Sicherheitskräfte vor dem Gerichtssaal in Paris
Reuters/Gonzalo Fuentes
Pariser Terrornacht

Großprozess mit Bekenntnis zu IS gestartet

In Paris ist am Mittwoch der Prozess zu den Terroranschlägen von 2015 gestartet. Islamistische Attentäter hatten damals in Bars und Lokalen sowie der Konzertlocation Bataclan 130 Menschen getötet und rund 350 verletzt. Angeklagt sind 20 Verdächtige, unter ihnen Salah Abdeslam, der als einziger Überlebender des Terrorkommandos gilt. Er gab zu Prozessbeginn ein Bekenntnis zur Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ab.

Abdeslam steht mit 19 weiteren Verdächtigen vor Gericht. Er legte zum Auftakt ein Bekenntnis zum IS ab, der damals die Anschläge für sich reklamiert hatte. „Es gibt keinen Gott außer Allah“, waren seine ersten Worte in dem Verfahren. „Das sehen wir dann später“, gab ihm der Vorsitzende Richter Jean-Louis Peries ungerührt zur Antwort. Nach seinem Beruf gefragt, sagte Abdeslam, er habe jeden Beruf aufgegeben, um ein „Diener“ des IS zu werden.

Den Namen seiner Eltern wollte Abdeslam nicht nennen. Später schrie der 31-Jährige den Richter an, nachdem einem Mitangeklagten schlecht wurde. Er beschwerte sich, sie würden „wie Hunde behandelt“. Der Vorsitzende Richter wies den Angeklagten an, Ruhe zu bewahren. Auch Abdeslams Verteidiger kritisierte die Haftbedingungen der Angeklagten.

Genaue Rolle bis heute unklar

Abdeslam wurde wegen der Terroranschläge bereits in Belgien verurteilt, wo er auch gefasst worden war. Seine genaue Rolle ist bis heute nicht ganz geklärt. Er hatte die erste Gruppe der Attentäter zum Fußballstadion Stade de France gefahren, wo die Attentäter außerhalb mehrere Sprengsätze zündeten. Er trug nach Erkenntnissen der Ermittler auch eine Sprengstoffweste. Statt sie zu zünden, ergriff er jedoch die Flucht.

Menschen vor dem Gerichtssaal
APA/AFP/Alain Jocard
Der Andrang zum Prozess war groß

Nicht detailliert geäußert

Abdeslam hatte in Belgien gut fünf Jahre in Isolationshaft verbracht und sich bisher nie detailliert zu den Taten geäußert. Neben ihm sind 19 weitere Männer angeklagt, die unter anderem Waffen besorgt und Abdeslam bei der Flucht geholfen haben sollen. Bis Mai sind 140 Verhandlungstage geplant. Mehr als 330 Anwälte sind beteiligt.

Gegen sechs andere Angeklagte wird der Prozess in Abwesenheit geführt. Bei fünf von ihnen geht man davon aus, dass sie inzwischen in Syrien ums Leben gekommen sind. Einer ist wegen Terrorvorwürfen in der Türkei inhaftiert.

