Die belarussische Oppositionelle Maria Kolesnikowa
AP/BelTA pool photo/Ramil Nasibulin
Belarus

Lange Haft für Oppositionelle Kolesnikowa

Die belarussische Oppositionelle Maria Kolesnikowa ist fast ein Jahr nach ihrer Festnahme im Zuge der Proteste gegen Machthaber Alexander Lukaschenko zu elf Jahren Haft verurteilt worden. Das teilte das Gericht laut belarussischen Staatsmedien am Montag in Minsk mit. Der mit Kolesnikowa angeklagte Anwalt Maxim Snak erhielt zehn Jahre Haft. Bereits im Vorfeld wurde der Prozess international kritisiert.

Das Urteil erging wegen angeblicher versuchter illegaler Machtergreifung: Der Vorwurf der Anklage lautete, die beiden hätten die nationale Sicherheit untergraben, sich zur Machtübernahme verschworen und eine extremistische Gruppe gegründet. Hintergrund: Kolesnikowa hatte mit Snak und anderen Lukaschenko-Gegnern den Koordinierungsrat für eine friedliche Machtübergabe in Belarus gegründet.

Die Oppositionelle sprach in einem schriftlich geführten Interview des unabhängigen russischen Onlinesenders Doschd von einer „absurden Anschuldigung“. Das sei ein weiteres Beispiel für die „Gesetzlosigkeit des Polizeistaates“. Auch Snak bestritt ein Fehlverhalten.

„Wir freuen uns, sie zu sehen“

In einem Video aus dem Gerichtssaal, das im Onlinedienst Telegram verbreitet wurde, bildete Kolesnikowa – mit Handschellen gefesselt – ein herzförmiges Symbol mit ihren Händen. „Liebe Zuschauer, wir freuen uns, Sie zu sehen“, sagte Snak, der neben ihr stand, in den Aufnahmen vor der Urteilsverkündung. Vor dem Gerichtsgebäude bildete sich eine lange Menschenschlange.

Die belarussische Oppositionelle Maria Kolesnikowa
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Kolesnikowa in einem Gitterkäfig vor Gericht – das Foto stammt vom Prozessauftakt am 4. August

Eine der Symbolfiguren der Protestbewegung

Die 39-jährige Musikerin gilt als eine der Symbolfiguren der Protestbewegung gegen den autoritär regierenden Staatschef Lukaschenko. Sie war die Wahlkampfmanagerin von Viktor Babaryko, der vor der Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr als aussichtsreichster Herausforderer Lukaschenkos galt, kurz vor der Wahl aber festgenommen wurde. Im Juli wurde Babaryko wegen Korruption zu 14 Jahren Haft verurteilt.

Kolesnikowa war zusammen mit Swetlana Tichanowskaja und Veronika Zepkalo international bekannt geworden. Nach der weithin als gefälscht eingeschätzten Abstimmung schloss sie sich den Massenprotesten an, rasch nach dem Aufflammen wurde sie Anfang September 2020 vom Geheimdienst KGB in Minsk entführt. Als sie in die Ukraine abgeschoben werden sollte, zerriss sie kurz vor dem Grenzübergang ihren Pass und vereitelte so Pläne, sie aus dem Land zu vertreiben.

Die belarussische Oppositionelle Maria Kolesnikowa
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Die belarussische Oppositionelle Kolesnikowa bei einer Demo am 30. August 2020. Wenig später wurde sie festgenommen.

Verhandlung hinter verschlossenen Türen

Zum Prozessauftakt saßen Kolesnikowa und Snak in einem vergitterten Glaskasten in einem Gericht in der Hauptstadt Minsk. Zu der Verhandlung hinter verschlossenen Türen waren nur Staatsmedien zugelassen – nicht aber Familienangehörige. Die Urteilsverkündung war dagegen öffentlich. In seiner bisherigen beruflichen Laufbahn habe er noch nie erlebt, dass bei einem Fall ein derartiges Tempo vorgelegt wurde, sagte Kolesnikowas Anwalt Wladimir Pyltschenko.

Wegen des Vorgehens gegen Andersdenkende hatten auch die EU und die USA wiederholt Sanktionen gegen Belarus erlassen. Der Machtapparat in Minsk zeigte sich davon stets unbeeindruckt. Lukaschenko, der als „letzter Diktator Europas“ gilt, wird vor allem vom russischen Präsidenten Wladimir Putin unterstützt. Von der EU wird die Kür Lukaschenkos nicht anerkannt.

Opposition: „Unschuldig!“

„Unschuldig! Das wissen alle Belarussen, (…) nur das Gericht weiß es nicht“, kommentierte die Opposition. Die beiden politischen Gefangenen hätten lediglich versucht, ihr Land zum Besseren zu verändern. Die im Exil in Litauen lebende Oppositionsführerin Tichanowskaja bezeichnete Kolesnikowa und Snak nach dem Urteil als „Helden“. „Das Regime will, dass wir sie zerschlagen und erschöpft sehen. Aber sehen Sie: Sie lächeln und tanzen“, schrieb Tichanowskaja auf Twitter.

Die Anwälte der beiden Verurteilten wollen die Entscheidung vor dem Obersten Gericht in Belarus anfechten. Es gebe keine Rechtsgrundlage für eine Verurteilung, teilten die Verteidiger mit. Die Menschenrechts-NGO Amnesty International nannte das Urteil willkürlich.

US-Außenminister Blinken: „Beschämend“

US-Außenminister Antony Blinken sprach von einem „politisch motivierten“ Urteil, das „beschämend“ sei. „Bedauerlicherweise sind diese Urteile ein weiterer Beleg für die völlige Missachtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten des belarussischen Volkes durch das Regime“, beklagte er. Der britische Außenminister Dominic Raab sagte in einer ersten Reaktion, das Urteil zeige, dass die belarussischen Autoritäten „ihren Angriff auf die Verteidiger von Demokratie und Freiheit fortsetzen“.

Der ins Ausland geflüchtete Experte Artjom Schraibman erwartet nun, dass der Westen den Druck auf den autoritären Machtapparat in Belarus weiter erhöht. „Die Opposition kann die Gefangenen ja nicht selbst mit eigenen Truppen aus dem Gefängnis holen“, sagte der Politologe dem Radiosender Echo Moskwy.

Kurz/Schallenberg: „Tiefpunkt der Unterdrückung“

Bundeskanzler Sebastian Kurz Außenminister Alexander Schallenberg (beide ÖVP) zeigten sich in einer ersten Reaktion bestürzt. „Mit der Verurteilung der Bürgerrechtlerin Maria Kolesnikowa zu elf Jahren Haft hat das System Lukaschenko einen weiteren Tiefpunkt in der Unterdrückung der eigenen Bevölkerung gesetzt“, so Schallenberg in einer gemeinsamen Aussendung vom Montag.

Kurz betonte seinerseits: „Die tapferen Frauen und Männer im Würgegriff des belarussischen Systems, die für ihre Rechte einstehen, brauchen uns mehr denn je. Ich kann Ihnen versichern, dass wir in unserem Engagement für ein freies, offenes und unabhängiges Belarus nicht nachlassen werden.“

Schallenberg unterstrich seinerseits: „Wir können nicht zur Tagesordnung übergehen, wenn Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Das Regime darf keine Sekunde das Gefühl haben, dass die Welt zusieht und ihm freie Hand in der Unterdrückung der eigenen Bevölkerung gewährt.“