Hühner in Käfighaltung
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Hendl oder auch Hund

Hitzige Debatte über Antibiotikaverbote

Der massenhafte Einsatz von Antibiotika gilt als Ursache für gefährliche Resistenzen. Bestimmte antibiotische Wirkstoffe sollen nach dem Willen des Umweltausschusses im Europaparlament daher nicht mehr kollektiv in der Massentierhaltung verabreicht werden dürfen. Das ruft viele Tierärztinnen und -ärzte auf den Plan: Sie argumentieren, dass dann auch Haustiere betroffen wären.

Antibiotika sind lebenswichtig, sowohl in der Human- als auch in der Tiermedizin. Die eingesetzten Mengen sind aber gerade in der Massentierhaltung enorm, und sie werden mitunter prophylaktisch verabreicht – auch in Österreich. Laut der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) wurden 2019 in Österreich 2019 insgesamt 40,7 Tonnen Antibiotika für den Einsatz in der Veterinärmedizin verkauft. In Deutschland waren es 2019 ganze 670 Tonnen.

Laut einer Studie der Princeton University wird mit 73 Prozent der überwiegende Großteil in der Tierhaltung für den Fleischgewinn verschrieben. Die Antibiotikaflut an sich ist längst zur Gefahr geworden. Die Wirkstoffe landen auf dem Teller, gelangen durch Gülle auch in Boden und Wasser – und damit auch die Gefahr, dass die Medikamente nicht mehr wirken. Denn jeder Einsatz von Antibiotika fördert die Bildung von Resistenzen: Empfindliche Bakterien werden abgetötet – die widerstandsfähigen überleben und vermehren sich weiter. Pro Jahr sterben in der EU inzwischen rund 33.000 Menschen, weil Antibiotika nicht mehr wirken.

Entscheidung nächste Woche

Es gibt wenige Wirkstoffe, die dann noch zum Einsatz kommen können: die Reserveantibiotika. Sie sollen, wenn es nach dem Umweltausschuss des EU-Parlaments geht, für die Humanmedizin reserviert werden, um Resistenzen vorzubeugen. Derzeit liegt ein Entschließungsantrag unter Federführung des deutschen Grünen Martin Häusling auf dem Tisch, über den nächste Woche im EU-Parlament abgestimmt wird. Darin fordert Häusling die EU-Kommission auf, fünf von insgesamt 35 Wirkstoffen der Reserveantibiotika offiziell in der Tiermedizin zu verbieten.

Hühner in Käfighaltung
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Der Großteil der Antibiotika in der Tierhaltung werde nicht einzeln, sondern gruppenweise verabreicht, so Häusling.

Allerdings seien Ausnahmen geplant, so Häusling in einem Onlinegespräch mit Journalistinnen und Journalisten. So soll das Verbot für die Massentierhaltung gelten, nicht aber für Haustiere. Außerdem solle unterschieden werden, ob Antibiotika in Einzelbehandlung verschrieben werden, oder ob große Gruppen von Tieren in der Fleischproduktion auf einmal Antibiotika erhalten.

Resistente Keime auf dem Teller

„Rund 90 Prozent der in der Tierhaltung eingesetzten Antibiotika werden nicht an einzelne Tiere verabreicht, sondern gleich an die ganze Gruppe, etwa über Tränken“, so Häusling. Wenn eines der Tiere in der Mast krank sei, würden gleich alle behandelt – die Fachwelt nennt das Metaphylaxe. „Das ist fahrlässig. Man darf nicht dauerhaft die Fehler in der Tierhaltung mit Antibiotika ausbügeln“, so Häusling. „Wir gehen einer Zeit entgegen, wo Antibiotika gar nicht mehr wirken, da besteht dringender Handlungsbedarf.“

Häusling gab eine Studie in Auftrag, an der auch Reinhild Benning von der Deutschen Umwelthilfe mitwirkte. Laut Benning führt die Gruppenbehandlung von Tieren zu einer „Verschleppung resistenter Keime in die Lebensmittel“. In 35 Prozent der in fünf EU-Ländern untersuchten Hühnerfleischproben seien solche Keime gefunden worden, gegen die Antibiotika schon wirkungslos seien. Durch bessere Haltung, etwa Impfungen oder ausgewogeneres Futter, wären viele Antibiotikagaben unnötig.

Hundeaugen als PR-Mittel

Die Interessenvertretungen der Tierärztinnen und Tierärzte geht dennoch dagegen auf die Barrikaden. Sie glauben nicht daran, dass die Ausnahmen für Hund, Katze oder Reptil nach Annahme des Vorschlags so einfach gelten würden. Und dann könnten auch Haustiere nicht mehr mit lebensrettenden Antibiotika behandelt werden. Der deutsche Tierärzteverband etwa startete eine großangelegte Unterschriftenkampagne.

