Kanal in Utrecht
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Änderung künftig gratis

Utrecht hilft Menschen mit Sklavennamen

Die niederländische Stadt Utrecht hat eine Erleichterung für Nachfahren afrikanischer Sklaven beschlossen. Oft erinnern deren Familiennamen auch 150 Jahre nach der Abschaffung an die Sklaverei, eine Namensänderung war bisher jedoch mit enormen Kosten verbunden. Nun soll diese mit Hilfe der Stadt gratis sein. Auch andere Städte wollen dem Beispiel folgen – es sind kleine Schritte in der Aufarbeitung der Kolonialgeschichte des Landes.

Die Namensänderung in den Niederlanden ist ein teurer bürokratischer Hürdenlauf, schreibt das Nachrichtenportal Nu. Mindestens 835 Euro kostet eine Änderung des Nachnamens beim niederländischen Justizministerium – doch für Menschen, deren Vorfahren Sklaven waren, ist der Prozess mit noch größeren Kosten verbunden.

Denn bisher muss man nachweisen können, dass ein Nachname eine Belastung darstellt. Bei durchaus verbreiteten Namen wie „Poepjes“ (in etwa: „Pupse“) ist das nicht extra nötig. Für Nachnamen, die aus der kolonialen Vergangenheit der Niederlande stammen, ist jedoch ein psychologischer Test vorgeschrieben, so Nu. Damit kann die Namensänderung mehrere tausend Euro kosten – wird der Antrag abgelehnt, wird das Geld auch nicht rückerstattet.

Initiativen, die Namensänderung zu erleichtern, gibt es schon länger, diese Woche beschloss der Stadtrat, Menschen mit entsprechenden Namen bei der Änderung zu unterstützen. Die Stadt will die entstandenen Kosten ersetzen, sollte sich keine bundesweite Regelung finden lassen, schreibt Nu.

Sklaverei viel später als andere Länder abgeschafft

1863 haben die Niederlande die Sklaverei abgeschafft, deutlich später als viele andere Länder. Sklaven im südamerikanischen Surinam mussten noch zehn weitere Jahre arbeiten, bis sie endgültig freikamen. Doch mit dem offiziellen Ende des niederländischen Sklavenhandels erhielten diese Menschen umgehend einen Nachnamen – oft von den Plantagenbesitzer an Ort und Stelle ausgedacht.

Skulptur „De Moriaan“ in Utrecht
Nur selten ist in Utrecht Bezug zur kolonialen Vergangenheit sichtbar, wie an diesem Laternensockel – ein Denkmal ist geplant

Weil „echte“ niederländische Namen nicht verwendet werden durften, stechen diese Namen auch heute noch heraus, wie die BBC schreibt. Sie geben oft Hinweise auf die ehemaligen Sklavenbesitzer, etwa „Vriesde“ (von „De Vries“) und „Kenswil“ (von „Wilkens“), wie Nu schreibt. Auch Ortsnamen wurden oft verwendet – etwa „Barneveld“, „Seedorf“ und „Madretsma“, also „Amsterdam“ von hinten nach vorne geschrieben.

Hinweise auf afrikanische Wurzeln ausgelöscht

Gegenüber der BBC sagte Linda Nooitmeer, Vorsitzende des Instituts für Niederländische Sklavereigeschichte, dass damit die afrikanischen Wurzeln der Vorfahren praktisch ausgelöscht wurden. „Alles wurde entfernt. Du warst Teil der Fracht, wie Vieh. Nicht nur der Name, sondern auch die Rituale, die Sprache, die Identität – also alle Hinweise darauf, dass man Afrikaner ist – wurden weggenommen.“

Heute würden die Namen als Erinnerung daran dienen, dass diese Menschen einst untergeordnet waren, so Nooitmeer. Der Name „Nooitmeer“, „nie wieder“, wurde von ihren Vorfahren selbst gewählt – dennoch überlegt sie, ihn zu ändern. Diese Namen seien ein Zeichen, dass die Ketten der Sklaverei nie ganz gebrochen wurden. „Ketikoti“, „Die Kette ist gebrochen“ in der surinamesischen Sprache Sranan, heißt der Feiertag am 1. Juli, an dem an das Ende der Sklaverei in Surinam erinnert wird.

