Satellitenbild des Mazar-e-Sharif Flughafen, zeigt sechs Flugzeuge nahe dem Terminal.
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Mazar-e Sharif

Unklarheit um wartende Flugzeuge

Vor bald einer Woche sind die letzten US-Soldaten aus Afghanistan abgezogen. Seitdem ist es für Menschen, die zurückblieben, noch schwieriger geworden, das Land zu verlassen. Offenkundig wird das derzeit im Flughafen in Mazar-e Sharif im Norden des Landes. Dort können mindestens vier Flugzeuge mit Hunderten Menschen, die bereits vor der Machtübernahme der radikalislamischen Taliban aus dem Land fliehen wollten, seit Tagen nicht abheben. Zu den Gründen gibt es widersprüchliche Angaben.

Michael McCaul, ranghöchster Republikaner im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten des US-Repräsentantenhauses, gab an, dass sich in den Flugzeugen US-Bürger und afghanische Ortskräfte befänden. McCaul sprach gegenüber dem US-Sender Fox News von sechs Flugzeugen, die von den Taliban „seit Tagen“ keine Starterlaubnis erteilt bekämen. Die Passagiere würden „als Geiseln gehalten“.

Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid wies die Behauptungen zurück und bezeichnete sie gegenüber der BBC als „Propaganda“. Ein afghanischer Beamter des Flughafens gab wiederum an, dass es sich bei den Passagieren um Afghanen handle, von denen viele keine Pässe oder Visa besaßen und somit nicht unmittelbar in der Lage waren, das Land zu verlassen. Es ist derzeit kaum möglich, die unterschiedlichen Darstellungen zu bewerten.

Sorge, dass Taliban „immer mehr verlangen“

Der US-Politiker McCaul sagte: „Die Taliban lassen sie nicht vom Flughafen weg.“ Er fügte hinzu, besorgt zu sein, dass „sie immer mehr verlangen werden, sei es Bargeld oder die Legitimität als Regierung Afghanistans“. Der afghanische Beamte, der wegen der Sensibilität des Themas anonym bleiben wollte, sagte, es handle sich um vier Flugzeuge, deren vorgesehene Passagiere in Hotels untergebracht seien, während die Behörden prüften, ob sie das Land verlassen könnten.

Die letzten Tage des US-Einsatzes in Afghanistan waren geprägt von erschütternden Zuständen auf dem Flughafen von Kabul. Es gelang, Zehntausende Menschen zu retten. Als die letzten Truppen abzogen, blieben jedoch viele zurück. Die USA versprachen, weiter mit den neuen Herrschern zusammenzuarbeiten, um diejenigen, die das Land verlassen wollen, in Sicherheit zu bringen. Zugleich sicherten die Islamisten zu, allen, die über die erforderlichen Papiere verfügen, die Ausreise zu ermöglichen.

US-General warnt vor Bürgerkrieg

Unterdessen äußerte der hochrangige US-General Mark Milley die Befürchtung, dass Afghanistan in einen Bürgerkrieg abgleiten könnte. Als Anlass sieht er den wachsenden Widerstand gegen die Taliban-Herrschaft: Im Panjshir-Tal toben Berichten zufolge weiterhin heftige Kämpfe zwischen den Extremisten und der Nationalen Widerstandsfront von Afghanistan (NRFA) unter Ahmad Massoud.

Afghanische Widerstandkämpfer im Panjschir Tal.
APA/AFP/Ahmad Sahel Arman
Widerstandskämpfer in Panjshir

„Ich weiß nicht, ob die Taliban in der Lage sein werden, ihre Machtstellung zu festigen und eine Regierung zu etablieren“, sagte Milley dem Sender Fox News am Samstag in einem Interview auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein im deutschen Bundesland Rheinland-Pfalz. „Meine militärische Einschätzung ist, dass sich die Lage wahrscheinlich zu einem Bürgerkrieg auswachsen wird.“

Eine solche Entwicklung könnte wiederum dazu führen, dass Terrorgruppen das Machtvakuum in Afghanistan für sich nutzen, warnte Milley. Zu befürchten sei, dass sich al-Kaida neu formiert, die Extremisten der Terrormiliz Islamisches Staat (IS) ihren Einfluss ausbauen „oder eine Vielzahl anderer Terrorgruppen“ sich am Hindukusch breitmacht. „Es könnte sein, dass wir binnen zwölf, 24 oder 36 Monaten sehen werden, wie ausgehend von dieser Region der Terrorismus aufs Neue erstarkt. Und wir werden das beobachten.“

Unklare Lage beim Kämpfen im Panjshir-Tal

Bisher ist es den Taliban trotz entsprechender Ankündigungen nicht gelungen, eine Führungsriege vorzustellen. Am Samstag wurde vermutet, dass die anhaltenden Kämpfe im Panjshir-Tal der Hintergrund dafür sein könnten. Das Tal ist die einzige Provinz in Afghanistan, die noch nicht von den Taliban kontrolliert wird. Widerstandskämpfer leisten seit Tagen erbitterten Widerstand gegen die Taliban. Sowohl die Taliban als auch die Widerständler betonten, die Überhand zu haben.

