Die französische Regisseurin Audrey Diwan, Gewinnerin des Goldenen Löwen
Reuters/Yara Nardi
Drama um Recht auf ABtreibung

Goldener Löwe geht an „L’evenement“

Der Goldene Löwe des 78. Filmfestivals Venedig geht an „L’evenement“ („Das Ereignis“) der französischen Regisseurin Audrey Diwan. Das gab die Jury am Samstagabend bekannt. Das Werk erzählt von einer jungen Frau, die Anfang der 1960er Jahre in Frankreich abtreiben möchte – doch das ist illegal.

Es ist der sechste Goldene Löwe der Festivalgeschichte, der an das Werk einer Filmemacherin vergeben wird. Auch im Vorjahr gewann eine Frau: Chloe Zhao mit „Nomadland“. Der Große Preis der Jury, die zweitwichtigste Auszeichnung des Festivals, ging an „E stata la mano di Dio“ („Die Hand Gottes“) des italienischen Regisseurs Paolo Sorrentino. Die Neuseeländerin Jane Campion, die einst mit „Das Piano“ weltweit Erfolge feierte, nahm für das Brüderdrama „The Power of the Dog“ die Auszeichnung für die beste Regie entgegen.

Als beste Schauspielerin ehrte die Jury die Spanierin Penelope Cruz für „Madres paralelas“. In dem Film von Pedro Almodovar spielt die 47-jährige Oscarpreisträgerin eine von zwei Müttern, die ungeplant schwanger werden. „Madres paralelas“ hatte die 78. Filmfestspiele Venedig am 1. September eröffnet. Die Auszeichnung für den besten Schauspieler ging an John Arcilla für das philippinische Korruptionsdrama „On the Job: The Missing 8“ von Erik Matti. Jamie Lee Curtis wurde für ihr schauspielerisches Lebenswerk geehrt.

Schauspielerin Penelope Cruz
AP/Domenico Stinellis
Beste Schauspielerin der 78. Filmfestspiele von Venedig ist Penelope Cruz

Die US-Schauspielerin Maggie Gyllenhaal gewann für „The Lost Daughter“ die Auszeichnung für das beste Drehbuch. Das Drama ist zugleich auch ihr Regiedebüt. Der italienische Höhlenforscherfilm „Il buco“ von Michelangelo Frammartino wurde mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet. Das Filmfest Venedig ist das älteste der Welt. Im diesjährigen Wettbewerb hatten 21 Werke um die Preise konkurriert. Die Auszeichnungen wurden von einer internationalen Jury verliehen. Ihr Vorsitzender war der südkoreanische Regisseur und Oscargewinner Bong Joon Ho („Parasite“).

Frankreich im Jahr 1964

„Ich habe diesen Film mit Wut, mit Begierde, mit meinem Bauch, mit Leib und Seele, mit meinem Herzen gemacht“, sagte die 41-jährige Diwan, als ihr der Goldene Löwe überreicht wurde. Hintergrund des diesjährigen Goldenen-Löwen-Films ist ein im Jahr 2000 veröffentlichter und damals viel beachteter autobiografischer Bericht von Anne Ernaux über eine 1964 in Rouen vollzogene Abtreibung.

Anamaria Vartolomei und Audrey Diwan
AP/Domenico Stinellis
Audrey Diwan zusammen mit „L’evenement“-Hauptdarstellerin Anamaria Vartolomei (li.)

Die von Anamaria Vartolomei dargestellte Protagonistin des Films steht zu diesem Zeitpunkt kurz davor, an einer Universität angenommen zu werden. Dann aber wird sie schwanger und sieht ihre Zukunft in Gefahr. Sie will abtreiben, doch das ist illegal. Völlig auf sich allein gestellt, sucht Anne verzweifelt nach einem Ausweg – und nimmt nicht nur in Kauf, erwischt zu werden und ins Gefängnis zu kommen. Eine illegale Abtreibung könnte sie auch das Leben kosten.

„Hand Gottes“

Sorrentinos „Hand Gottes“ ist indes ein sehr persönlicher Film über den Tod seiner Eltern. Der italienische Regisseur, der mit „La Grande Bellezza – Die große Schönheit“ einen Oscar gewann, zeigte am Donnerstag sein neues Werk „E stata la mano di Dio“. Es erzählt von einer Jugend im Neapel der 1980er Jahre, als der Argentinier Diego Maradona einen Vertrag beim lokalen Fußballclub bekommt.

„Die Hand Gottes“, wie der Filmtitel übersetzt heißt, erzählt vom jungen Fabietto und dessen Familie. Maradonas Wechsel nach Neapel spielt zunächst nur am Rande eine Rolle, während das Werk die exzentrischen Familienmitglieder vorstellt. Eines Tages jedoch will der Teenager Fabietto unbedingt ein Heimspiel mit Maradona sehen und fährt nicht mit seinen Eltern in die Berge – wo diese umkommen. Die Geschichte hat Parallelen zu Sorrentinos Leben: Der 51-Jährige verlor seine Eltern einst bei einem sehr ähnlichen Unglück.

