Es ist eines der bekanntesten Gemälde des 20. Jahrhunderts: Picassos „Guernica“, das als Mahnmal für die Zerstörung des baskischen Ortes Gernika während des spanischen Bürgerkrieges 1937 entstand. Durch ein Kooperationsprojekt mit dem Museo de Reina Sofia in Madrid ist das Werk in technisch avancierter Detailauflösung nun beim Ars Electronica Festival in Linz zu sehen.
Für „Rethinking Guernica“ im Rahmen der am Mittwoch startenden 42. Ausgabe des Festivals wurde das Gemälde für den Deep Space 8K im Ars Electronica Center aufbereitet und füllt nun die 18 mal neun Meter große Leinwand. Michaela Wimplinger, Kuratorin für Sonderprojekte, erklärt dessen Symbolkraft für das Linzer Kunstfestival: „In diesen besonderen Zeiten, rund um die Pandemie, haben wir uns entschieden, ein Zeichen zu setzen und das ‚Demokratie-Werk‘ von Picasso zu präsentieren, um vor allem die Bedeutung des Zusammenhalts in unserer Gesellschaft zu transportieren.“
Forensisches Interesse an Giftwolken
„Guernica“ gilt als eindringliches Beispiel für moderne Historienmalerei, als Sinnbild für die Möglichkeit des Umgangs mit der Zerstörung. Die Fragen, die das Bild noch heute aufwirft, passen gut zur großen thematischen Bandbreite des Festivals, das heuer unter dem Titel „A New Digital Deal“ antritt. Der gemeinsame Nenner sind Fragen nach gesellschaftlichem Zusammenleben unter zunehmend schwierigen Bedingungen und die Frage nach der Rolle des Digitalen dabei.
Diese Fragen treiben auch die Rechercheagentur Forensic Architecture um. Die Gruppe hat in den vergangenen Jahren einige internationale Menschenrechts-, Umwelt- und Kriegsfälle untersucht, darunter den Mord an dem kurdischen Menschenrechtsanwalt Tahir Elci und die Kriegsführung mit Herbiziden in Gaza. Heuer wurde sie für ihre „Cloud Studies“ mit dem Prix Ars Electronica in der Kategorie Artificial Intelligence and Life Art ausgezeichnet. Darin sucht sie mit Hightech-Methoden den Ursprung von giftigen Wolken – aus Herbiziden oder Explosionen – und ihre Verbreitung.
Mittlerweile arbeiten 30 Leute aus unterschiedlichen Bereichen wie Informatik, Coding, Recht und Film im Team von Forensic Architecture, die Rechercheagentur ist an der Goldsmiths University London verortet. Für ihre Recherchen verwendet sie architektonische, visuelle und Audiomethoden.
Veranstaltungshinweis
Die Ars Electronica 2021 findet von 8. September bis 12. September an zahlreichen Linzer Standorten und als Onlineausgabe statt.
Die Agentur wird auf Auftrag tätig, behält sich allerdings vor, Angebote abzulehnen, und arbeitet nicht für Staaten, „weil wir sicher sein müssen, dass wir die Kontrolle über das, was wir herausfinden, haben und die Finanzierung eines Auftrags nicht seine Ergebnisse beeinflussen darf“, so die Architektin und Forensic-Architecure-Mitglied Samaneh Moafi gegenüber der APA. Oft wird die Agentur von Menschenrechts- oder Umweltorganisationen angeheuert, auch von Anwälten von Gewaltopfern. „Wir teilen unsere Ergebnisse und Methoden, wir verwenden sie vor nationalen und internationalen Gerichten“, erklärte Moafi.
Rote Khmer und spielende Gurkenpflanzen
Neben „Cloud Studies“ zeigt die Ausstellung CyberArts auch die Arbeiten der Gewinner aller weiteren Preiskategorien des Prix Ars Electronica im OÖ Kulturquartier. Als „intensive, politische Arbeit mit historischem und selbst generiertem Material“ beschrieb Kuratorin Genoveva Rückert gegenüber der APA „When the Sea sends forth a Forest“ des Chinesen Guangli Liu. Er widmet sich in eindrücklichen Bildern der Geschichte der chinesischen Bevölkerung Kambodschas, die in den 1970er Jahren von den Roten Khmern verfolgt, vertrieben und getötet wurde.
