Spritzen mit Corona-Impfstoff
APA/Georg Hochmuth
Steter Rückgang

Impftempo lässt Alarmglocken läuten

Das seit Wochen kontinuierlich nachlassende Impftempo in Österreich alarmiert Expertinnen und Experten des CoV-Prognosekonsortiums. Es wird festgehalten, „dass die Impfgeschwindigkeit im Zuge des Sommers rapide gesunken ist und deutlich unter dem angenommenen Worst-Case-Szenario (…) zu liegen kam“. Kommende Woche beraten Bund und Länder über etwaige Verschärfungen.

In einer Risikobewertung für den kommenden Herbst stellen die Expertinnen und Experten zum Status quo fest: „Wurden im Juni 2021 noch durchschnittlich täglich rund 37.200 Erstdosen an Impfstoffen verabreicht, sank dieser Durchschnitt im August 2021 auf rund 6.100 (also ein Rückgang von etwa 84 Prozent).“

Dabei betonen die Fachleute unter Verweis auf Daten aus Großbritannien die Schutzwirkung von Zweidosenimpfstoffen gegenüber einer symptomatischen Infektion. Nach der zweiten Impfdosis beträgt die Schutzwirkung selbst gegen die hochaktive Delta-Variante immerhin 79 Prozent.

Die Schutzwirkung von Impfstoffen gegenüber dem Risiko von Hospitalisierungen „liegt deutlich höher“, unterstreicht das Konsortium: Gemäß Analysen aus dem Vereinigten Königreich liege die Effektivität der Impfungen bei 80 Prozent nach einer Impfdosis sowie 96 Prozent nach dem Zweitstich. Die Fachleute zeigen sich überzeugt, dass diese Ergebnisse auf Österreich umgelegt werden können: „Mittlerweile liegen vorläufige Daten zur Vakzineffektivität aus Österreich vor, die auf eine ähnlich hohe Vakzineffektivität wie in der internationalen Literatur berichtet schließen lassen.“

Jeder Prozentpunkt entscheidend

Für die mittelfristige Entwicklung ist weiterhin ausschlaggebend, „ob die mitigierenden (bremsenden, Anm.) Faktoren (Durchimpfungsrate, Durchimpfungstempo und Schutzmaßnahmen) oder die verbreitungstreibenden Faktoren“ (erhöhte Übertragbarkeit der Delta-Variante, Effekt der Saisonalität) überwiegen. Bereits wenige Prozentpunkte mehr in der Durchimpfungsrate könnten „zu einem deutlich früheren Abflachen der vierten Welle führen“.

Der Höhepunkt des Medians der täglichen Neuinfektionen lasse sich bei einem Impfplafond von 70 Prozent auf ein Drittel der Inzidenzwerte reduzieren, die bei einem Impfplafond von 62 Prozent zu erwarten wären, haben die Experten – das CoV-Prognosekonsortium setzt sich aus Vertreterinnen und Vertretern der TU Wien, der Medizinischen Universität Wien/Complexity Science Hub Vienna (CSH) und der Gesundheit Österreich GmbH zusammen – errechnet.

Kritik an CoV-Politik wächst

Die vierte CoV-Welle bereitet Expertinnen und Experten zunehmend Sorgen. Das Impftempo sei „deutlich unter dem Worst-Case-Szenario“ heißt es heute vom CoV-Prognose-Konsortium. Aus Sicht des Roten Kreuzes fehlt der Regierung im Kampf gegen die Pandemie eine klare Strategie – und die Ärztekammer fordert dringend eine Verschärfung der Maßnahmen.

Politik muss handeln

Sollte sich der Anteil der Bevölkerung, der sich bisher nicht immunisieren ließ, nicht senken lassen, kann für das Konsortium eine Reaktion der politischen Entscheidungsträger nicht ausbleiben. Fehlender Impffortschritt müsse „mit stringenteren Schutzmaßnahmen ausgeglichen werden, um ein Abflachen der vierten Welle bewerkstelligen zu können“, ist in dem Paper zu lesen.

