Die Generaldirektorin für die Öffentliche Gesundheit Katharina Reich
APA/Helmut Fohringer
Chief Medical Officer Reich

„Geimpfte nicht aus dem Schneider“

Die oberste Gesundheitsbeamtin, Chief Medical Officer Katharina Reich, hätte sich stärkere CoV-Maßnahmen als die am Mittwoch beschlossenen gewünscht. Das sei der politische Kompromiss und größte gemeinsame Nenner. Und sie betonte, dass angesichts der niedrigen Durchimpfungsrate auch die Geimpften „nicht aus dem Schneider“ seien. Unterdessen gab es Aufregung über die Kontrolle der Maskenpflicht – und das Wirtschaftsministerium reagierte mit einer Klarstellung.

Sie hätte es gern „strenger gehabt“, sagte Reich Donnerstagfrüh im Ö1-Interview. Zugleich sei sie froh, „dass wir zu einem Stufenplan gekommen sind und etwas tun“. Wenn es zu wenig sei, was sich schon bald zeigen könnte, müssten die Pläne adaptiert, sprich verschärft, werden. „Das werden wir vielleicht tun müssen, das stelle ich hier in den Raum“, so Chief Medical Officer Reich.

Sie appellierte an die gesamte Bevölkerung, alles dafür zu tun, dass man sich nicht ansteckt. Das gelte auch für die Geimpften, betonte Reich. Denn solange die Durchimpfungsrate auf dem derzeit niedrigen Stand verharre, „sind auch die Geimpften nicht aus dem Schneider“, da sie trotz Impfung das Virus an Ungeimpfte weitergeben können und somit die Pandemie nicht eingedämmt wird.

Maske „einfachster Schutz“ vor Ansteckung

Reich empfahl daher allen, die FFP2-Masken-Pflicht einzuhalten – auch jene, die per Verordnung dazu nicht verpflichtet werden. Dinge, die „gescheit, richtig und wichtig sind“, könne man auch einfach so machen, dazu brauche es eigentlich keine Verordnungen. Masken seien das niederschwelligste und einfachste Mittel, um sich nicht anzustecken.

Die Regierung will verstärkt die Ungeimpften in die Pflicht nehmen – auch in der Hoffnung, damit bisher Unentschlossene zur Impfung zu bewegen. Das zeigt sich auch an den am Mittwoch vorgestellten Maßnahmen. Fachleute hatten zuletzt teils bereits einen viel stärkeren Druck auf Ungeimpfte gefordert.

Für eine Eindämmung der Pandemie brauchte es eine Durchimpfungsrate jenseits von 80 Prozent, von der Österreich derzeit weit entfernt ist. Zuletzt häuften sich aber auch die Stimmen von Fachleuten, die sich für ein „Durchlaufenlassen“ der Pandemie aussprachen. Das könnte freilich Krankenhäuser an ihre Kapazitätsgrenzen bringen. Bekanntlich werden ja bereits jetzt Operationen wegen nicht geimpfter Covid-19-Kranker verschoben.

FFP2 statt MNS

Unter anderem wird ab 15. September die FFP2-Maske wieder den – vor allem in der sommerlichen Hitze deutlich angenehmeren – Mund-Nasen-Schutz ersetzen. Zudem werden Ungeimpfte verpflichtet, auch im Handel, der nicht dem täglichen Bedarf dient, also beispielsweise in Modegeschäften, FFP2-Maske zu tragen. Für Geimpfte wird das Tragen der Masken empfohlen. Steigen die Zahlen an den Intensivstationen weiter, kommen weitere Verschärfungen.

Keiner will kontrollieren

Doch die anstehende Maskenregelung ließ Fragen aufkommen, da verschiedene Handelsvertreter und auch die Polizeigewerkschaft es ablehnten, die Maskenpflicht für Ungeimpfte in Geschäften zu kontrollieren.

Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) betonte, die Regierung habe am Mittwoch „klar und deutlich“ kommuniziert, dass die Polizei strichprobenartig kontrollieren werde, nicht aber die Handeslbetriebe. Wortmeldungen des Handels, man sei sicher nicht die Polizei, seien „entbehrlich“. Scharfe Kritik übte sie am Handelsverband, dem sie „Verunsicherung“ vorwarf. Das „entbehrt jeder Grundlage“, quittierte Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will. Schramböck solle die direkt Betroffenen besser einbeziehen und praktikable Lösungen vorschlagen, statt Symbolpolitik zu betreiben.

In der ZIB2 hatte freilich auch der Polizeigewerkschafter Hermann Greylinger betont, die Polizei habe andere Aufgaben.

CoV-Maßnahmen: Viele offene Fragen

Rechtlich ist laut Verfassungsjuristen und -juristinnen eine Unterscheidung zwischen Geimpften und Ungeimpften bei den CoV-Maßnahmen unbedenklich. Die tatsächliche Umsetzung und die Kontrolle der Einhaltung der Maßnahmen gestaltet sich allerdings schwierig.

Verweis auf „persönliche Verantwortung“

Zur FFP2-Pflicht für Ungeimpfte im Handel hieß es von Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne), man empfehle auch den Geimpften „ausdrücklich“, dort auf diese Maßnahme zu setzen. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) verwies auf eine „persönliche Verantwortung“. Die Landeshauptleute äußerten sich zu den Regeln zustimmend.

