Der Anführer der Widerstandgruppe im afghanischen Panjshir-Tal, Ahmad Massoud
Reuters/Mohammad Ismail
Panjshir-Tal

Taliban-Gegner ruft zu Aufstand auf

Die Taliban haben eigenen Angaben zufolge am Montag auch die umkämpfte Provinz Panjshir vollständig eingenommen und wollen nun die Regierungsbildung voranbringen. Der Anführer der Widerstandsgruppe im Panjshir-Tal, Ahmad Massoud, will weiter gegen die Islamisten kämpfen. In einer Audiobotschaft rief er zum „nationalen Aufstand“ auf.

Massoud, der Reste der regulären afghanischen Armee und Spezialeinheiten sowie lokale Milizen zur Nationalen Widerstandsfront (NRF) vereint hat, ist eigenen Angaben nach in Sicherheit. Den Taliban zufolge sollen Massoud und der ehemalige Vizepräsident Amrullah Saleh ins benachbarte Tadschikistan geflohen sein, offiziell bestätigt ist das nicht.

In einer am Montagnachmittag veröffentlichten Audiobotschaft rief der 32-Jährige zum Widerstand auf: „Wir rufen Sie auf, einen allgemeinen Aufstand zu beginnen, um der Ehre, Freiheit und dem Stolz unserer Heimat willen!“ Zur aktuellen Situation in Panjshir äußerte er sich nicht. Massoud sagte lediglich, dass die Menschen in jeder möglichen Form kämpfen könnten, sei es durch bewaffneten Kampf oder durch Proteste. Die NRF stehe bis zum letzten Moment an ihrer Seite.

Taliban wollen Panjshir-Tal erobert haben

Die radikalislamischen Taliban haben nach eigenen Angaben die letzte Bastion des Widerstands in Afghanistan eingenommen. Das Panjshir-Tal sei „vollständig erobert“, sagte Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid Montagfrüh. Die Nationale Widerstandsfront (NRF) kündigte an, ihren Kampf „fortzusetzen“.

Der NRF-Vertreter Ali Maisam Nasary schrieb, die Opposition werde weiterkämpfen. „Die NRF-Kräfte sind in allen strategischen Positionen im Tal präsent, um den Kampf fortzusetzen“, erklärte er via Facebook. Zuvor hatten die Widerstandskämpfer einen Waffenstillstand vorgeschlagen. Wie die NRF am Sonntagabend mitteilte, wurden bei den Kämpfen auch ein bekannter Sprecher, Fahim Dashti, sowie ein General der Widerstandsgruppe getötet.

Taliban: „Panjshir ist eingenommen“

Die Taliban verkündeten dagegen am Montag, das Panjshir-Tal vollständig eingenommen zu haben. „Panjshir, das letzte Versteck des geflohenen Feindes, ist eingenommen“, sagte Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid. „Mit diesem Sieg ist unser Land vollständig aus dem Sumpf des Krieges befreit“, so Mujahid. Die Taliban waren bereits am Wochenende im Panjshir-Tal vorgerückt. Sie meldeten schwere Kämpfe und Gebietsgewinne in der Provinz nördlich von Kabul.

In sozialen Netzwerken verbreiteten die Islamisten Bilder, die vor dem Gouverneurssitz in der Provinzhauptstadt Basarak aufgenommen worden sein sollen. Zu sehen war unter anderem, wie Taliban-Kämpfer die Flagge der Islamisten hissen. Auch ein Bewohner des Tals bestätigte gegenüber der dpa, dass Taliban-Kämpfer Kontrollposten in seinem Ort aufgestellt hätten. Die Dörfer im Tal seien aber verlassen. Die Menschen seien bis auf die Ältesten in die Berge geflohen. Taliban-Sprecher Mujahid gab sich zudem als Freund der Talbewohner aus und meinte, dass das Panjshir-Tal „Teil unseres Körpers“ sei und die Panjshiris „unsere Brüder“.

Regierung soll bald stehen

Mujahid kündigte zudem die rasche Bildung einer neuen Regierung an. Einen Termin für die Vorstellung der Regierung gab es noch nicht, es werde sich aber um ein „interimistisches System“ handeln, so Mujahid.

„Die endgültigen Entscheidungen sind getroffen, wir arbeiten jetzt an den technischen Fragen“, sagte Mujahid. „Wir hoffen, dass wir die Ankündigung der Regierung in den nächsten Nächten hören, auch wenn das genaue Datum noch nicht klar ist“, so der Taliban-Sprecher. Man habe mehrere Länder eingeladen, an der Zeremonie zur Verkündung der Regierung teilzunehmen. Gerüchte über Unstimmigkeiten über die Bildung innerhalb der Bewegung dementierte er.

Die Panjshir-Frage sollte ursprünglich durch Verhandlungen gelöst werden. Am Dienstag allerdings begannen Gefechte, als Taliban Kontrollpunkte am Taleingang angriffen. Die Islamisten rechtfertigten den Angriff auf das Tal: Nachdem Verhandlungen gescheitert seien, „weil zwei Personen die Gespräche verweigerten“, seien die Taliban gezwungen gewesen, Streitkräfte zu entsenden und eine Operation zu starten, sagte Mujahid, der sich auf Massoud und Saleh bezogen haben dürfte.

Berichte über Unterstützung aus Pakistan

Weiters kündigten die Islamisten an, an der Wiedereröffnung des Flughafens in Kabul zu arbeiten. Es seien „ernsthafte Schritte“ für den Wiederaufbau unternommen worden. Technische Teams aus Katar, der Türkei und einem in den Vereinigten Arabischen Emiraten ansässigen Unternehmen arbeiteten in Kabul. Auch Pakistan stelle Hilfe bereit. Inlandsflüge seien bereits wiederaufgenommen worden.

Afghanische Anti-Taliban-Kämpfer im Panjshir-Tal
APA/AFP/Ahmad Sahel Arman
Widerstandskämpfer in Panjshir: Die Taliban vermeldeten die vollständige Eroberung der Provinz

Pakistan soll die Taliban auch bei ihrem Vormarsch im Panjshir-Tal unterstützt haben. NRF-Sprecher Dashti soll durch eine Attacke einer pakistanischen Kampfdrohne getötet worden sein. Der Chef von Pakistans Militärgeheimdienst ISI, Faiz Hameed, befindet sich seit dem Wochenende in Kabul. Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters könnte Hameed den Taliban bei der Neuorganisation der afghanischen Armee helfen. Der Iran verurteilte die neue Offensive der Islamisten dagegen. „Die Nachrichten aus Panjshir sind wirklich beunruhigend“, sagte der Sprecher des iranischen Außenministeriums.

Ungewisse Zukunft für Panjshir

Eine Eroberung Panjshirs wäre ein immenser Erfolg für die Islamisten. Das Tal war bereits in den 90er Jahren eine Hochburg des Widerstands gegen die Taliban und bisher noch nie unter deren Kontrolle. Massoud ist der Sohn des legendären Nordallianz-Führers Ahmad Shah Massoud, der zwei Tage vor den 9/11-Anschlägen durch eine Bombe getötet wurde.

Wie es mit dem bewaffneten Widerstand in Panjshir weitergeht, ist offen. Schon jetzt sind die Nächte in den Bergen sehr kalt, in wenigen Wochen ist Schnee zu erwarten. Der Afghanistan-Experte Thomas Ruttig sieht mit der Einnahme von Panjshir die formale Kontrolle der Taliban über das Land vollendet – auch wenn es noch weiter Guerillaaktionen gegeben sollte. Selbst diese könnten den Taliban als Vorwand für die Verschärfung von Repressionen dienen.