Um über etwaige Verschärfungen zu beraten, kommen Regierung und Landeshauptleute am Mittwoch zusammen. Während die Regierung den Termin bestätigte, zeigten sich Kanzleramt und Gesundheitsministerium bei inhaltlichen Details zurückhaltend. Als Themen genannt wurden u. a. die Erhöhung der Durchimpfung vor allem der jungen Bevölkerung, der „dritte Stich“ und welche Maßnahmen ergriffen werden können, wenn die Auslastung der Intensivstationen weiter steigt.

Diskutiert wurde zuletzt über die Rückkehr zur FFP2-Masken-Pflicht, über eine kürzere Gültigkeit von Tests und über das von einigen Bundesländern befürwortete Ende der Gratistests. Hintergrund der Debatte sind stark wachsende Infektionszahlen und parallel dazu der Anstieg der Hospitalisierungen.

Lage deutlich schlechter als 2020

Mit Stand Donnerstag wurden 142 CoV-Kranke auf einer Intensivstation behandelt. Damit startet die mittlerweile vierte Infektionswelle deutlich früher als die zweite Welle im vorigen Herbst. Vor einem Jahr waren es – noch dazu ohne Impfung – erst 30 Intensivpatienten. Auch bei den Neuinfektionen liegt Österreich mit aktuell 1.510 Fällen deutlich über dem Vorjahr, als am 2. September 327 Neuinfektionen gezählt wurden.

Bundeskanzleramt und Gesundheitsministerium verwiesen in einer gemeinsamen Aussendung darauf, dass die Auslastung der Intensivstationen laut CoV-Prognosekonsortium weiter steigen wird. Im „Worst-Case-Szenario“ sei auch nicht auszuschließen, dass in einzelnen Ländern auch die kritische Auslastungsgrenze von einem Drittel überschritten werden könnte. Damit könne das Gesundheitssystem wieder an seine Grenzen stoßen.

Mit einer Durchimpfung von knapp 62 Prozent Teilimmunisierten liegt Österreich mittlerweile deutlich unter dem EU-Schnitt von 65 Prozent. Mit Spitzenreitern wie Portugal (85), Malta (80) und Spanien (78 Prozent) kann Österreich ohnehin nicht mithalten.

Popper: Dunkelziffer von bis zu 5.000 Neuinfizierten

Ein düsteres Bild zeichnete Simulationsexperte Niki Popper im Interview mit Puls4. Er geht davon aus, dass die Dunkelziffer bei den täglichen Neuinfektionen sehr hoch ist und sich täglich 4.000 bis 5.000 Österreicherinnen und Österreicher neu infizieren. Um das zu verhindern, sei es für ihn unabdinglich, dass in den nächsten Wochen eine Million Menschen geimpft werden, sagte Popper.

Sollte das gelingen, würden nur „relativ niedrige Maßnahmen“ notwendig sein, um die Pandemie unter Kontrolle zu halten. Sollte das jedoch nicht gelingen, müsse sich die Politik einen „Plan B“ überlegen. Er glaubt, dass die Dunkelziffer jener, die immunisiert sind – geimpft oder genesen –, bei 70 Prozent liege. Aber da würden noch zehn bis 30 Prozent fehlen, um gut weiterzukommen. „Der Impfmotor hat nicht nur gestottert, sondern er ist zum Erliegen gekommen“, beschreibt Popper die derzeitige Situation. Am 7. Mai seien in Österreich halb so viele Menschen geimpft worden wie im gesamten Monat August.

Die Situation sei besser als im vergangenen Jahr, weil es nun in Österreich mehr Geimpfte gebe. „Aber wir können nicht nichts tun.“ Impfen allein werde nicht mehr reichen, es müsse auch konsequent getestet werden. Und die Politik müsse entscheiden, wo Hygienemaßnahmen notwendig sind.