Afghanische Widerstandkämpfer im Panjschir Tal.
APA/AFP/Ahmad Sahel Arman
Das umkämpfte Gebiet ist äußerst gebirgig – ein Vorteil für die Widerstandsbewegung

„Wir werden den Kampf für Gott, Freiheit und Gerechtigkeit niemals aufgeben“, sagte Massoud, lokaler Widerstandsführer, am Samstag. Panjshir sei „bisher standhaft geblieben“. Am Sonntag meldeten die Vertreter des Widerstands, dass man den Taliban schwere Verluste zugefügt habe. Etwa 1.000 Islamisten seien im Tal eingeschlossen worden. Alle Angreifer seien getötet worden, hätten sich ergeben oder seien gefangen genommen worden, hieß es weiter.

Taliban: Nach Basarak vorgedrungen

Taliban-Sprecher Bilal Karimi wiederum schrieb am Sonntag auf dem Kurznachrichtendienst Twitter, die Islamisten kontrollierten nun fünf der sieben Bezirke der Provinz. Zudem wurde verlautbart, dass die Extremisten in die Provinzhauptstadt Basarak vorgedrungen seien.

Die Angaben konnten nicht von unabhängiger Seite überprüft werden. In der Nacht auf Samstag hatten Taliban-Unterstützer auf Twitter Gerüchte verbreitet, dass das Panjshir-Tal gefallen und die Führung des Widerstands geflohen sei.

Berichte: NRFA-Sprecher Fahim Dashti getötet

Unterdessen gab es am Sonntag Berichte, wonach der der Sprecher der Nationalen Widerstandsfront von Afghanistan, Fahim Dashti, im Zuge von Kampfhandlungen im Panjshir-Tal getötet worden sein soll. Auch der reichweitenstarke afghanische Sender Tolo News vermeldete den Tod Dashtis unter Berufung auf Quellen aus der umkämpften Region. Laut BBC soll es bei den Kämpfen um das Tal bereits Hunderte Tote gegeben haben.

In der bergigen Region leben zwischen 150.000 und 200.000 Menschen. Laut einem Sprecher der Nationalen Widerstandsfront drängten die Rebellen die Taliban in die Defensive: „Es gibt weit mehr als ein paar hundert Taliban, die in der Falle sitzen. Ihnen geht die Munition aus, und sie verhandeln gerade über die Bedingungen ihrer Kapitulation“, sagte er gegenüber der BBC. Zuvor hatten Taliban-Vertreter allerdings den Sieg auch über dieses Gebiet verkündet.

Taliban sollen ehemalige Polizistin getötet haben

Unterdessen gibt es Berichte, wonach Taliban eine ehemalige Polizistin in der zentralafghanischen Provinz Ghor getötet haben. Negarah, die vor der Machtübernahme der Islamisten ihren Dienst in einem Gefängnis in der Provinz verrichtet haben soll, sei in der Nacht am Samstag vor den Augen ihres Ehemannes und Sohnes von Taliban getötet worden, sagte Hassan Hakimi, ein aus Ghor stammender Aktivist, der dpa am Sonntag. Die Frau sei zudem schwanger gewesen.

Zwei ehemalige Beamte der Provinz, die namentlich nicht genannt werden wollten, bestätigten den Vorfall. Hakimi sagte weiter, man habe sich Sorgen gemacht um Frauen, die früher bei der Polizei, in einem Frauenhaus oder in der Direktion für Frauenangelegenheiten gearbeitet hätten. „Die Taliban haben sie viele Male gewarnt.“ Der Aktivist kritisierte die Taliban, weil sie eine versprochene Generalamnestie nicht einhalten. Er sagte, ihre Taten widersprächen ihren Worten.

Kein Kommentar von Taliban

In einem in sozialen Netzwerken geteilten Video sagt ein junger Mann, der angibt, der Sohn der Getöteten zu sein, die Männer hätten sich als „Mudschaheddin“ bezeichnet, als sie in ihr Haus gekommen seien. Taliban nennen sich selbst Mudschaheddin. Seine Mutter sei im achten Monat schwanger gewesen, sagte er in dem Video weiter. „Die Regierung muss herausfinden, ob sie Taliban waren oder DAESCH (Bezeichnung für die Terrormiliz IS, Anm.) oder wer auch immer“.

Das Video und die Angaben konnten nicht von unabhängiger Seite überprüft werden. Vonseiten der Taliban gab es keinen Kommentar zu dem Vorfall.