gingen bereits Bilder von Werbeplakaten, auf denen unverschleierte Frauen übermalt worden waren, um die Welt. Bei vielen weckte das Erinnerungen an die erste Herrschaft der Taliban von 1996 bis 2001. Nun, knapp drei Wochen nach der Machtübernahme der radikalen Islamisten in Kabul, steht offenbar die Vorstellung einer neuen afghanischen Regierung bevor.

Sher Mohammad Abbas Stanikzai, ein hochrangiger Taliban-Anführer, hatte der BBC zuvor kürzlich gesagt, dass Frauen wahrscheinlich nicht an der Regierung beteiligt würden. Konkret sagte Stanikzai, der sich bereits während der ersten Taliban-Regierung in den 1990er Jahren einen Namen als Hardliner gemacht hatte, Frauen könnten zwar weiter arbeiten, es gebe aber wahrscheinlich keinen Platz für sie in künftigen Regierungen oder Spitzenpositionen.

Taliban bei einer Straßenabsperrung und eine Frau in Burka gekleidet
Reuters
Auch an der Burka lässt sich erkennen, dass die Taliban wieder an der Macht sind

„Wir sehen überhaupt keine Frauen“

Unterdessen gingen in der Provinzhauptstadt Herat am Donnerstag rund 50 Frauen für ihre Rechte unter den neuen Machthabern und für die Beteiligung von Frauen an der Regierung auf die Straße. „Wir haben das Recht auf Bildung, Arbeit und Sicherheit“, riefen die Teilnehmerinnen laut einem AFP-Reporter.

Eine der Organisatorinnen der Proteste, Basira T., sagte AFP, sie fordere eine Einbindung von Frauen in die neue Regierung. „Wir sehen überhaupt keine Frauen bei ihren Treffen und Versammlungen“, kritisierte sie. Herat an der antiken Seidenstraße nahe der iranischen Grenze gilt als relativ kosmopolitisch. Mädchen sind hier bereits wieder in die Schulen zurückgekehrt.

Auch in Kabul soll es laut dem lokalen TV-Sender Tolo News zu einem Protest gekommen sein: Eine Gruppe von Frauen sei auf die Straßen von Kabul gegangen, um Mitspracherechte in der zukünftigen Regierung einzufordern.

Geschlechtertrennung an Unis und Schulen

Zabihullah Mujahid, der Sprecher der Islamisten, bekräftigte, dass in der Grund- und Oberschule Mädchen und Burschen getrennt unterrichtet werden sollten. Zudem dürften Frauen künftig weiter an Universitäten studieren – wenn auch wieder nicht gemeinsam mit männlichen Studierenden. Schließlich solle die Hochschulbildung „gemäß dem Scharia-Gesetz“ erfolgen.

Die Taliban wollten „einen vernünftigen islamischen Lehrplan in Übereinstimmung mit unseren islamischen, nationalen und historischen Werten“ ausarbeiten, der gleichzeitig wettbewerbsfähig mit anderen Ländern sei.

Konvoi mit Taliban auf den Ladeflächen in Kabul
APA/AFP/Aamir Qureshi
Das Ziel der Taliban ist es, nach der Scharia, der strengen Auslegung des islamischen Rechts, zu leben – das gilt auch für Frauen

Arbeit nur in bestimmten Sektoren

Mujahid stellte den Frauen des Landes Arbeitsmöglichkeiten etwa als Krankenschwestern, bei der Polizei oder als Assistentinnen in Ministerien oder der Verwaltung in Aussicht. Ob all diese Ankündigungen von den Taliban tatsächlich eingehalten werden, ist derzeit noch unklar. Beobachter und Beobachterinnen bezweifeln das aber.

Im Gesundheitsbereich hatte es zuletzt Berichte aus dem Norden des Landes gegeben, dass etwa Hebammen nicht mehr an Sitzungen mit männlichen Ärzten teilnehmen durften. Während der ersten Taliban-Herrschaft durften Frauen nicht von männlichen Ärzten behandelt werden, was ihre Gesundheitsversorgung stark einschränkte. Damals war es Frauen zudem streng verboten zu arbeiten, der Zugang zu Bildung und zum öffentlichen Leben blieb ihnen verwehrt, das Haus durfte nur in Burka und in männlicher Begleitung verlassen werden.

Angst um grundlegende Menschenrechte

20 Jahre später ist die Sorge um die Frauenrechte wieder groß: Shaharzad Akbar Akbar von der unabhängigen afghanischen Menschenrechtskommission etwa schrieb auf Twitter: „Die Taliban werden keine Bemühungen scheuen, um Frauen ihre grundlegenden Menschenrechte zu nehmen.“ Sie appellierte an die Welt, „nicht wegzusehen“.

Die afghanische Frauenrechtlerin und Politikerin Fawzia Koofi forderte indes von den militanten Islamisten, das Land gemeinsam wieder aufzubauen. Der Reichtum Afghanistans seien seine jungen Menschen, Mädchen und Buben, jene, die im Land seien, und jene, die in der Zukunft zurückkehrten, so Koofi auf Twitter. „Taliban, hört uns zu: Wir müssen es gemeinsam wieder aufbauen! Dieses Land gehört uns allen“, so Koofi.

Debatte über Aufnahme Schutzbedürftiger hält an

Unterdessen hält auch die Debatte über den Umgang mit Schutzbedürftigen aus Afghanistan an. Der US-Truppenabzug und die Evakuierungsflüge aus Afghanistan sind am Montag offiziell abgeschlossen worden – nun ist unklar, was aus jenen wird, die keinen Platz auf einem Evakuierungsflug ergattern konnten.

Die EU-Staaten konnten sich bisher nicht auf ein gemeinsames Vorgehen bezüglich Schutzbedürftiger einigen. Nach dem Willen von Luxemburgs Minister für Immigration und Asyl, Jean Asselborn, sollte die EU „40.000 bis 50.000 Resettlement-Plätze für afghanische Flüchtlinge“ zur Verfügung stellen. Damit könnten Mädchen, Frauen, ehemalige Richterinnen, Menschenrechtsaktivisten oder andere Personen, deren Leben unmittelbar bedroht ist, in die EU geholt werden.

Afghanistan: Flucht vor Taliban

Mehr als eine halbe Million Menschen sind in Afghanistan seit Beginn des Jahres innerhalb des eigenen Landes auf der Flucht. Die Flüchtlingsagentur der UNO rechnet damit, dass in den nächsten Monaten viele versuchen werden, in die Nachbarländer zu gelangen.

Österreich zeigt sich in dieser Frage gespalten. Während die ÖVP etwa mit Innenminister Karl Nehammer auf Freiwilligkeit pochte und sich gegen eine Aufnahme Schutzbedürftiger aussprach, nahmen die Grünen die gegenteilige Position ein. So forderte etwa Justizministerin Alma Zadic, Frauen, Mädchen und Menschen, die für die frühere Regierung in Kabul oder westliche Staaten gearbeitet haben, aus Afghanistan herauszuholen. Sie müssten fürchten, von den Taliban gefoltert, exekutiert oder gesteinigt zu werden.

Generell waren sich die EU-Außenministerinnen und -Außenminister bei einem Treffen einig, dass an Gesprächen mit den Taliban kein Weg vorbeiführen wird. Für eine Anerkennung der Taliban stellt die EU jedenfalls Bedingungen – unter anderem die Einhaltung von Frauenrechten.