Taliban-Flaggen in Kabul
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9/11-Jahrestag

Symbolträchtige Taliban-Zeremonie in Kabul

20 Jahre nach den Anschlägen von 9/11 haben die radikal-islamischen Taliban in der afghanischen Hauptstadt Kabul ihre Flagge über dem Präsidentenpalast gehisst und damit ein symbolträchtiges Zeichen gesetzt. Die weiße Flagge, auf der das Glaubensbekenntnis prangt, ist seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan omnipräsent – unter anderem auch im Großformat auf dem Tor der vor wenigen Wochen fluchtartig verlassenen Botschaft der USA.

Im Rahmen einer „unauffälligen Zeremonie“ habe der Premierminister der Übergangsregierung, Mohammad Hassan Akhund, die Taliban-Flagge am Samstag nun auch auf dem Präsidentenpalast gehisst, wie Taliban-Sprecher Ahmadullah Muttaqi laut Reuters mitteilte. Die Flagge wurde diesen Angaben zufolge gehisst, um den Beginn der Arbeit der Übergangsregierung der Taliban zu markieren.

Die Taliban führten zwischen 1996 und 2001 in Afghanistan ein Schreckensregime – und gaben auch der hinter 9/11 stehenden Terrororganisation al-Kaida Unterschlupf. Im Rahmen der von den USA als direkte Reaktion auf die Anschläge angeführten Afghanistan-Intervention wurden die Taliban innerhalb weniger Wochen zunächst aus Kabul und am 7. Dezember 2001 dann auch aus ihrem letzten Stützpunkt im Süden Kandahars vertrieben.

„Positive Signale“

Zwanzig Jahre später sind die Taliban wieder an der Macht – und geht es nach dem am Samstag von etlichen Medien ebenfalls als Sprecher der Taliban zitierten Zabihullah Mujahid, sei es nur eine Frage der Zeit, bis das Islamische Emirat auch auf internationaler Ebene anerkannt werde.

Mujahid zufolge gebe es dafür „positive Signale“, wie unter anderem der TV-Sender al-Arabija und die „Washington Post“ dazu weiter berichten. Die Taliban hätten dem Sprecher zufolge jedenfalls das zu bieten, was auch die internationale Gemeinschaft wolle, nämlich „die Aufrechterhaltung der landesweiten Sicherheit und eine klare Politik sowie eine Zusicherung, die Befürchtungen entgegenwirkt, dass Afghanistan zu einer Bedrohung wird“.

Blinken: Keine Signale, die optimistisch stimmen

Zweifel daran kamen zuletzt unter anderem aus den USA und Deutschland. Die von den Taliban angestrebte internationale Legitimität müssten sich die Islamisten durch ihr Handeln verdienen, sagte dazu US-Außenminister Antony Blinken bei einem Treffen mit seinem deutschen Amtskollegen Heiko Maas auf der US-Luftwaffenbasis im deutschen Ramstein. „Unserer Meinung nach kann sie nicht schnell verdient werden, sie kann nicht durch Worte allein verdient werden.“

So wie Blinken steht auch für Maas eine schnelle Anerkennung der Taliban-Regierung nicht zur Debatte: „Um die wird es nicht gehen, die sehe ich auch nicht im Moment.“ Allein die Verkündung einer rein aus Männern bestehenden Übergangsregierung ohne Beteiligung anderer Gruppen und die bisherige Vorgangsweise gegen Demonstrantinnen und Journalisten seien nicht die Signale, die optimistisch stimmen, wie Blinken dazu anmerkte.

Auch Russland und Indien erklärten Regierungskreisen zufolge in gemeinsamen Beratungen, die Taliban müssten sich an ihre Zusagen halten. China betrachte die Einsetzung der neuen Regierung hingegen als notwendigen Schritt zum Wiederaufbau Afghanistans.

„Besorgniserregend“

Es sei „besorgniserregend, wenn man das Gefühl hat, dass die Taliban bereits bei der ersten Weggabelung falsch abbiegen. Von einer inklusiven Regierung kann hier nicht die Rede sein“, sagte dazu indes Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) in einem Interview mit dem „Standard“ (Freitag-Ausgabe).

