Menschen sitzen in einem Gastgarten in der Wiener Innenstadt
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Vierte Welle

Weitere CoV-Verschärfungen wahrscheinlich

Experten und Politik halten eine Verschärfung der Coronavirus-Regeln trotz des von der Regierung am Mittwoch präsentierten Stufenplanes, der ab Mitte September gelten soll, für wahrscheinlich. So geht der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) davon aus, dass bald strengere Maßnahmen notwendig werden. Experten sehen vor allem die Zeitkomponente kritisch. Auch Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) kündigte bereits weitere Verschärfungen an – abhängig von der Auslastung der Intensivstationen.

Sollte die Auslastung der Intensivbetten über jene 20 Prozent (400 Betten, Anm.) hinausgehen, bis zu der von Bund und Ländern Maßnahmen beschlossen wurden, kann sich Mückstein weitere Verschärfungen vorstellen. „Bei 25 Prozent (500 Betten, Anm.) Auslastung auf den Intensivstationen wird es weitere Maßnahmen geben müssen“, sagte er in der „Kleinen Zeitung“ (Freitag-Ausgabe). Nicht ausgeschlossen ist für Mückstein etwa auch, dass dann auch in der Gastronomie abseits der Nachtgastronomie ein Impf- bzw. Genesenennachweis erforderlich wird und Tests nicht mehr gelten.

Nach dem derzeit geplanten Regelwerk ist diese „2-G-Regel“ nur für Großevents ohne zugewiesene Sitzplätze sowie für die Nachtgastronomie vorgesehen, sobald die Intensivstationen zu 15 Prozent (300 Betten, Anm.) gefüllt sind. Ab 20 Prozent (400 Betten, Anm.) wird in den „3-G“-Bereichen – also etwa auch in Gasthäusern – nur noch ein PCR-Test neben einer Impfung oder Genesung anerkannt. „Ungeimpfte werden mit weiteren Einschränkungen rechnen müssen“, so der Minister.

Hacker: Nicht am Ende der Fahnenstange

Auch der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) ging gegenüber dem Ö1-Morgenjournal am Freitag wie zuvor im „Wien heute“-Interview am Donnerstag davon aus, dass bald noch strengere CoV-Maßnahmen notwendig sind. Der Stufenplan der Bundesregierung sei ein Kompromiss, so Hacker am Donnerstag im „Wien heute“-Interview. „Ich glaube, dass wir damit nicht am Ende der Fahnenstange der Maßnahmen sind, die wir brauchen. Aber es ist einmal ein guter Anfang.“ Es sei auch wichtig, dass es österreichweit einheitliche Regeln gebe.

Wien beobachte die CoV-Lager weiterhin und könne sich Verschärfungen im Alleingang – wie im Sommer – vorstellen. Hacker: „Wenn wir das Gefühl haben, wir brauchen weitere Maßnahmen, dann ist nicht auszuschließen, dass wir wieder in Wien besondere, vorsichtige Maßnahmen setzen werden.“

Laut ÖVP soll es für Geimpfte keine einschneidenden Maßnahmen mehr geben. Hacker stimmt zu, dass man Unterschiede machen muss. „Aber es wird auch für die Geimpften diese vierte Welle nicht spurlos vorbeigehen. Wir werden direkt und indirekt betroffen sein“, so Hacker – mehr dazu in wien.ORF.at

Experten: „Bremszeitpunkt falsch gewählt“

Der von der Bundesregierung präsentierte Stufenplan mit seinen vorgesehenen Verschärfungen nach dem Erreichen bestimmter Covid-19-Belegzahlen auf Intensivstationen sei „im Prinzip richtig gedacht“. Allerdings sei der „Bremszeitpunkt falsch gewählt“, sagten Komplexitätsforscher im Gespräch mit der APA.

Die Situation sei vergleichbar mit einem Auto, das auf eine Wand zufährt. Dass in Stufe zwei und Stufe drei des neuen Maßnahmenplans Verschärfungen erst sieben Tage nach dem Überschreiten der Intensivbettenbelegung eintreten sollen, sei zu spät. In einer Woche könnten sich die Zahlen so stark erhöhen, „dass wir an der Wand dran sind“, so der Leiter des Complexity Science Hub Vienna (CSH), Stefan Thurner.

Klimek: Große Anstiege „kann es in ein paar Tagen geben“

Für Peter Klimek ist das Prinzip vergleichbar mit einer Sturmwarnung nach aktuellen Messungen der Windgeschwindigkeit: „Wenn ich bei 200 Stundenkilometern sage: ‚Fahrt ins Landeinnere dem Hurrikan davon!‘, ist das zu spät.“ Bis sich dann in der Folge ein Effekt auf den Intensivstationen zeigt, vergehe zudem noch viel Zeit. Große Anstiege „kann es in ein paar Tagen geben“, so der Forscher vom CSH und der Medizinischen Universität Wien: „Da ist etwas in einer linearen Logik gedacht, was dann auch exponentiell gehen kann.“

„Kollektives Problem“

Die Pandemie werde aktuell vor allem von jüngeren, nicht geimpften Personen vorangetrieben. Dementsprechend gelang ein Einbremsen der Fallzahlen in manchen Ländern durch Restriktionen und Schließungen in der Nachtgastronomie oder nächtliche Ausgangssperren. Wie gut der österreichische Stufenplan dann funktionieren wird, hänge auch davon ab, wie strikt etwa „2-G“ in der Nachgastronomie kontrolliert wird.

Die Pandemie sei ein „kollektives Problem“, für das es gesellschaftsübergreifende Lösungen braucht, sagte Thurner. Dafür müssten aber langfristig Debatten gestartet und die Menschen darüber informiert werden, was bei verschiedenen Szenarien passieren soll. Leider sei eine solche Debatte im Sommer „für kein Szenario“ geführt worden. Es liege daher der Schluss nahe: „Vielleicht waren keine Pläne da.“