Hochkarätiges Drama um Bruderzwist

Auch die neuseeländische Regisseurin Jane Campion, die einst mit „Das Piano“ als erste Frau mit der Goldenen Palme von Cannes ausgezeichnet wurde, stellte in Venedig ein Familiendrama vor. „The Power of the Dog“ ist mit Benedict Cumberbatch, Kirsten Dunst und Jesse Plemons hochkarätig besetzt. Cumberbatch und Plemons spielen die zwei Brüder Phil und George, die im US-Bundesstaat Montana 1925 eine große Ranch betreiben. Campion, eine von fünf Regisseurinnen im diesjährigen Venedig-Wettbewerb, fängt die Weite Montanas und das raue Cowboyleben mit atemberaubenden Bildern ein.

Sie nimmt sich Zeit für ihre Geschichte, deutet einiges subtil an und entwickelt so einen ganz eigenen Sog. Dabei ist es vor allem Cumberbatch („Avengers“), der mit seiner intensiven Performance in Erinnerung bleibt. Er verkörpert Phil, der mit seiner eigenen unterdrückten Sexualität zu kämpfen hat, mit einer Mischung aus Hilflosigkeit und toxischer Männlichkeit.

„Spencer“ zeigt Diana in entscheidendem Moment

Ein weiterer Festival-Beitrag drehte sich schließlich um das schillernde und tragische Leben von Prinzessin Diana. Nur wenige Tage nach ihrem 24. Todestag feierte mit „Spencer“ des chilenischen Regisseurs Pablo Larrain ein Film Premiere, in dem Hollywood-Star Kristen Stewart Diana verkörpert.

Darin kommt die britische Königsfamilie in den Weihnachtsfeiertagen 1991 zusammen, neben Diana und Charles sind die Queen und die beiden jungen Söhne William und Harry dabei. Doch was besinnliche Ferien sein könnten, soll hier zum Wendepunkt in Dianas Leben werden: Sie entschließt sich zur Trennung von Charles und damit auch, ihr Leben im engen Korsett als Royal aufzugeben.

Die Jury der 78. Filmfestspiele von Venedig
Reuters/Yara Nardi
Festivalchef Alberto Barbera (v. l.) mit der heurigen Jury der Filmfestspiele

Sicherheit und Glamour

Venedig setzte insgesamt auf Glanz trotz strenger CoV-Auflagen und bewies im Gegensatz zu Cannes, wie man ein internationales Filmfest umsichtig und verantwortungsbewusst gestalten kann, ohne auf glanzvolle Bilder verzichten zu müssen. Auch der diesjährige Jurypräsident, der südkoreanische Regisseur Bong Joon Ho („Parasite“), lobte Venedigs Umgang mit der neuen Situation bereits zu Beginn der Filmfestspiele.

Jennifer Lopez und Ben Affleck bei den Filmfestspielen in Venedig
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Roter Teppich für Ben Affleck und Jennifer Lopez

Glamour-Höhepunkt der diesjährigen Filmfestspiele war wohl der Auftritt des neuen Hollywood-Traumpaars Jennifer Lopez und Ben Affleck am Freitagabend. Seit einiger Zeit war zwar bekannt, dass die 52-jährige Musikerin und der 49-jährige Oscarpreisträger nach längerer Trennung wieder ein Paar sind. Nun wurde der rote Teppich auf der venezianischen Insel Lido ihr erster großer gemeinsamer Auftritt nach dem Liebescomeback. Die beiden kamen zur Premiere des außer Konkurrenz gezeigten Historienspektakels „The Last Duel“. Bei all dieser Aufregung gerieten Regisseur Ridley Scott und Afflecks Kostars Matt Damon und Jodie Comer fast etwas in den Hintergrund.

Gradmesser für Oscars

Der Film erzählt von einer Vergewaltigung im mittelalterlichen Frankreich und wie das Opfer, eine junge Frau, um Gerechtigkeit kämpft. Bei der Premiere wurde Scott („Alien“, „Blade Runner“, „Gladiator“) für den nachhaltigen Einfluss seines Schaffens mit „Cartier Glory to the Filmmaker“ ausgezeichnet.

Matt Damon, Ridley Scott, Jodie Comer,  Ben Affleck und Nicole Holofcener
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(V. l. n. r.) Matt Damon, Ridley Scott, Jodie Comer, Ben Affleck und Drehbuchautorin Nicole Holofcener vor der Premiere von „The Last Duel“

Auch die mit Spannung erwartete Neuauflage des Science-Fiction-Epos „Dune“ wurde außer Konkurrenz gezeigt, für das Denis Villeneuve mit Timothee Chalamet, Rebecca Ferguson, Oscar Isaac, Josh Brolin, Stellan Skarsgard, Charlotte Rampling und Javier Bardem ungewöhnlich viele Stars vor die Kamera holen konnte. Die Filmfestspiele am Lido sind zu einer Art Gradmesser für Oscar-Tauglichkeit geworden, mehrere Oscar-Gewinner vergangener Jahre, neben „Nomadland“ etwa „Joker“ und „Shape of Water“, waren zuerst in Venedig zu sehen.