Afghanische Widerstandsbewegung im Pandschir-Tal, Afghanistan
Reuters/National Resistance Front Of Afg
Afghanistan

US-General warnt vor Bürgerkrieg

Die Lage in Afghanistan bleibt prekär. Im Panjshir-Tal toben Berichten zufolge weiterhin heftige Kämpfe zwischen den radikalislamischen Taliban und der Widerstandsbewegung unter Ahmad Massoud. Die Bekanntgabe der Taliban-Führungsriege wurde vorläufig verschoben. Der hochrangige US-General Mark Milley äußerte nun vor diesem Hintergrund die Befürchtung, dass Afghanistan in einen Bürgerkrieg abgleiten könnte.

„Ich weiß nicht, ob die Taliban in der Lage sein werden, ihre Machtstellung zu festigen und eine Regierung zu etablieren“, sagte Milley dem Sender Fox News am Samstag in einem Interview auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein im deutschen Rheinland-Pfalz. „Meine militärische Einschätzung ist, dass sich die Lage wahrscheinlich zu einem Bürgerkrieg auswachsen wird.“

Eine solche Entwicklung könnte wiederum dazu führen, dass Terrorgruppen das Machtvakuum in Afghanistan für sich nutzen, warnte Milley. Zu befürchten sei, dass sich al-Kaida neu formiert, die Extremisten der Terrormiliz Islamisches Staat (IS) ihren Einfluss ausbauen „oder eine Vielzahl anderer Terrorgruppen“ sich am Hindukusch breitmacht. „Es könnte sein, dass wir binnen zwölf, 24 oder 36 Monaten sehen werden, wie ausgehend von dieser Region der Terrorismus aufs Neue erstarkt. Und wir werden das beobachten.“

Warnung vor Bürgerkrieg in Afghanistan

In Afghanistan haben die Taliban noch immer keine Regierung gebildet, die Bekanntgabe wird immer wieder verschoben. Hintergrund dürften die schweren Kämpfe mit der nationalen Widerstandsfront im Panjshir-Tal sein.

Nach wie vor keine Regierung

Bisher ist es den Taliban trotz entsprechender Ankündigungen nicht gelungen, eine Führungsriege vorzustellen. Am Samstag wurde vermutet, dass die anhaltenden Kämpfe im Panjshir-Tal der Hintergrund dafür sein könnten. Das Tal ist die einzige Provinz in Afghanistan, die noch nicht von den Taliban kontrolliert wird. Widerstandskämpfer leisten seit Tagen erbitterten Widerstand gegen die Taliban. Sowohl die Taliban als auch die Widerständler betonten, die Überhand zu haben.

„Wir werden den Kampf für Gott, Freiheit und Gerechtigkeit niemals aufgeben“, sagte Massoud, lokaler Widerstandsführer, am Samstag. Panjshir sei „bisher standhaft geblieben“. Am Sonntag meldeten die Vertreter des Widerstands, dass man den Taliban schwere Verluste zugefügt habe. Etwa 1.000 Islamisten seien im Tal eingeschlossen worden. Alle Angreifer seien getötet worden, hätten sich ergeben oder seien gefangen genommen worden, hieß es weiter.

Taliban-Sprecher Bilal Karimi wiederum schrieb am Sonntag auf dem Kurznachrichtendienst Twitter, die Islamisten kontrollierten nun fünf der sieben Bezirke der Provinz. Die Angaben konnten nicht von unabhängiger Seite überprüft werden. In der Nacht auf Samstag hatten Taliban-Unterstützer auf Twitter Gerüchte verbreitet, dass das Panjshir-Tal gefallen und die Führung des Widerstands geflohen sei.

„Unser Land verteidigt“

Der ehemalige Vizepräsident Amrullah Saleh dementierte diese Gerüchte umgehend in einem an die BBC übermittelten Video. Die Situation sei schwierig, „aber wir haben unser Land verteidigt“. Es werde keine Kapitulation geben. Saleh soll sich selbst in Panjshir aufhalten. Es gibt dafür aber keine Bestätigung.

