Bild zeigt Bundeskanzler Sebastian Kurz im ORF-Sommergespräch.
ORF/Roman Zach-Kiesling
Kurz im „Sommergespräch“

„Sicherlich keine Lockdowns“ für Geimpfte

Mit ÖVP-Chef und Bundeskanzler Sebastian Kurz sind am Montagabend die diesjährigen ORF-„Sommergespräche“ zu Ende gegangen. Im Interview mit Lou Lorenz-Dittlbacher sagte er, dass es „sicherlich keine Lockdowns“ mehr für Geimpfte geben werde. Einschränkungen werde es gegebenenfalls nur für Ungeimpfte geben. Beim Thema Klimawandel will Kurz noch in diesem Herbst eine ökosoziale Steuerreform auf den Weg bringen.

Das letzte „Sommergespräch“ des Jahres 2021 stand – am Tag des Schulbeginns im Osten und mit Blick auf neuerlich steigende Infektionszahlen – ganz im Zeichen der Pandemie. Schon im Vorfeld des Gesprächs wurden Medien Informationen über einen von Kurz anvisierten Fünfpunkteplan für den Herbst zugespielt – Kern ist offenbar, dass Maßnahmen künftig vor allem Ungeimpfte betreffen könnten.

Einen weiteren Lockdown schließt Kurz nämlich aus: „Die Zeit der Lockdowns muss vorbei sein“, so Kurz, der auf die Impfung verwies. Wenn man die Impfung habe und sich Menschen dennoch nicht impfen lassen, werde es „keine Einschränkungen für die, die geimpft sind“ geben, sondern für „die, die noch nicht geimpft sind“, so Kurz. Eine generelle Impfpflicht lehnt der Kanzler unterdessen weiter ab.

Kurz will keine Lockdowns für Geimpfte

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) will „sicherlich keine Lockdowns“ mehr für Geimpfte.

Pandemie für Geimpfte „überstanden“

Einmal mehr erklärte er die Pandemie für Geimpfte für beendet: Er sehe es „schon so, dass für Geimpfte die Pandemie überstanden ist“, so Kurz. Die nächste Welle werde „vor allem eine Belastung für die Ungeimpften“. Das Virus werde „nicht verschwinden“, das werde es „in zehn Jahren noch geben“. Die Impfung sei darauf die „beste Antwort“, so der Kanzler.

„Wenn Sie nicht geimpft sind, dann werden Sie sich irgendwann anstecken“, sagte Kurz in Richtung der Ungeimpften. Das könnten „kein Staat“ und „keine Maßnahme“ verhindern. Dass die Kinder trotz steigender Zahlen zurück in der Schule sind, verteidigte er unterdessen: Man habe sich für „offene Schulen“ mit einem möglichst hohen Sicherheitsstandard entschieden. „Natürlich bedeutet das, dass man sich anstecken kann“, so Kurz, der darauf verwies, dass es „in fast allen Fällen“ jedoch zu keinem schweren Verlauf komme.

„Wie schaut es in den Spitälern aus?“

Für den kommenden Herbst möchte er nicht mehr auf die 7-Tage-Inzidenz achten, um die „Inzidenzzahl geht es schon länger nicht mehr“, so Kurz. Nun sei der Fokus „einzig und allein: Wie schaut es in den Spitälern aus?“ Sollte es zu einer Überlastung in den Spitälern kommen, dann müsse man darauf reagieren.

Intensivstationen als neuer „Leitindikator“

Für Kurz soll künftig die Belegung der Intensivstationen entscheidend werden

Man werde darauf setzen, in Bereichen, wo viele Menschen aufeinandertreffen, die ungeimpft sind, „aktiv“ zu werden. Als Beispiele nannte er die Nachtgastronomie und Großveranstaltungen – und ist damit offenbar mit Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) auf einer Linie, der am Wochenende eine „1-G-Regel“ etwa für das Apres-Ski ins Spiel brachte.

Im Hinblick auf Menschen, die die Impfung ablehnen, sagte Kurz, dass das „Wichtigste wäre, dass alle Politiker ehrlich mit den Fakten umgehen.“ Die FPÖ streue „viele Gerüchte und schürt Unsicherheit“, so der Kanzler. Gleichzeitig sagte er aber, dass man es nicht schaffen werde, allen Menschen „die Ängste zu nehmen“. Man könne aber einen Beitrag leisten, wie etwa Aufklärungsarbeit zu betreiben oder Gerüchte zu widerlegen.

