US-Fahne hinter Stacheldraht auf Guantanamo Bay
APA/AFP/Paul J. Richards
Von Afghanistan bis Überwachung

Die weitreichenden Folgen von 9/11

Die Auswirkungen der Anschläge vom 11. September durch die Terrororganisation al-Kaida sind 20 Jahre später zu spüren – nicht nur in Afghanistan mit der neuerlichen Machtübernahme der Taliban, sondern etwa auch im Alltag, etwa bei Sicherheitsbestimmungen für Flüge. Auch Folterdebatten – Stichwort Waterboarding – greifen auf den von den USA so titulierten „Krieg gegen den Terror“ zurück. Und auch die Überwachungs- und Datenschutzdebatte erhielt durch das neu gegründete US-Ministerium für Heimatschutz Auftrieb.

Insgesamt beschäftigte 9/11 bzw. dessen Folgen etwa in Form des Afghanistan-Krieges die vier Präsidenten George W. Bush, Barack Obama, Donald Trump und Joe Biden. Nachdem die radikalislamischen Taliban sich weigerten, Al-Kaida-Chef Osama bin Laden auszuliefern, begannen am 7. Oktober 2001 die von den USA angeführten Angriffe auf Afghanistan. Bush machte damals deutlich, dass sich der Kampf der USA ausdrücklich auch gegen jene Regierungen richte, die Terroristen Schutz böten. Das Regime der Taliban stürzte dann recht schnell mit Ende 2001.

Afghanistan kam allerdings nicht zur Ruhe. Die Taliban griffen in den darauffolgenden zwei Jahrzehnten immer wieder die internationalen Truppen an und führten Attentate sogar in der Hauptstadt Kabul durch. Bei einem Besuch des afghanischen Übergangspräsidenten Hamid Karzai im Weißen Haus sprach Bush im Juni 2004 allerdings bereits vom „ersten Sieg im Krieg gegen den Terror“ – für die einen eine gravierende Fehleinschätzung, wie sich zeigen sollte, für die anderen ein gelungener PR-Coup.

Fotostrecke mit 5 Bildern

Grafik zu 9/11
ORF.at
Grafik zu 9/11
ORF.at/OSM
Grafik zu 9/11
ORF.at/OSM
Grafik zu 9/11
ORF.at/EBU/CBS
Grafik zu 9/11
ORF.at/OSM

Bin Laden wurde schließlich am 2. Mai 2011 durch Spezialeinheiten der US-Armee im pakistanischen Abbottabad erschossen. Bin Laden war mit einem Kopfgeld von 50 Millionen Dollar (41,43 Mio. Euro) der weltweit meistgesuchte Terrorist. Neben 9/11 zeichnete der Al-Kaida-Gründer auch für zahlreiche weitere schwere Anschläge verantwortlich.

Osama bin Laden
AP/Rahimullah Yousafzai
Osama bin Laden am 24. Dezember 1998 bei einem Interview in der afghanischen Provinz Helmand

Zweifelhafter „Krieg gegen den Terror“ im Irak

Die Anwesenheit der US-Truppen in Afghanistan sollte sich für diese noch als zermürbend erweisen – bis zum desaströsen Abzug im August 2021. Am 20. Jahrestag der Anschläge weht nun wieder die weiße Flagge der Taliban in Kabul. Die NATO-geführten Truppen zogen im Chaos ab, die afghanischen Sicherheitskräfte kollabierten. Die Taliban gewannen den Krieg in Afghanistan.

Im Zuge des wegen 9/11 ausgerufenen „Krieges gegen den Terror“ – Namensvetter des von den USA bereits in den 70er Jahren ausgerufenen „Krieges gegen Drogen“ – kam es auch zum Irak-Krieg, denn Bush nutzte den „Krieg gegen den Terror“ auch als Vorwand, um im März 2003 den Irak anzugreifen – mit mehr als zweifelhaften Belegen für die Existenz von Massenvernichtungswaffen, die Bagdad gar nicht besaß, als Rechtfertigung.