„Bitte unterschreiben, damit auch in Zukunft alles für meine Gesundheit getan werden kann“, heißt es auf Plakaten des Verbands, die einen traurig blickenden Hund zeigen. „Tiere müssten im Zweifelsfall sogar euthanasiert werden, weil bei bestimmten Indikationen die erforderlichen Tierarzneimittel nicht mehr zur Verfügung stehen“, so Verbandspräsident Siegfried Moder in einer Aussendung.

„Wirtschaftlicher Schaden und Tierleid“

Auch die österreichische Tierärztekammer spricht sich strikt gegen die geplanten Regeln aus. „Der Antrag beinhaltet schwere Forderungen, die stark über das Ziel hinausschießen“, so Kammerpräsident Kurt Frühwirth zu ORF.at. Es handle sich um ein Verbot per Gießkanne, bei dem zuerst untersagt werde und in späterer Folge wieder Ausnahmen gemacht werden sollen. „Wenn es einen Entzug von Antibiotika für die Veterinärmedizin geben soll, dann muss einzeln geprüft und wissenschaftlich bewiesen werden, wieso ein bestimmter Wirkstoff in bestimmten Fällen nicht mehr einzusetzen ist, etwa über einen Kriterienkatalog.“

Eine ganze Gruppe von Wirkstoffen generell zu untersagen sei der falsche Weg. „Das würde nicht nur großen wirtschaftlichen Schaden hervorrufen, sondern auch Tierleid.“ Zudem gebe es nicht immer einen direkten Zusammenhang zwischen der Abgabe von Antibiotika in der Tiermedizin und Resistenzen in der Humanmedizin. Alle Beteiligten würden sich auch zur prinzipiellen Reduktion von Antibiotika bekennen und auch zur Notwendigkeit weiterer Maßnahmen. In Österreich etwa sank die Zahl der an Tiere verabreichten Antibiotika um 15 Prozent innerhalb eines Jahres. Die Tierärztinnen und Tierärzte hätten „da auch ihre Hausaufgaben schon gemacht“, so Frühwirth. Laut Landwirtschaftsministerium sank die Zahl der Antibiotika in der Geflügelhaltung zwischen 2011 und 2019 gar um 62 Prozent.

Medikamentenverkauf durch „Autobahntierärzte“

Man werde allerdings sehr wohl darauf achten, dass Einzelbehandlungen in der landwirtschaftlichen Haltung und auch bei Haustieren weiterhin möglich sei, so hingegen Häusling. „Die Kampagne der Tierärzte ist völlig daneben, eigentlich müssten sie uns unterstützen.“ Dass die Opposition der Tierärzte gegen die Verbote so groß ist, liege wohl an finanziellen Gründen, so die Vermutung. „Tierarzt ist nicht gleich Tierarzt. Ein normaler Veterinär hat auch mit Großställen und Mast wenig zu tun. Dafür gibt es wenige Tierärzte, früher nannte man sie Autobahntierärzte, die viele Mastbetriebe betreuen. Sie leben oft nur vom Medikamentenverkauf“, so der Abgeordnete.

Auch Expertin Benning sah hier ein Problem. Sie habe größten Respekt vor dem Berufsstand der Tierärzte, aber es gebe eine kleine Gruppe, „für die sich die Industrialisierung der Tierhaltung als Geschäftsfeld erwiesen hat“. So würden etwa in den Niederlanden fünf Prozent der Tierarztpraxen 80 Prozent der Antibiotika verkaufen, so Benning.

Vorwurf des Populismus

Diese Struktur bestehe auch in Österreich, konstatiert Tierarzt Frühwirth. Die Gründe dafür lägen aber im benötigten Fachwissen. „In der intensiven Nutztierhaltung braucht man Spezialwissen. Daher betreuen einige wenige Spezialisten eine relativ große Anzahl an Betrieben.“ Frühwirth wiederum wirft dem grünen Abgeordneten Populismus vor. Seine Kampagne für das Antibiotika-Verbot habe politische Aufmerksamkeit im deutschen Wahlkampf zum Ziel. „Das trägt aber nur noch mehr zur aufgeheizten Stimmung bei“.

Dass in der Debatte schwere Geschütze aufgefahren werden, zeigte auch Frank Ulrich Montgomery. Der Präsident des Weltärztebunds unterstützt an der Seite Häuslings das Verbot und wählte dafür auch drastische Worte: „Es kann nicht sein, dass ein gerettetes Meerschweinchen dazu führt, dass auf der Intensivstation ein Mensch stirbt.“