Menschen vor einem Impfbus in Oberösterreich
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Pandemie

Viele Stellschrauben bei Impfbereitschaft

Die CoV-Impfung ist ein Thema, das Österreich zunehmend spaltet. Um die Pandemie dauerhaft unter Kontrolle zu bekommen, müssten sich nach Ansicht der Virologin Dorothee von Laer noch etwa eine Million Menschen impfen lassen. Es gibt kein Wundermittel, aber mehrere Stellschrauben, um die Impfquote stückweise anzuheben.

Die von der Regierung für den Herbst in Aussicht gestellte Impfkampagne ist vor etwa einer Woche angelaufen. Die Opposition warf der ÖVP-Grünen-Koalition wiederholt vor, dass die Kampagne über den Sommer eingestellt wurde und damit wertvolle Zeit verloren worden sei. Konzepte, wie man bestimmte Zielgruppen und Communitys, bei denen die Impfrate besonders niedrig ist, erreichen will, liegen bisher nicht vor. Das Land Niederösterreich startete aber mittlerweile eine Kampagne, in der Verschwörungstheorien direkt angesprochen werden – mehr dazu in noe.ORF.at.

Aufseiten der Impfbefürworter wird zugleich die Ungeduld mit jenen, die sich nicht impfen lassen, größer und damit die Vorschläge für die Erhöhung der Impfquote radikaler. Dezidierte Impfgegner sehen sich angegriffen und in ihren Rechten beschnitten. Zwischen diesen Polen liegt aber weiterhin ein Feld an Möglichkeiten, Ungeimpfte zur Impfung zu bewegen.

Selbstbehalte für Ungeimpfte bei Spitalsbehandlung, eine allgemeine Impfpflicht und das Nichtbezahlen eines Krankenstands sind nur einige der radikaleren Vorschläge, die in den letzten Wochen und Tagen immer lauter genannt werden. Ihre Umsetzung ist aktuell freilich mehr als unrealistisch. Die Politik setzt weiter auf möglichst niederschwellige Impfangebote und sanften Druck, etwa mit der stufenweisen Ungleichbehandlung Geimpfter und Ungeimpfter.

Möglichkeiten liegen auf dem Tisch

Der Verhaltenspsychologe Robert Böhm nennt gegenüber ORF.at vor allem zwei Stellschrauben, an denen gedreht werden müsse: Wie viele andere fordert er transparente Informationen über die Vorteile der Impfung und auch über die Gefahren von Covid-19 – für einen selbst, aber auch für andere Personen.

Genauso wichtig ist es laut Böhm, den Zugang zur Impfung leichter zu machen. Mit dem „aufsuchenden Impfen“ würden Ungeimpfte im wahrsten Sinne des Wortes „da abgeholt, wo sie sind“. Das passiert teilweise bereits, etwa mit Impfbussen.

Persönliche Einladung zu Impfung

Böhm kann sich auch das Versenden von Einladungen zu fixen und vororganisierten Impfterminen an Ungeimpfte vorstellen. Es gebe Belege, dass das helfen könne. Die US-Wirtschaftswissenschaftlerin Katy Milkman hatte, noch bevor Vakzine zugelassen waren, in einer Studie erhoben, mit welcher Botschaft man die meisten Leute dazu bringen kann, sich impfen zu lassen.

Rund 700.000 Menschen wurden verschiedenste Botschaften per SMS zugesandt. Dabei habe sich der verhaltensökonomische Grundsatz bewahrheitet, wonach etwas zu verlieren stärker motiviert, als das Gleiche zu gewinnen. Am besten funktionierte, wie Milkman gegenüber dem US-Radiosender NPR betonte, eine ganz trockene Botschaft: „Eine Impfung ist für Sie reserviert.“

Dass persönliche Einladungen und die Notwendigkeit, einen Impftermin absagen zu müssen, psychologisch effektiver sind als eine – auch noch so einfache – selbst vorzunehmende Anmeldung, bestätigte am Donnerstag im Ö1-Interview auch die Politikwissenschaftlerin Barbara Prainsack, die auch Mitglied der Bioethikkommission ist.

Böhm betont – so wie auch Prainsack –, dass die Strategien jedenfalls an die unterschiedlichen Motive, warum sich jemand nicht impfen lasse, angepasst sein müssten.

