Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka bei der Weltkonferenz der interparlamentarischen Union im Austria Center Wien
APA/Parlamentsdirektion/Johannes Zinner
Bilanz zur IPU-Konferenz

Sobotka sieht Social Media in der Pflicht

Hass im Netz, Klimawandel und die Bewältigung der Pandemie – das waren die großen Themen der Konferenz der Internationalen Parlamentarischen Union (IPU), einer Art Dachgemeinschaft aller demokratischen Parlamente. Um mit den Gegenöffentlichkeiten in sozialen Netzwerken zurechtzukommen, fordert Parlamentspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) am Ende der Konferenz ein klares editoriales Prinzip für Facebook, Google und Co. Diese Plattformen müssten wie klassische Medien behandelt werden, so Sobotka zu ORF.at

Liberale Demokratien dürften nicht tatenlos zusehen, dass sich im Netz Gegenöffentlichkeiten bilden, die auch die Stimmungslage in Ländern völlig verzerrten, sagte Sobotka am Donnerstag am Ende der großen Konferenz der IPU in Wien gegenüber ORF.at.

„Wir müssen weg von dem Hinterherlaufen. Plattformen wie Facebook oder Google brauchen ein editoriales Prinzip, das heißt, sie müssen regulatorisch wie traditionelle Medien behandelt werden, und es müssen für alle die gleichen Spielregeln gelten“, so Sobotka. Die Plattformbetreiber müssten entscheiden und auch verantworten, „wer sich artikulieren darf und wer nicht“. Nicht die Redefreiheit solle eingeschränkt, aber die Verantwortung erhöht werden – und man müsse präventiv agieren, statt hinterherzulaufen.

In der Bewältigung der Pandemie liegen für Sobotka Lösungsschlüssel für globale Probleme und Aufgaben. In der Bewältigung von Covid-19 sei es erstmals wieder gelungen, „dass international ähnlich und abgestimmt reagiert wurde“. Es habe sich gezeigt, „dass wir gemeinsam forschende Anstrengungen brauchen“.

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka bei der Weltkonferenz der interparlamentarischen Union im Austria Center Wien
APA/Parlamentsdirektion/Johannes Zinner
800 Teilnehmer aus aller Welt waren bei der Konferenz im Austria Center dabei. „Ohne Luftraumschutz des Flughafens hätten wir die Konferenz gar nicht abhalten können“, sagt Wolfgang Sobotka.

„Frauen deutlich stärker betroffen“

Deutlich sei in allen Diskussionen geworden, so Sobotka, „dass Frauen deutlich stärker von der Pandemie getroffen wurden – und deshalb deutlich mehr in der Bewältigung der Pandemie gefördert werden müssen“. In der Frage der Einschränkung der Freiheiten müssten Regeln, die der Pandemiebewältigung dienten, wieder auslaufen: „Und da muss genau geschaut werden, dass hier einschränkende Regelungen nicht beibehalten werden.“

„Für mich war eine der Erkenntnisse dieser Konferenz, die uns auch als Konferenzstandort neu positioniert hat, dass man sich wieder treffen können und auch in die Augen schauen muss. Das gibt allen Gesprächen eine deutlich andere Qualität“, so Sobotka, der als einer der Gastgeber der Konferenz die Rolle von Wien als Tagungsort lobte – und sich bei allen Institutionen bedankte, die geholfen hätten, dass die Konferenz mit ihren tausend Teilnehmerinnen und Teilnehmern so gut abgelaufen sei.

Rund 110 Parlamentspräsidenten aus aller Welt haben in dieser Woche intensive Beratungen in Wien abgehalten und sich in Großpanels mit den Fragen von Demokratie und Pandemie auseinandergesetzt. Auch Hass im Netz, der nicht zuletzt als Bedrohung für die liberale Demokratie wahrgenommen wird, war neben Frauenrechten und Ökologie ein großes Thema.

„Parlamente verteidigen Demokratie“

„Parlamente stehen für die Verteidigung der Demokratie“, hob der IPU-Präsident, der Portugiese Duarte Pacheco, hervor. Der lebendige Beweis dafür war für ihn die Präsenz der afghanischen Parlamentarierin Fawzia Koofi, die am Dienstag einen flammenden Appell an das Plenum richtete: „Die Taliban nahmen mein Land mit Gewalt.“

Koofi wurde von der IPU als Gastrednerin auf das Podium gebeten. „Das afghanische Volk braucht eure Hilfe mehr denn je“, flehte die frühere Parlamentsvizechefin. „Frauen werden nicht mehr als gleichberechtigte Individuen gesehen.“ Ihre Stadt gleiche jetzt einem „Friedhof mit lebendigen Menschen“.