Gartlehner: „Ursachenbekämpfung“ fehlt

Hingegen gab es von Expertenseite Kritik: Dem Epidemiologen Gerald Gartlehner fehlt in dem Plan, „dass eigentlich nichts dabei ist, das die Ursache des Problems behandelt – nämlich wie wir die Impfrate erhöhen“. Man müsse sich vor Augen halten, dass die sich zuspitzende Covid-19-Situation „völlig vermeidbar“ ist, wenn sich mehr Leute impfen lassen würden.

Leider handle es sich bei dem Paket um „Symptombekämpfung“, die noch dazu nicht unmittelbar einsetzen soll. Warum Verschärfungen nämlich nach dem Erreichen von bestimmten Grenzwerten bei der Belegung der Intensivstationen erst sieben Tage später in Kraft treten, „kann ich überhaupt nicht nachvollziehen“, so der Experte für Evidenzbasierte Medizin von der Donau-Universität Krems: „Es sieht ja jeder, in welche Richtung es geht und worauf man sich vorbereiten muss.“

Epidemiologe Gartlehner zu den Maßnahmen

Nach dem Verkünden der geplanten CoV-Maßnahmen übt Epidemiologe Gerald Gartlehner Kritik an den geplanten Schritten. Vieles davon sei nur „Symptombekämpfung“.

Impfkampagne und mehr Druck gefordert

„Stufe 2“ des Plans sieht etwa sieben Tage nach Überschreitung einer Intensivstationsauslastung von 15 Prozent (300 Betten) u. a. die „2-G-Regel“ in der Nachtgastronomie und bei Veranstaltungen ohne zugewiesene Sitzplätze mit mehr als 500 Personen vor. Diesen Schwellenwert sieht Gartlehner „eigentlich schon ums Eck“.

Die breitere Rückkehr der FFP2-Maske bewertet Gartlehner als positiv. Zumindest parallel zu den präsentierten Regeln sollten deutlich mehr Impfkampagnen gefahren oder der Druck auf Ungeimpfte erhöht werden. Da habe sich im Sommer nicht viel getan, obwohl die Regierung „ja nicht gerade ungeübt“ im Fahren von Kampagnen sei, so Gartlehner. Außerdem sei es in Österreich „fast noch ein bisschen zu bequem, ungeimpft zu sein“.

SPÖ: „Zu spät, zu zögerlich“

Von den Oppositionsparteien kommt teilweise scharfe Kritik. Die Regierung habe den Sommer über nichts getan, um den Impffortschritt zu erhöhen, hieß es vonseiten der SPÖ. Kurz habe im Gegenteil behauptet, die Pandemie sei gemeistert. Die vierte Welle und eine hohe Belastung der Intensivstationen seien von Kurz in unverantwortlicher Weise in Kauf genommen worden. Die nun präsentierten Maßnahmen kämen „zu spät, zu zögerlich und sind nicht konsequent genug“, teilte SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher per Aussendung mit.

FPÖ: „Brandmarkung für Ungeimpfte“

Scharfe Kritik kam von der FPÖ: Parteichef Herbert Kickl bezeichnete die Maßnahmen-PK als „in jeder Hinsicht grotesk“. Die „Absurdität“ beginne schon bei der Aussage von einer „Pandemie der Ungeimpften“, so Kickl. Als „verräterisch“ bezeichnete der blaue Obmann „das Gerede vom ‚Schutz für Ungeimpfte‘“, denn damit würde Kurz die Zwangsmaßnahmen „euphemistisch verbrämen“. Am Donnerstag warf Kickl der Regierung „Betrug“ an der Bevölkerung im Zusammenhang mit der Impfung vor. Die Impfung halte nicht das, was versprochen wurde, die Regierung halte dennoch an ihrer Strategie fest und habe „keinen Plan B“.

NEOS: „Zögerlich, zaudernd, zerfleddert“

Auch von NEOS kam einiges an Kritik: Es sei zwar gut, dass die Regierung nun „endlich Genesene mit Geimpften gleichsetzt“, doch habe Kurz „sein Versprechen schon wieder gebrochen“, so Gesundheitssprecher Gerald Loacker: Schließlich habe es geheißen, dass Geimpfte nicht mehr von Einschränkungen betroffen sein würden – doch gelte nun die FFP2-Masken-Pflicht im Lebensmittelhandel und in öffentlichen Verkehrsmitteln doch wieder für alle. Grundsätzlich seien die Pläne „zu zögerlich, zaudernd und zerfleddert“, als dass die Menschen in Österreich sie einfach nachvollziehen können.

WKO und IV zufrieden

Zufrieden mit den neuen Maßnahmen zeigten sich die Wirtschaftskammer (WKO) und die Industrie. „Aus Sicht der Wirtschaft ist es alternativlos, dass alles darangesetzt wird, weitere Lockdowns zu verhindern“, meinte WKO-Präsident Harald Mahrer.

Tourismusobmann Robert Seeber bezeichnete die Ankündigungen der Bundesregierung als „Schritt mit Augenmaß zum richtigen Zeitpunkt“. Zufrieden zeigten sich auch Mario Pulker, Obmann des Fachverbands Gastronomie, und Susanne Kraus-Winkler, Obfrau des Fachverbands Hotellerie.

„Politischer Eiertanz“

Dass die neu präsentierten CoV-Maßnahmen inklusive Stufenplan relativ kompliziert sind, sei laut Politikberater Thomas Hofer indes alles andere als Zufall. „Das ist der typische politische Eiertanz.“ Man wolle keine Zielgruppe – weder die Geimpften noch Ungeimpften – verprellen, so Hofer, der die CoV-Maßnahmen als ein „wahnsinnig spalterisches Thema“ bezeichnete – mehr dazu in wien.ORF.at.