Militärfahrzeuge in Bergamo
AP/Luca Bruno
Militärlastwaen auf der Autobahn bei Bergamo transportieren Särge mit Covid-19-Verstorbenen zu einem Krematorium

Glück für „drastische Bildvergleiche“

Die Kommunikationsexpertin Heidi Glück wiederum plädiert dafür, mit der „Macht der Bilder“ zu arbeiten. Es brauche „drastische Bildvergleiche für Unbelehrbare“. Sie erinnert an das Frühjahr 2020 in der italienischen Stadt Bergamo, als Militärlastwagen die Leichen aus dem Krankenhaus abtransportieren mussten. Solche Bilder „braucht man jetzt wahrscheinlich wieder“.

Über Einschränkungen „drübertrauen“

Und sie spricht sich für eine Mischung aus Anreizen, etwa die burgenländische Lotterie, und Hürden für Ungeimpfte aus. Da brauche es von der Politik „mehr Mut“, sich über Einschränkungen „drüberzutrauen“. Beliebte Ereignisse wie Fußballspiele sollten nur noch Geimpften und Genesenen, aber nicht mehr Getesteten offen stehen – eine Regelung, wie sie nun Wien einführt. Die CoV-Tests müsse man wohl auch kostenpflichtig machen.

Es müsse hier die gesamtgesellschaftliche Bedeutung der Impfung betont werden – und wer sich trotzdem nicht impfen lasse, müsse wissen, „dass das seinen Preis hat“.

Gezielte Infos für Communitys

Die Politik müsse natürlich weiter „auf Sendung“ bleiben, Glück ist aber überzeugt, dass das bereits ziemlich ausgereizt ist. Viele Fachleute fordern seit Monaten zielgruppenspezifische Kampagnen, etwa für verschiedene ethnische Communitys, aber auch gezielt für Jugendliche – mit entsprechenden Testimonials, also dem Einsatz von bei diesen Gruppen vertrauenswürdigen bzw. als Vorbilder geltenden Personen.

Diskrepanz nach politischer Einstellung

Auch die politische Gliederung zwischen Geimpften und Ungeimpften wurde mittlerweile untersucht und war zuletzt in der innenpolitischen Debatte zentrales Thema. Laut der Forschungsgruppe der Uni Wien, die regelmäßig repräsentative Umfragen zur CoV-Krise durchführt, finden sich überproportional wenige Geimpfte in der FPÖ-Wählerschaft (52 Prozent) und bei den Nichtwählerinnen und Nichtwählern (50 Prozent). Zum Vergleich: Bei den anderen Parlamentsparteien sind laut der Umfrage 72 bis 76 Prozent geimpft.

Die Kommunikationsexpertin Glück, einst Sprecherin von ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel, hält zunächst das Offensichtliche fest: Am besten könnte FPÖ-Chef Herbert Kickl Wähler seiner Partei zum Impfen motivieren. Hier gelte der Grundsatz: Die Zielgruppe erreiche man immer am besten mit den eigenen Leuten, in diesem Fall mit der FPÖ-Führungsspitze. ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz, der bei der letzten Wahl um FPÖ-Stimmen buhlte und diese seither zu halten versucht, habe hier seine Möglichkeiten wohl schon ausgereizt, vermutet Glück.

Fehlender Mut

Als „mutlos“ kritisiert Glück, dass die Politik nicht einmal versuche, über eine allgemeine Impfpflicht zu diskutieren. Eine solche hielte sie angesichts der enormen Auswirkungen der Pandemie für durchaus gerechtfertigt. „Aber vermutlich hält die Sorge, Wähler zu vertreiben, die Regierung davon ab“, so Glück, die auch die Botschaft der Regierung im Sommer, die Pandemie sei praktisch vorbei, kritisiert. Und öffentlich ausgetragene Uneinigkeit innerhalb der Koalition führe dazu, dass die Menschen die Vorgaben weniger strikt befolgen würden.

Abwägender fällt in puncto Impfpflicht der Blick des Verhaltenspsychologen Böhm aus. Ja, eine Verpflichtung könne die Impfraten erhöhen – er warnt allerdings vor möglichen „psychologischen Nebenwirkungen“. In von ihm durchgeführten Studien habe sich gezeigt, dass Menschen negativ auf die Einschränkung ihrer Entscheidungsfreiheit reagierten. Dieses Phänomen wird als „psychologische Reaktanz“ bezeichnet.

„Die Folgen davon können sein, dass sich die Menschen ihre Freiheit in anderen Bereichen ‚zurückholen‘.“ So könne etwa die Impfbereitschaft bei anderen freiwilligen Impfungen als Folge zurückgehen. Für Böhm ist es daher jedenfalls zu früh für eine Covid-19-Impfpflicht: Diese sollte jedenfalls der „allerletzte Weg“ sein.