George W. Bush auf dem Flugzeugträger Abraham Lincoln am 01. Mai 2003
APA/AFP/Stephen Jaffe
George W. Bush auf dem Flugzeugträger „USS Abraham Lincoln“ am 1. Mai 2003

„Mission accomplished“ als Fake

Bush verkündete dann am 1. Mai 2003 auf dem Flugzeugträger „USS Abraham Lincoln“ unter einem riesigen Banner mit der Aufschrift „Mission accomplished“ das offizielle Ende der Kampfhandlungen im Irak. Später stellte sich heraus, das der Flugzeugträger für die Aufnahmen um 180 Grad gewendet wurde, damit die kalifornische Küste im Hintergrund nicht zu sehen war. Als leere Phrase und Symbol des Fakes bloßgelegt wurde dieses „Mission accomplished“ spätestens, als in den Folgemonaten die Gewalt im Irak eskalierte. Erst Ende 2011 zogen die USA ihre Truppen schließlich aus dem Land ab.

In den Irak mussten die USA allerdings kaum drei Jahre später zurückkehren, um dem Militär des Landes im Kampf gegen die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) erneut unter die Arme zu greifen. Der IS ist allerdings trotz der schweren militärischen Niederlage weiter im Irak und im benachbarten Syrien aktiv.

Kriege kosteten mehrere Billionen Dollar

Laut einer Schätzung der Brown University von Ende 2019 fielen dem „Krieg gegen den Terror“ mehr als 800.000 Menschen zum Opfer, die meisten von ihnen Zivilisten im Irak und in Afghanistan. Die finanziellen Kosten für die USA bezifferten die Wissenschaftler damals auf mehr als 6,4 Billionen Dollar (rund 5,4 Billionen Euro).

In Afghanistan gibt es ebenfalls mit Verweis auf die Entwicklung nach dem ersten Abzug aus dem Irak die Befürchtungen, dass das Land künftig als Ausbildungs- und logistische Basis für islamistische Terrororganisationen dienen wird.

Gefangene in Guantanamo Bay
Reuters
Gefangene in Guantanamo Anfang 2002

Guantanamo-Bilder gingen um die Welt

Im Zuge von 9/11 machten die USA aus Teilen ihres Militärstützpunktes im kubanischen Guantanamo Bay ein Hochsicherheitsgefängnis. Guantanamo Bay ist 116 Quadratkilometer groß und liegt im Südosten der Karibikinsel. Zäune und Minenfelder sorgen für eine klare Abgrenzung zum kommunistischen Nachbarn.

Hinweis

Der ORF berichtet in einem multimedialen Schwerpunkt über die Ereignisse am 11. September und deren Folgen – mehr dazu in tv.ORF.at.

1903 wurde die Militärbasis gepachtet und 1934 im Zuge der von US-Präsident Franklin Delano Roosevelt verfolgten Politik der guten Nachbarschaft auf unbestimmte Zeit verlängert. Die Regierung in Kuba sieht die Basis allerdings als illegal an. Am 11. Jänner 2002, vier Monate nach den Anschlägen, kamen die ersten 20 Gefangenen nach Guantanamo. Ein Fotograf der Navy hielt fest, wie die Männer in Orange in Drahtgehegen auf dem Boden knien. Die Bilder gingen um die Welt.

Waterboarding und Black Sites

In Guantanamo benutzten US-Militärs harte Verhörmethoden – wie Schlafentzug, Dauerbeschallung mit Musik und über den Kopf gestülpte Kapuzen. Und auch das berüchtigte, schwer umstrittene und gemeinhin als Folter eingestufte Waterboarding wurde praktiziert. Bei der von der Regierung Bush verteidigten „Verhörmethode“ wird das Ertrinken simuliert. Der Gefangene wird meist liegend festgeschnallt, ihm wird ein nasser Fetzen auf das Gesicht gedrückt, und dann wird er literweise mit Wasser überschüttet.

