Prozess gegen Julian H.: Menschenrechtler „besorgt“

Menschenrechtsorganisationen zeigen sich vor dem Prozess gegen den mutmaßlichen Drahtzieher des „Ibiza-Videos“, Julian H. „besorgt“ über die Folgen dessen „ausufernder Strafverfolgung“ für künftige Aufdecker.

H. steht morgen u. a. wegen Drogendelikten in St. Pölten vor Gericht. Sie äußern auch „erhebliche Bedenken, dass die Ermittlungen auf teils konstruierten Vorwürfen basieren, die dazu genutzt wurden, den Aufdecker zu diskreditieren und seiner Person habhaft zu werden“.

Neben Suchtgifthandel wird H. die Fälschung besonders geschützter Urkunden sowie Annahme, Weitergabe oder Besitz falscher oder verfälschter besonders geschützter Urkunden vorgeworfen. Er soll einen gefälschten slowenischen Führerschein und Personalausweis, die auf den Namen einer Bekannten lauteten, besessen und übergeben sowie bei einer Polizeikontrolle am 7. Mai 2019 in Wien eine gefälschte slowenische Lenkberechtigung vorgewiesen haben.

NGOs: Strafverfolgung wie „dramatischer Krimi“

Die Strafverfolgung H.’s lese sich ein wenig wie ein „dramatischer Krimi“, heißt es in der unter anderem von Amnesty International Österreich und epicenter.works unterzeichneten Aussendung.

Ausgehend von dem Vorwurf der versuchten Erpressung von Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und dem ehemaligen blauen Klubobmann Johann Gudenus im Zusammenhang mit dem „Ibiza-Video“ sei H. über mehrere Monate in verschiedenen EU-Ländern gesucht worden. Obwohl dieser ursprüngliche Vorwurf zu keiner Anklage führte, sei darauf basierend seine Festnahme angeordnet und ein Europäischer Haftbefehl erlassen worden.

Unter anderem seien Konten geöffnet, Hausdurchsuchungen, Observationen und Zielfahndungen durchgeführt, IMSI-Catcher zur Telefonüberwachung eingesetzt, Funkzellen ausgewertet, Flugzeugpassagierlisten abgefragt und Server beschlagnahmt worden. „Das klare Ziel lautete, den Macher des Ibiza-Videos ausfindig zu machen sowie dessen Verhaftung und Auslieferung nach Österreich zu erzielen.“

„Abschreckender Effekt“ für Aufdecker

Ob H. nun tatsächlich die angeklagten Drogen- und Urkundendelikte begangen habe, müsse das Gericht klären. „Die enorme Intensität, der Mittelaufwand und die Eingriffstiefe, mit der die Ermittlungen gegen Julian H., für den nach wie vor die Unschuldsvermutung gilt, geführt wurden, sind jedoch beachtlich“, meine epicenter.works-Geschäftsführer Thomas Lohninger.

Die besondere Motivation hinter dessen Verfolgung sende ein problematisches Signal an alle Aufdeckerinnen und Aufdecker und Whistleblower. „Wer zu viel Wahrheit ans Tageslicht fördert, dem drohen strafrechtliche Ermittlungen; gegebenenfalls auch über Ländergrenzen hinweg.“ Anscheinend solle mit der Verfolgung H.s auch ein „Exempel statuiert werden, das zukünftig potenzielle Informant*innen abschreckt, ihre Meinung frei zu äußern“.

Auch NEOS mit Bedenken

NEOS teilte die Bedenken. „Die Ermittlungen der ‚SoKo Tape‘ haben bereits seit ihrem Beginn eine bedenkliche Schlagseite aufgewiesen“, so Stephanie Krisper, Fraktionsführerin im „Ibiza“-U-Ausschuss.

Dem Verdacht auf Käuflichkeit der Politik sei die SoKo nicht mit demselben Ressourceneinsatz und Engagement nachgegangen wie den Ermittlungen zu den Hintermännern des Videos und deren Umfeld. „Einige Entwicklungen seit dem ‚Ibiza-Video‘ sind ein Alarmzeichen in einem Rechtsstaat“, so Krisper: „Politische Einflussnahme auf Ermittlungen darf es nicht geben.“

Ins selbe Horn stieß der SPÖ-Fraktionsführer im „Ibiza“-U-Ausschuss, Kai Jan Krainer, für den ebenfalls als „erwiesen“ gilt, „dass die SoKo Tape unter der Leitung des ÖVP-Vertrauensmanns Andreas Holzer einseitig ermittelt hat“. Diese habe fast ihre ganzen Ressourcen in die Verfolgung des Machers des „Ibiza-Videos“ gesteckt und zugleich die Aufklärung der Korruption und der Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung aktiv behindert, so Krainer.