Bild von Fawzia Koofi
Wakil Koshar / AFP / picturedesk.com
Bis vor Kurzem noch Parlamentarierin in Kabul: Fawzia Koofi

15 Jahre lang war Koofi im Parlament, wo sie sich vor allem für Frauenrechte einsetzte und auch die Funktion der Vizepräsidentin innehatte. Sie hatte vor der Machtübernahme der Taliban in ihrer Heimat dem afghanischen Team bei den Verhandlungen in Doha angehört. „Trotz der laufenden Gespräche griffen die Taliban zu einer militärischen Strategie.“ Die mutige Frau warnte später vor Pressevertretern, man dürfe es den Eroberern nicht zu leicht machen. Die Taliban beteuerten nun: „Wir haben uns geändert.“ Koofi dazu: „Gewehr und Gewalt sind ihre einzigen Waffen.“ Viele Kämpfer seien ungebildet.

Flucht aus einem umkämpften Land

Die afghanische Parlamentarierin war nach dem Überfall der Kämpfer zwei Wochen lang in ihrem Haus kaserniert. Durch die Intervention Katars, der IPU und weiterer Staaten entkam Koofi mit ihren beiden Töchtern und einer Schwester, die ebenfalls Parlamentarierin ist, „mit dem letzten Flug“ ins Ausland, bevor die USA ihre Evakuierungsaktion auf dem Kabuler Flughafen beendeten. Die Situation auf dem Flughafen war nach ihren Worten „total chaotisch “.

Doch die engagierte afghanische Aktivistin will nicht aufgeben. Sie hoffe auf eine Rückkehr, sagte sie vor den Pressevertretern im Anschluss an ihre emotionale Rede vor der Konferenz. Die Vereinten Nationen forderte sie zu einem Hilfsprogramm für Afghanistan auf: „35 Millionen Menschen brauchen humanitäre Hilfe.“

In einem künftigen Friedensprozess müssten die Stimmen der Frauen zu hören sein, aber auch die der religiösen und ethnischen Minderheiten. Der Anteil von Frauen im Parlament Afghanistans betrug vor der Übernahme der Macht durch die Taliban 27 Prozent, was weit über dem internationalen Durchschnitt liege. „Ihr Leben ist in Gefahr.“

Sobotka will an Ort und Stelle helfen

Sobotka sagte im Gespräch zum Umgang mit Afghanistan: „Wir sollen die Welt nicht aus einer westlich-europäischen Perspektive schulmeistern. Ich kann nicht beurteilen, ob sich die Taliban geändert haben oder nicht. Aber wir sollten Entwicklungen vor Ort fördern. Auch dass nicht die Bestgebildeten das Land verlassen. Afghanistan sollte nicht für innenpolitische Debatten missbraucht werden. Österreich hat vorbildlich geholfen, überdurchschnittlich viele Afghanen aufgenommen.“

Wenn sich Menschen aus Afghanistan aufmachten, dann sollten andere Länder gerne dem österreichischen Beispiel folgen, so Sobotka. Das Engagement gerade Österreichs für Afghanistan sei dezidiert gelobt worden.

„Genderdiskriminierung beenden“

Zum Auftakt der Plenarsitzung am Dienstag hatte die Präsidentin des norwegischen Storting, Tone Wilhelmsen Troen, die Beratungen der 26 weiblichen Parlamentspräsidentinnen vom Vortag zusammengefasst. Genderbasierte Diskriminierung müsse beendet werden. Im Kampf gegen die Pandemie sei die Rolle der Frauen unterschätzt worden.

60 Prozent der Frauen werde kein sozialer Schutz zuteil, so Wilhelmsen. Bis 2030 solle ein soziales Schulsystem für Frauen ausgearbeitet werden. In Afghanistan sei die Freiheit der Frauen gefährdet. „80 Prozent der Flüchtlinge von dort sind Frauen und Kinder.“

IPU-Präsident Pacheco warnte vor den Folgen der Pandemie. Weltweit habe Covid-19 über vier Millionen Menschenleben gefordert. In einer Trauerminute wurde der Toten gedacht. Die soziale Ungleichheit sei in der Pandemiezeit gestiegen. Allgemein steige die Terror- und Extremismusgefahr. „Wir müssen den Terrorismus gemeinsam bekämpfen.“ Faktum sei, dass Frauen in der gegenwärtigen Situation mehr leiden.

Videobotschaft von Guterres

Bei der Konferenz im Austria Center Vienna war auch eine Videobotschaft von UNO-Generalsekretär Antonio Guterres eingespielt worden. Dieser zeigte sich erfreut, dass der Fokus der Konferenz insbesondere auf den Schutz und die Rechte der Frauen gerichtet gewesen sei. Es gelte, mehr wichtige Positionen mit Frauen zu besetzen.

Der Vorsitzende der UNO-Generalversammlung, Abdulla Shahid, kündigte Pläne an, bei der nächsten Vollversammlung ein Sonderforum für ökologische Fragen einzuberufen und im Kontext der Menschen das Augenmerk mehr auf die Frauenförderung zu legen. „Dialog ist wichtiger denn je.“