„Mit Fortschritt“ gegen Klimawandel

Angesprochen auf die Klimakrise sagte Kurz, dass Österreich mit positivem Beispiel vorangehen wolle – bei Strom aus erneuerbaren Energien liege man im Spitzenfeld, so der Kanzler. Gleichzeitig gebe es Bereiche, „wo wir noch besser werden können“.

Mit Fortschritt gegen Klimawandel

Die Klimaziele für das Jahr 2050 sind für Kurz „mit Fortschritt“ erreichbar.

Eine Prognose des Rechnungshofs, wonach man die Klimaziele für die Jahre 2030 und 2050 verfehlen werde, „teile ich nicht“, so Kurz. Er lasse sich „nicht einreden“, dass man Ziele im Jahr 2050 nicht erreichen werde, er sei überzeugt, dass „wir gegen den Klimawandel mit Fortschritt erfolgreich sein werden“. Beim Verkehr etwa verwies er auf den Ausbau des öffentlichen Verkehrs, im Individualverkehr werde es viel mehr Elektro- und Wasserstoffantriebe geben, auch konventionelle Antriebe werden weiterentwickelt, so Kurz.

Ökosoziale Steuerreform bis 2022

Er stellte eine ökosoziale Steuerreform in Aussicht – die die Steuerlast stark senken solle. Details zu einer CO2-Besteuerung nannte er hingegen nicht. „Das Leben wird gerade teurer“, so Kurz, deswegen sei es wichtig, dass man die Steuerlast für „kleine und mittlere Einkommen“ senke. Diese Senkung soll noch im Herbst auf den Weg gebracht werden und 2022 in Kraft treten.

Bild zeigt Bundeskanzler Sebastian Kurz im ORF-Sommergespräch.
ORF/Roman Zach-Kiesling
Moderatorin Lorenz-Dittlbacher befragte Kurz im letzten ORF-„Sommergespräch“ 2021

Ziel sei es für Kurz auch, dass Menschen, die gesund sind, arbeiten gehen. Man werde „alle Möglichkeiten anwenden, die wir haben“, um Menschen, die das können, „in Beschäftigung zu bringen“, so der Kanzler. Mit Widerstand durch den grünen Koalitionspartner rechnet er nicht, da dieser „Verständnis haben“ müsse, dass alles, was man in Österreich schätze, so gut funktioniere, „weil Menschen hart arbeiten gehen“.

Im Hinblick auf den Koalitionspartner sagte Kurz, dass man angetreten sei, um fünf Jahre zu arbeiten, er leiste „jeden Tag“ seinen Beitrag dazu. ÖVP und Grüne seien zwar „sehr unterschiedlich“, aber „in Summe arbeiten wir gut zusammen“.

„Keine Symbolpolitik“ bei Migration

Kurz’ Position zu Afghanistan bleibt indes unverändert: Er wolle „Hilfe vor Ort“ leisten, „das tun wir in überproportionaler Art und Weise“. Dass Frauen oder Kinder aufgenommen werden sollen, davon hält der Kanzler nichts. Er wolle sich bei dem heiklen Thema Migration nicht „auf Symbolpolitik“ beschränken. Ziel sei es auch, Menschen, die bereits in Österreich sind, zu integrieren, so der ÖVP-Chef.

Gegen „Symbolpolitik“ bei Migration

Im Hinblick auf Afghanistan hält der Kanzler nichts von „Symbolpolitik“ in Migrationsfragen

Chats: Kanzler wünscht sich weniger „Scheinheiligkeit“

Im Hinblick auf Chats, etwa die Aussagen Kurz’ zum Vorgehen gegen die Kirche, sagte Kurz, dass er ein Mensch „wie jeder andere auch“ sei, der „auch Fehler macht“. Er wünsche sich in diesem Bereich „ein bisschen weniger Scheinheiligkeit“. Er habe viele Dinge gesagt, „die ich so nicht wiederholen würde“. Wenn man aber ehrlich zu sich sei, habe jeder schon Dinge gesagt, die er so nicht meine.