Eine lobende Erwähnung bekam der für seine provozierenden, kritischen und aktivistischen Projekte bekannte Paolo Cirio für „Capture“, in dem er sich mit Gesichtserkennung beschäftigt, die aktuell von Behörden und Unternehmen in Europa ohne klaren rechtlichen Rahmen eingesetzt werde.
Er filterte Polizisten aus Fotos, die bei Protesten in Frankreich aufgenommen wurden, mittels Gesichtserkennung heraus und plakatierte sie als Street-Art-Poster in ganz Paris. Medienkünstlerin und Naturwissenschafterin Spela Petric lässt in „PL’ai“ Gurkenpflanzen und einen KI-Roboter miteinander spielen und dabei ein neuronales Netzwerk aus Drähten mit farbigen Kugeln und den Ranken der Pflanzen entstehen. Ihre Prämisse sei, dass alle Organismen spielen, so Petric.
Mit Avataren musizieren
„Convergence“, das Siegerprojekt in der Kategorie Digital Musics and Sound Art des Deutschen Alexander Schubert ist ein „großes Bühnenstück“, so Rückert. In der Performance spielen menschliche Musikerinnen und Musiker gemeinsam mit ihren KI-generierten Avatarinnen und Avataren. Die Musiker werden bei ihrem Auftritt instruiert, die Avatare beginnen zu interagieren. Das gleichnamige Projekt des US-Amerikaners Douglas McAusland erhielt einen Award. Er spielt als Elektronikperformer ein Duett mit dem Augmented-Kontrabassisten Aleksander Gabrys, der spezielle Handschuhe trägt, die an eine KI gekoppelt sind und so musiziert. Die Acht-Kanal-Audio-Installation füllt den großen Ursulinensaal.
Im Keller nimmt Rashin Fahandejs „A Father’s Lullaby“ einen Raum ein. Die US-Amerikanerin thematisiert die Ungleichbehandlung aufgrund der ethnischen Herkunft im Strafvollzugswesen der USA. Sie sammelte Wiegenlieder und Geschichten von Männern und zeigt in eindrücklichen Aufnahmen „die Abwesenheit von Vätern und wie das die Familien beeinflusst“.
Duales Festival on- und offline
Wurde das Ars Electronica Festival im Vorjahr – pandemiebedingt – hybrid, so hat es sich heuer zu einem dualen Festival weiterentwickelt. „A New Digital Deal“ wird von Linz und aus 86 „Gardens“ auf allen Kontinenten bespielt. „Die Dichte an Programm und die Intensität sind nur durch viele Partner möglich“, betonte Ars-Electronica-Direktor Gerfried Stocker in einer Pressekonferenz zur Programmpräsentation.
Sendungshinweis
ORF III zeigt am 9. September um 19.45 Uhr „Kultur Heute Spezial“ von der Ars Electronica. Ani Gülgün-Mayr spricht mit dem künstlerischen Leiter Stocker und stellt in einem Rundgang durch das Ars Electronica Center die spannendsten und kuriosesten Neuigkeiten vor.
Es sei ein organisiertes Netzwerk von Partnern, die an den Ausstellungsorten Events machen, und gleichzeitig eine zweite Schicht Programm mit denselben Künstlerinnen und Künstlern und denselben Themen in der virtuellen Welt. Daraus ergebe sich auch „eine Verbindung mit einem Publikum, das normalerweise kein großes Festival in Europa besuchen kann“, wies Stocker auf neue virtuelle Gäste hin.
Das Publikum kann online – eingeschränkt gratis oder in vollem Umfang via Neun-Euro-Ticket – über Social-Media-Kanäle und Streams teilnehmen. Eine Registrierung auf dem Dienst Swapcard „bedeutet einen direkten Zugang zu allen Künstlern und Teilnehmern, Workshops, Diskussionen“, erklärte Festivalleiterin Christl Baur. Es gebe auch zahlreiche Aktivitäten in den Programmen der Partner wie eine „Excel-Sheet-Party“ und ein 24-Stunden-Rave über die ganze Welt.