Besonders wichtige und von den angewandten Verhörmethoden unbeeindruckte Gefangene wurden von den USA an befreundeten Staaten übermittelt, in denen Folter üblich ist, hieß es damals in US-Medien. Auch von Black Sites, also Geheimgefängnissen, etwa der CIA war die Rede, einige davon sollen sich auch in Europa befunden haben.

Lynndie England hält einen Gefangenen an einer Leine im Gefängnis Abu Ghraib, 2003
AP
US-Soldatin Lynndie England mit einem Häftling in Abu Ghraib

Schockierende Aufnahmen aus Abu Ghraib

Guantanamo wurde zum Schandfleck der USA, bis wenige Zeit später dann Bilder auch aus dem US-Anti-Terror-Kampf im Irak für weltweite Empörung sorgten. Die Aufnahmen von irakischen Gefangenen aus dem vom irakischen Regime übernommenen US-Militärgefängnis Abu Ghraib wurden Ende April 2004 veröffentlicht. Auf den Bildern sind US-Soldaten zu sehen, die irakische Gefangenen auch sexuell erniedrigen und misshandeln.

Zu trauriger Berühmtheit wurde damals die später deswegen verurteilte US-Soldatin Lynndie England. Auf den veröffentlichten Bildern ist unter anderen England zu sehen, wie sie lächelnd auf die Genitalien eines Häftlings zeigt und einen Gefangenen an einer Hundeleine führt. Wegen sechs Misshandlungsfällen wurde England zu drei Jahren Haft verurteilt und nach Verbüßung der Hälfte im März 2007 aus einem Militärgefängnis in San Diego entlassen. 2006 räumte der damalige US-Präsident Bush ein, der Skandal sei der größte Fehler der US-Militäraktion im Irak gewesen. Das Image der USA und ihrer Streitkräfte erlitt damals nachhaltigen Schaden.

Mann läuft über CIA-Logo in Langley, Virginia
APA/AFP/Saul Loeb
Die CIA kam wegen der Anschläge in schwere Kritik

US-Geheimdienste in der Bredouille

Der 9/11-Terror hatte auch Auswirkungen auf die US-Geheimdienste. Nach den Anschlägen warf eine Untersuchungskommission vor allem der CIA, dem US-Auslandsgeheimdienst, mangelnde Zusammenarbeit mit der Bundespolizei FBI und zahlreiche weitere schwere Versäumnisse im Zusammenhang mit einer möglichen Prävention der Anschläge vor.

Bush setzte im Zuge des Geheimdienstversagens die größte Reform der US-Geheimdienste seit mehreren Jahrzehnten in Kraft. Das umstrittene Ministerium für Heimatschutz (Department of Homeland Security) wurde gegründet. Damalige Kritiker und Kritikerinnen befürchteten, dass die neue Behörde auch zum Ausspionieren von Teilen der Bevölkerung dienen werde. Im Zuge der Reform wurde auch das Amt des Geheimdienstdirektors eingerichtet. Informationen von CIA, FBI und der National Security Agency (NSA) sowie Zoll- und Einwanderungsbehörden über mögliche Terroraktivitäten sollten zusammentragen und analysiert werden.

TSA-Mitarbeiter, 2003
APA/AFP/Lee Celano
Die Sicherheitsbestimmungen auf Flughäfen wurden nach den Anschlägen verstärkt

Flugreisen für immer verändert

Einige Auswirkungen von 9/11 sind auch heute noch zu spüren – nämlich beim Fliegen. Die Einreise in die USA wurde durch aufwendig auszufüllende neue Formulare erschwert, und die Sicherheitsvorkehrungen und -kontrollen bei Flügen wurden auf der ganzen Welt ausgebaut. Diese Regeln sind zwar in Laufe der Jahre teils wieder abgeschwächt worden, jedoch auch heute noch spürbar.

Auch Passagierdatensätze wurden gescannt, bewaffnete Polizisten als „Sky Marshalls“ in die Flieger gesetzt, biometrische und maschinenlesbare Ausweise ausgegeben sowie die Cockpit-Türen in der Folge von 9/11 verstärkt. Für die Weitergabe von Passagierdaten wurde ein Abkommen mit der EU festgezurrt.