„Taliban sitzen in der Falle“

Laut BBC soll es bei den Kämpfen um das Tal Hunderte Tote gegeben haben. In der bergigen Region leben zwischen 150.000 und 200.000 Menschen. Laut einem Sprecher der Nationalen Widerstandsfront drängten die Rebellen die Taliban in die Defensive: „Es gibt weit mehr als ein paar hundert Taliban, die in der Falle sitzen. Ihnen geht die Munition aus, und sie verhandeln gerade über die Bedingungen ihrer Kapitulation“, sagte er gegenüber der BBC am Samstag. Zuvor hatten Taliban-Vertreter allerdings den Sieg auch über dieses Gebiet verkündet.

Das Panjshir-Tal war auch während der ersten Taliban-Herrschaft zwischen 1996 und 2001 nicht erobert worden. Das lag einerseits an dem harten Widerstand der Nordallianz, andererseits an der geografischen Lage des Tals – der Eingang ist eng und gut zu verteidigen. Laut einem „Guardian“-Bericht verfügen die Rebellen über große Waffenlager.

Afghanische Widerstandsbewegung
APA/AFP/Ahmad Sahel Arman
Widerstandskämpfer patrouillieren in Panjshir

Flughafen Kabul wieder in Betrieb?

Unterdessen soll der Flughafen der Hauptstadt katarischen Angaben zufolge wieder geöffnet worden sein. Die Startbahn sei in Zusammenarbeit mit afghanischen Behörden repariert worden, sagte der katarische Botschafter dem Sender al-Jazeera. Der Sender berichtete außerdem, Inlandsflüge in die Städte Masar-e-Sharif und Kandahar seien wieder aufgenommen worden. Katar hatte angekündigt, gemeinsam mit der Türkei und den Taliban an einer Wiederinbetriebnahme des Flughafens von Kabul zu arbeiten.

Taliban Kämpfer an einem Checkpoint in Kabul
APA/AFP/Aamir Qureshi
Taliban kontrollieren Pendler in Kabul

Zusammenstöße bei Frauen-Demo in Kabul

Bei einer Demonstration für Frauenrechte in Kabul kam es indes am Wochenende zu Zusammenstößen. Mindestens eine Frau sei dabei verletzt worden, hieß es von lokalen Journalisten am Samstag. Rund zwei Dutzend Frauen hatten zunächst friedlich in der Nähe des Präsidentenpalastes demonstriert, wie auf in sozialen Netzwerken geteilten Bildern zu sehen war.

Sie hielten Schilder in der Hand, auf denen etwa „Wir sind nicht die Frauen von vor 20 Jahren“ stand oder „Gleichheit – Gerechtigkeit – Demokratie!“. Auf Videos ist zu sehen, wie die Frauen von 50 oder mehr Sicherheitskräften der Taliban umzingelt sind und sich Schreiduelle mit Taliban liefern. Die Videos und Angaben konnten zunächst nicht unabhängig verifiziert werden. Auch der Sender CNN berichtete über den Frauenprotest. Zuvor hatten bereits am Freitag mehrere Frauen in Kabul für Frauenrechte demonstriert.

Treffen von Frauenrechtsaktivistinnen in Kabul
AP/Kathy Gannon

Sonderbotschafterin Jolie sieht systematisches Versagen

Besorgt äußerte sich unterdessen Schauspielerin und Sonderbotschafterin des UNO-Flüchtlingshilfswerks Angelina Jolie. Sie nannte die Entwicklungen in Afghanistan als Beispiel für systematisches politisches Versagen und „eine jahrzehntelange Vernachlässigung von Menschenrechten“, sagte Jolie der „Welt am Sonntag“. „In dem Land offenbart sich sowohl der Mangel an durchdachten menschenrechtsbasierten Interventionen wie auch der Zusammenbruch des internationalen Systems.“

Die ganze Welt sei heute in einem schlimmeren Zustand als vor 20 Jahren, sagte Jolie: „Wir haben mehr ungelöste Konflikte und Millionen mehr Flüchtlinge.“ Jolie sagte, sie glaube zwar nicht, dass eine Regierung in Afghanistan „jetzt einfach die Uhr zurückdrehen und sagen kann, dass von nun an alles wieder so sein wird wie vor 20 Jahren“. Aber da könne sie sich auch irren. Ihre Sorge sei jedenfalls groß: „Ich denke an all die Frauen und Mädchen, die jetzt nicht wissen, ob sie wieder zur Arbeit oder zur Schule gehen können. Und ich denke an die jungen Afghanen, die sich Sorgen machen, dass sie ihre Freiheiten verlieren werden.“