Auch andere Städte kritisieren Änderungsgebühren

Neben Utrecht stören sich auch andere Städte an den hohen Kosten für eine Namensänderung – auch in Amsterdam und Rotterdam wird über eine kostenlose Änderung diskutiert, schreibt Nu. Die Partei GroenLinks in Den Haag hat einen entsprechenden Antrag an den dortigen Stadtrat geschickt. Die Städte fordern vom Staat, dass dieser die Kosten für die Namensänderung aufgrund der kolonialen Vergangenheit streicht.

Vom zuständigen Ministerium heißt es, dass im Vorjahr über 2.800 Anträge auf Namensänderungen gestellt wurden – seit September wurde allerdings nur ein einziger Antrag wegen Bezugs zur Sklaverei eingebracht. Vom Institut für Sklavereigeschichte heißt es, dass man daraus nicht den Schluss ziehen könne, dass es dem Thema an Relevanz fehle. Der ehemalige Jusprofessor Rene de Groot stimmt der Einschätzung zu – und verweist auf die hohen Kosten als Hindernis für die Antragsstellung. „Das kann ein verzerrtes Bild ergeben“, so de Groot gegenüber Nu.

Amsterdam entschuldigte sich für Kolonialzeit

Es sind kleine Schritte in der Aufarbeitung der Kolonialgeschichte des Landes, die rund 300 Jahre umfasst. Erst im Juli wurde ein Bericht einer unabhängigen Kommission veröffentlicht, der den Niederlanden empfiehlt, sich offiziell für die Sklaverei in der Zeit zu entschuldigen. Sklaverei sei ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, hieß es von der von der Regierung beauftragten Kommission damals, und der Staat müsse das „historische Unrecht“ anerkennen.

Amsterdam’s Bürgermeisterin Femke Halsema
APA/AFP/Anp/Koen van Weel
Amsterdams Bürgermeisterin Femke Halsema entschuldigte sich heuer für die Zeit der Sklaverei

Doch auf nationaler Ebene wird bisher eine Entschuldigung abgelehnt. Einen ersten Schritt setzte im Juli hingegen die Hauptstadt Amsterdam: Bürgermeisterin Femke Halsema entschuldigte sich erstmals für die Sklaverei in der Kolonialzeit. „Es ist an der Zeit, das große Unrecht der kolonialen Sklaverei in die Identität unserer Stadt einzugravieren. Mit großherziger und bedingungsloser Anerkennung.“

Premierminister lehnt Entschuldigung ab

Von Ministern war in vergangenen Jahren von „tiefem Bedauern“ und „Reue“ zu hören – doch „Entschuldigung“ sei ein wichtiger Meilenstein, sagte Nooitmeer gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“ im Juli. Neben der symbolischen Wirkung werde dadurch anerkannt, dass der Sklavenhandel ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit war. Das öffne – zumindest theoretisch – die Möglichkeit für Entschädigungszahlungen.

Auch in Utrecht, Den Haag und Rotterdam wird über Entschuldigungen nachgedacht. Premier Mark Rutte lehnte unterdessen im Februar eine Entschuldigung erneut ab, wie die Zeitung „Trouw“ schreibt. Er habe „Respekt“ vor den Städten, die das nun täten. Man lehne die Sklaverei ab, entschuldigen wolle man sich aber nicht, weil „die Gefahr besteht, dass eine Debatte über dieses Thema die Spannungen in den Niederlanden noch verstärken könnte“. Außerdem habe er es „als Historiker“ Zweifel daran, sich für etwas zu entschuldigen, das vor 150 Jahren passiert sei.