Fotostrecke mit 9 Bildern

Bild zeigt Polizisten und Rettungskräfte auf einer Straße in der Nähe des „Bataclan“
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Am 13. November 2015 war Paris das Ziel mehrerer Anschläge, zu denen sich die Terrororganisation Islamischer Staat bekannte
Polizisten und Rettungsleute auf der Straße vor dem „Bataclan“.
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Bei den schlimmsten Attentaten in der Geschichte Frankreichs wurden 130 Menschen getötet und 350 verletzt
Menschen am Spielfeld des Stade de France während der Terranschläge in Paris am 14. November 2015
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Am frühen Abend versuchten drei Personen, in das Stade de France einzudringen, wo das Fußballspiel Frankreich gegen Deutschland stattfand. Die Attentäter wurden von Sicherheitskräften abgewiesen, worauf sie sich selbst in die Luft sprengten.
Menschen mit Wärmeschutzfolie und Einsatzkräfte nach dem Terroranschlag in Paris am 14. November 2015
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Andernorts in Paris eröffneten Terroristen in der Nähe von Cafes und Restaurants das Feuer
Polizeieinsatz vor der Konzerthalle Bataclan während der Terroranschläge in Paris am 14. November 2015
Reuters/Christian Hartmann
Eine weitere Gruppe betrat zur gleichen Zeit die Konzerthalle Bataclan und schoss auf die Anwesenden
Menschen gedenken den Opfern des Attentats im „Bataclan“.
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An diesem Abend starben 130 Menschen, das Trauma in dem Land sitzt immer noch tief
Polizisten bewachen die blockierte Straße vor dem „Bataclan“.
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Dem einzigen noch lebenden Attentäter Salah Abdeslam gelang die Flucht nach Belgien. Im März 2016 wurde er im Brüsseler Vorort Molenbeek festgenommen und später nach Frankreich ausgeliefert.
Der damalige US Präsident Barack Obama gedenkt zusammen mit dem französischen Präsidenten Francois Hollande und der pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo den Opfern des Attentats.
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2015 gedachten der damalige US-Präsident Barack Obama und sein französischer Kollege Francois Hollande vor dem Bataclan der Opfer der Anschläge
Bild zeigt einen Polizisten vor dem „Palais de Justice“ in Paris.
APA/AFP/Thomas Coex
Von den zehn Tätern starben sieben noch in der Terrornacht, durch Sprengstoffgürtel, oder sie wurden von Spezialkräften erschossen. Zwei weitere wurden einige Tage später getötet, als die Polizei sie in Saint-Denis im Norden von Paris aufspürte.

Gegen den Schweden Osama Krayem wird zusätzlich in Schweden wegen Kriegsverbrechen ermittelt. Nach Ansicht der Behörden war der 29-Jährige an der Ermordung eines jordanischen Piloten 2015 in Syrien beteiligt. Die Bilder des Mannes, der in einem Käfig lebendig verbrannt worden war, wurden damals von Dschihadisten verbreitet.

Aufwendigster Prozess in Frankreichs Geschichte

Es handelt sich um den aufwendigsten Prozess, den die französische Justiz je geführt hat. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft gibt es 1.765 Nebenklägerinnen und Nebenkläger, zu Beginn sind alleine zwei Tage dafür reserviert, jede und jeden namentlich aufzurufen. Erst am dritten Tag will das Gericht inhaltlich breiter auf die Vorwürfe eingehen, die sich auf 500 Aktenordner voll Ermittlungsergebnissen stützen. Hunderte Zeugen wurden vorgeladen, darunter auch der damalige Präsident Francois Hollande.

Bild zeigt den für den Prozess gebauten Gerichtsaal.
APA/AFP/Thomas Samson
Der Bau des Holzprovisoriums im Pariser Justizpalast ging ins Geld – allen Betroffenen soll ein möglichst würdiger Schauplatz des Prozesses geboten werden

Neue Bedingungen für Verfahren „V13“

Für das Verfahren „V13“ (vendredi, dt.: Freitag, der 13., Anm.) wurde im Pariser Justizpalast ein neuer Saal aus hellem Holz eingezogen, der 550 Sitzplätze bietet und eine würdige Ausstrahlung haben soll. Der Gerichtssaal misst rund 700 Quadratmeter, Bildschirme stellen die Sicht auf die Verhandlung in den hinteren Bereichen sicher. Während des gesamten Prozesses steht für die Betroffenen eine psychologische Betreuung parat. Opfer und Angehörige können die Anhörungen erstmals über ein gesichertes Webradio verfolgen.

Bataclan-Prozess gestartet

Unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen hat in Paris am Mittwoch der Prozess um die islamistischen Terroranschläge vor knapp sechs Jahren mit 130 Toten und 350 Verletzten begonnen.

Auch die Sicherheitsvorkehrungen sind streng. „Die terroristische Bedrohung in Frankreich ist hoch, besonders in Zeiten wie dem Prozess um die Anschläge“, sagte Innenminister Gerald Darmanin dem Sender Radio France Inter. Er habe alle Präfekturen aufgerufen, wachsam zu sein.