Die Taliban-Flagge vor der US-Botschaft in Kabul
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Die Taliban-Flagge auf dem Eingangstor der kurz zuvor fluchtartig verlassenen US-Botschaft in Kabul

Die Taliban hatten Mitte August die Macht übernommen und sich zunächst um ein moderateres Auftreten bemüht. UNO-Angaben zufolge gehen die Taliban aber immer brutaler gegen Kritiker und nicht zuletzt Kritikerinnen vor. Um friedliche Proteste gegen ihre Herrschaft aufzulösen, setzten die Islamisten Stöcke, Peitschen und scharfe Munition ein, erklärte das UNO-Menschenrechtsbüro am Freitag in Genf. Mehrere Menschen seien dabei ums Leben gekommen. Zudem gebe es Berichte über Hausdurchsuchungen, um Teilnehmer und Teilnehmerinnen von Protestmärschen aufzuspüren.

Gefangene der Taliban würden geschlagen und zum Teil mit Enthauptung bedroht. Auch würden Pressevertreter eingeschüchtert. Eine UNO-Vertreterin betrachtet mittlerweile auch die ursprünglichen Taliban-Versprechen, die Rechte von Frauen in Afghanistan zu respektieren, als obsolet. „Wir erhalten jeden Tag Berichte über Rückschritte bei den Frauenrechten“, sagte die in Kabul ansässige UNO-Frauenrechtlerin Alison Davidian. Frauen in Afghanistan werde nun etwa verboten, ohne männliche Begleitung das Haus zu verlassen oder zu arbeiten. Ein Taliban-Vertreter schloss zuletzt gegenüber dem australischen TV-Sender SBS auch aus, dass es Frauen in Afghanistan weiterhin erlaubt sein werde, Sport zu betreiben.

„Wir sind zufrieden“

Die Taliban sind indes um ein gänzlich anderes Bild bemüht. Deutlich wurde dies am Samstag, bei einer von den neuen Machthabern eskortierten Pro-Taliban-Demonstration. Dutzende Frauen zogen dabei über das Gelände einer Universität und versammelten sich dann in einem Hörsaal, wie in Videos zu sehen ist. Auf Bannern, die sie mit sich trugen, stand: „Wir sind mit der islamischen Einstellung und dem Verhalten der Mudschaheddin zufrieden.“ Die Frauen waren praktisch von Kopf bis Fuß schwarz verschleiert.

Frauen demonstrieren in Kabul verhüllt und mit Taliban-Flaggen
APA/AFP/Aamir Qureshi
Schwarz verschleierte Frauen demonstrierten am Samstag für die Taliban in Kabul

Journalisten waren offiziell eingeladen, über die Demonstration zu berichten. Nach mehreren Protesten diese Woche in Kabul und anderen Städten – gegen Pakistan und indirekt auch gegen die Herrschaft der Taliban – hatte das Innenministerium am Mittwoch unter Androhung „ernsthafter strafrechtlicher Konsequenzen“ sämtliche Demonstrationen verboten und erklärt, Proteste müssten künftig im Voraus angemeldet werden.

Geschlechtertrennung an Unis

Am Sonntag gaben die Taliban schließlich bekannt, dass es an Afghanistans Universitäten nur noch getrennten Unterricht für Frauen und Männer geben werde. „Die Koedukation steht im Widerspruch zu den Grundsätzen des Islam sowie zu den nationalen Werten, Sitten und Gebräuchen“, sagte der Minister für höhere Bildung, Abdul Baghi Haqqani.

Auch auf dem Gelände von Universitäten solle es künftig eine Trennung nach Geschlechtern geben, kündigte Haqqani an. Falls das nicht möglich sei, sollen Hochschulen zunächst abwechselnde Unterrichtszeiten einrichten oder eine Trennung in den Klassenräumen sicherstellen. Für Studentinnen wollen die Taliban Dozentinnen einstellen – aber auch Männer sollen Frauen unterrichten dürfen, solange der Unterricht nach den Regeln der Scharia erfolgt.