Im Hinblick auf eine mögliche Anklage durch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) wegen des Verdachts der falschen Beweisaussage vor dem „Ibiza“-Untersuchungsausschuss bekräftigte Kurz, dass er „selbstverständlich“ im Amt bleiben werde. Je öfter er die Vorwürfe gegen sich lese, „desto weniger kann ich sie nachvollziehen“.

Kurz wollte nicht Politiker werden

Auch Kurz’ politischer Werdegang wurde im letzten „Sommergespräch“ des Jahres porträtiert: Sein Geschichte-Lehrer verweist auf seine Schulzeit in einem Gymnasium in Wien-Meidling – ein Bezirk, der „alles hat“, egal ob Zuwanderer oder bürgerliche Schicht – „das kann durchaus auch prägend wirken“.

Sebastian Kurz im Porträt

Der ÖVP-Chef startete seine politische Laufbahn in jungen Jahren

Er habe ein „großartig unbeschwertes Leben“ gehabt, so Kurz, er habe sich früh für Politik interessiert – dann habe „eines das andere ergeben“, „großen Plan“ habe es keinen gegeben. Eigentlich habe er etwas „Anständiges“ machen wollen und „nicht Politiker werden“.

Angesprochen auf die bevorstehende Geburt seines ersten Kindes sagte Kurz einmal mehr, dass er nicht glaube, dass ein „Papamonat“ mit der „Position als Kanzler“ vereinbar sei. Es gebe „Verpflichtungen, die man nicht verschieben und nicht vertagen kann“. Er werde sich „selbstverständlich bemühen, überall meinen Beitrag zu leisten“.

„Viele Vorhersagen haben nicht gestimmt“

„Profil“-Journalistin Eva Linsinger zweifelt in der ZIB2-Analyse des ORF-„Sommergesprächs“ an der so sicher von Kurz präsentierten Ansage, dass es keinen weiteren Lockdown für Geimpfte geben werde: „Er kann zu diesem Versprechen nicht sicher sein. Er sagte selbst, dass es schwierig sei, den weiteren Verlauf der Pandemie vorherzusagen.“ Viele seiner Vorhersagen hätten nicht gestimmt. Zudem spreche Kurz meist im Superlativ. Das schüre hohe Erwartungshaltungen und bewirke einen Vertrauensverlust.

Dieser Vertrauensverlust bei Kurz sei empirisch nachweisbar, sagte der Politologe Peter Filzmaier bei der Analyse des ORF-„Sommergesprächs“: „Kurz stößt in der Kommunikation an seine Grenzen.“ Der Kanzler sei ein guter Kommunikator, so Filzmaier. Bei den „drei K – Kann Kurz Krisenmanagement“ – sei die Antwort weniger klar.

Linsinger und Filzmaier zu Kurz’ Aussagen

Journalistin Eva Linsinger („profil“) und Politologe Peter Filzmaier kommentierten die Aussage des Bundeskanzlers Sebastian Kurz (ÖVP) im ORF-„Sommergespräch“.

„Inhalte zu Überschriften schuldig geblieben“

Bei Fragen wie der geplanten Steuerreform und Kurz‘ Versprechen für eine Entlastung kleinerer und mittlerer Einkommen vermisste Linsinger klare Ansagen, wo das Geld dafür herkommen solle: „Kurz besitzt die Kunst zur schnellen Schlagzeile. Aber die Inhalte zu den Überschriften ist er schuldig geblieben.“

Bei der Haltung von Kurz zu Fragen der Zuwanderung und zur Aufnahme von Schutzsuchenden aus Afghanistan verfolge Kurz das Prinzip „rechts von mir darf kein Platz sein“, analysierte Linsinger. Das komme bei seiner Wählergruppe gut an, argumentiert Filzmaier. Da gehe es auch um das Wählerreservoir der FPÖ. Filzmaier: „Alles, was Kurz zur Zuwanderung sagt, ist unter dem Vorbehalt der FPÖ.“ Die Inhalte würden dieser Kommunikation angepasst: „Was nicht passt, wird passend gemacht.“

Dass die ÖVP trotz schwieriger Monate etwa aufgrund der ÖBAG-Chatprotokolle und einer möglichen Anklage gegen Kurz kein Umfrageproblem hat, erklärt Filzmaier mit einer „funktionierenden Opferrollenstrategie“, die Kurz auch beim „Sommergespräch“ angewendet habe.