FBI poster für den Taliban Sirajuddin Haqqani
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Taliban-Übergangsregierung

Gesuchter Terrorist wird Innenminister

Die radikalislamischen Taliban haben am Dienstag erste Vertreter ihrer Übergangsregierung präsentiert. Von der angekündigten „inklusiven Regierung“ ist vorerst nichts zu bemerken – die meisten Mitglieder haben direkten Bezug zum ersten Taliban-Regime, das zwischen 1996 und 2001 in Afghanistan an der Macht war. Eine Personalie sticht besonders hervor: Der international wegen Terrors gesuchte Sarajuddin Haqqani soll Innenminister werden.

Haqqani, dessen gleichnamiges Netzwerk von den USA als terroristische Gruppierung eingestuft wird, gehört zu den meistgesuchten Männern der US-Ermittlungsbehörde FBI. Er soll an Selbstmordanschlägen beteiligt gewesen sein und über enge Kontakte zur Terrororganisation al-Kaida verfügen. An der Spitze der Übergangsregierung soll Hasan Akhund stehen.

Akhund war enger Weggefährte des vermutlich 2013 gestorbenen Mohammed Omar, eines der Gründer der Taliban und Staatsoberhaupt während der ersten Taliban-Herrschaft in den 1990ern. Er bekommt zwei Stellvertreter: Abdul Ghani Baradar, bisher Vizechef der Islamisten, und Abdul Salam Hanafi, der zuletzt im politischen Büro der Taliban in Doha tätig war. Omars Sohn Mohammad Yaqoob ist der Posten des Verteidigungsministers zugedacht.

„Tugend“-Ministerium wiedereingeführt

Als Außenminister vorgesehen ist Amir Khan Muttaqi, als dessen Stellvertreter Sher Mohammad Abbas Stanikzai. Mit Abdul Haq Wasiq wird ein ehemaliger Guantanamo-Häftling Chef des Geheimdienstes. Die Regierung werde interimistisch eingesetzt, sagte Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid, der das Amt des Informationsministers erhält. Wie lange der Übergangszeitraum dauern wird, blieb offen.

Insgesamt besetzten die Taliban 33 Posten. Die Ernennung der verbleibenden Führungspositionen von Ministerien und Institutionen werde man nach „langer Überlegung“ sukzessive bekanntgeben, sagte Mujahid.

Mullah Baradar Akhund
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Baradar, einer der beiden stellvertretenden Regierungschefs

Ein Frauenministerium findet sich bisher nicht auf der veröffentlichten Liste. Dafür wurde ein Ministerium für „Einladung, Führung, Laster und Tugend“ eingeführt, das die Afghanen vom Namen her an das Ministerium „für die Förderung der Tugend und die Verhütung des Lasters“ erinnern dürfte. Diese Behörde hatte während der ersten Taliban-Herrschaft von 1996 bis 2001 Menschen zum Gebet gezwungen oder Männer dafür bestraft, wenn sie keinen Bart trugen.

Gesetze der Scharia unterworfen

Graue Eminenz im Hintergrund dürfte der derzeitige Taliban-Führer Hibatullah Akhundzada sein. Er kündigte am Dienstag an, die Übergangsregierung werde so schnell wie möglich ihre Arbeit aufnehmen. Akhundzada wies in einer Stellungnahme auch auf die Leitlinien der neuen Staatsspitze hin, denen zufolge alle Regierungsangelegenheiten und das Leben in Afghanistan den Gesetzen der Scharia unterworfen werden.

Akhundzada erklärte, die Taliban stünden zu allen internationalen Gesetzen, Verträgen und Verpflichtungen, die nicht im Widerspruch mit den islamischen Gesetzen stünden. Akhundzada, dessen Sohn sich bei einem Attentat in die Luft sprengte, gratulierte dem Land zur Befreiung von „ausländischer Herrschaft“. Akhundzada hat seit 2016 das letzte Wort in allen politischen, religiösen und militärischen Fragen bei den Taliban.

USA zurückhaltend und besorgt

Die USA reagierten zurückhaltend auf die Bekanntgabe der neuen Regierung. Regierungssprecherin Jen Psaki erklärte nur, es werde nicht kurzfristig eine Anerkennung der afghanischen Regierung geben. Ein Sprecher der Vereinten Nationen sagte mit Blick auf die Regierung, nur eine ausgehandelte und alle Seiten berücksichtigende Verständigung werde Afghanistan Frieden bringen.