Insgesamt seien mehr als 1.000 Polizeikräfte im Einsatz, um die Gerichtsverhandlung im Justizpalast im Zentrum der Hauptstadt zu sichern. Wem eine Teilnahme am Prozess erlaubt ist, muss sich an mehreren Kontrollpunkten strengen Sicherheitsüberprüfungen unterziehen. Erst dann dürfen der Gerichtssaal und andere Räume betreten werden, in denen die Verhandlung übertragen wird.

Neue Tonmitschnitte veröffentlicht

Noch ehe der Prozess begonnen hat, weckten neue Berichte Erinnerung an die Terrornacht. So veröffentlichte der Sender France Info erstmals Tonmitschnitte aus der Pariser Notrufzentrale. „Ich habe einen Typen mit einer Kalaschnikow gesehen, der aus einem Auto stieg und der einfach auf die Menschen geschossen hat, bei McDonald’s“, sagte ein Anrufer. „Mein Mann und ich sind beim Bataclan angeschossen worden, wir sind verletzt, mir geht es nicht gut“, sagte eine Frauenstimme.

Menschen gedenken den Opfern des Attentats im „Bataclan“.
APA/AFP/Thomas Samson
Im kollektiven Gedächtnis bleibt der erlebte Horror vom 13. November 2015 in Paris eingebrannt

Traumatische Erinnerungen

Ein Mann, den die Terroristen im Bataclan mit anderen als menschliches Schutzschild und Geisel nahmen, schilderte dem Sender France Inter, wie einer der Täter ihn zum Aufstehen aufforderte und er nach seinem Rucksack griff. „Warum nimmst du deine Sachen? Die brauchst du nicht mehr, du wirst sterben“, habe der Mann gesagt. In welchem Umfang der Prozess neue Erkenntnisse bringen wird, hängt primär davon, ob die Angeklagten, allen voran Abdeslam, ihr beharrliches Schweigen brechen werden.

Anfangs waren etwa tausend Ermittlerinnen und Ermittler damit befasst, die Gewaltakte in der Nacht des 13. November zu rekonstruieren. Sie fanden bald heraus, dass es sich um eine belgisch-französische Dschihadistenzelle mit engen Verbindungen nach Syrien handelte. Als Drahtzieher der Attentate gilt Oussama Atar, ein Belgier mit marokkanischen Wurzeln, der die Anschläge von Syrien aus koordinierte. Nach Einschätzung des französischen Geheimdienstes wurde er bei Angriffen auf Syrien 2017 getötet.

Dschihadistenzelle unbestimmter Größe

Mehrere der Attentäter waren aus Syrien mit falschen Pässen über die Flüchtlingsroute nach Europa gekommen. Einer von ihnen soll laut einer Zeugenaussage behauptet haben, dass er gemeinsam mit 90 anderen einsatzbereiten Dschihadisten unterwegs gewesen sei. Die Frage, wie groß die Gruppe tatsächlich war, ist weiterhin ungeklärt. In Österreich wurden 2015 ein Algerier und ein Pakistaner festgenommen, die sich möglicherweise an den Pariser Anschlägen beteiligen hätten sollen. Sie waren wegen gefälschter syrischer Papiere in Griechenland hängen geblieben. Laut ihrer Aussage waren sie gemeinsam mit zwei Selbstmordattentätern vom Fußballstadion von Atar in Syrien beauftragt worden.

Fahndungsfoto des Terroristen Salah Abdeslam
APA/AFP/DSK/Police Nationale
Abdeslam ist das letzte noch lebende Mitglied des Terrorkommandos

Bei der Rekonstruktion der Terrornacht stützten sich die Ermittler unter anderem auf eine zufällige Tonaufnahme während des Angriffs im Bataclan und auf die Videoüberwachung am Fußballstadion. Entscheidend für die Franzosen war auch die Zusammenarbeit mit den belgischen Behörden, da mehrere der Attentäter Belgier waren.

Abdeslam wurde schließlich im Brüsseler Vorort Molenbeek aufgespürt, wo er auch aufgewachsen war. Er war auf seiner Flucht am Tag nach den Anschlägen in eine französische Polizeikontrolle geraten, konnte aber weiterfahren, da noch kein Haftbefehl gegen ihn vorlag.