Kritik an der Zusammensetzung des Kabinetts folgte prompt. Die Islamisten hatten zuletzt immer wieder betont, eine „inklusive Regierung“ ernennen zu wollen. Kurz nach ihrer Machtübernahme hatten sie regelmäßig andere Politiker des Landes wie etwa den Ex-Präsidenten Hamid Karzai oder den bisherigen Leiter des Hohen Versöhnungsrates, Abdullah Abdullah, zu Gesprächen getroffen. Ihrer Ankündigung wurden sie nun aber nicht gerecht.

Taliban bestimmen Regierungschef

Die Taliban verkündeten am Dienstag, dass sie einen Regierungschef bestimmt haben. Gleichzeitig protestierten mehrere hundert Menschen in der afghanischen Hauptstadt Kabul.

Beunruhigt zeigten sich die USA über einzelne Regierungsmitglieder angesichts deren „Verbindungen und der Vorgeschichte“. In einer Erklärung am Dienstag hieß es: „Wir bekräftigen auch unsere klare Erwartung, dass die Taliban sicherstellen, dass afghanischer Boden nicht dazu benutzt wird, andere Länder zu bedrohen, und dass der Zugang zur Unterstützung des afghanischen Volkes weiterhin gewährt wird.“

Katar würdigt „pragmatisches“ Verhalten

Die Regierung in Katar rief die internationale Gemeinschaft zu einer Würdigung des „pragmatischen“ Verhaltens der Taliban auf: „Sie sind die De-facto-Machthaber, keine Frage“, sagte die Sprecherin des katarischen Außenministeriums, Lolwah al-Chater gegenüber der AFP. Sie verwies auch auf „einige gute Gesten“ der Taliban.

So hätten im Rahmen der internationalen Evakuierungsmission viele Menschen, darunter auch Studentinnen, Afghanistan verlassen können. Ohne die Kooperation der Taliban wäre das „nicht möglich gewesen“. Das Interview mit Chater fand vor der Vorstellung der Taliban-Regierung statt. Wie Katar will sich auch China einen Kommunikationsweg zu den Taliban offen halten.

Ethnisch geht es bisher einseitig zu bei der Regierung. Der Afghanistan-Experte der Denkfabrik International Crisis Group, Ibraheem Bahiss, schrieb auf Twitter, soweit er das beurteilen könne, seien bis auf zwei Tadschiken und einen Usbeken alle Amtsträger Paschtunen. Mitglieder der Minderheit der Hazara etwa fehlen völlig. Die Frage der Inklusivität ist relevant, da viele westliche Regierungen davon abhängig machen, ob sie die künftige Regierung anerkennen und das Land, das stark von ausländischen Hilfsgeldern abhängig ist, unterstützen werden.

Geberkonferenz kommende Woche

Am 13. September ist in Genf eine Geberkonferenz angesichts der gefährdeten Grundversorgung großer Teile der Bevölkerung und über einer halben Million Flüchtlinge im Land geplant. Westliche Staaten haben sich zu humanitären Hilfen bereit erklärt.

Umfangreichere Wirtschaftshilfen sollen allerdings vom Verhalten der Taliban abhängig gemacht werden. 40 Prozent des afghanischen Staatshaushalts kommen über Hilfsgelder zusammen. Taliban-Sprecher Mujahid sagte, das jetzige Kabinett sei geformt worden, um sich um die Grundbedürfnisse der Afghaninnen und Afghanen zu kümmern.

Hunderte bei Demonstrationen

In der afghanischen Hauptstadt Kabul haben indes Hunderte Menschen gegen Pakistan und die militant-islamistischen Taliban demonstriert. Männer wie Frauen zogen am Dienstag durch die Innenstadt und riefen gegen das Nachbarland gerichtete Sprechchöre und äußerten indirekte Kritik an den Islamisten. Taliban-Sicherheitskräfte gaben Warnschüsse in die Luft ab, es gab auch Berichte über Festnahmen. Demonstriert wurde Medienberichten zufolge auch in anderen Städten.