Umweltaktivist in Rio de Janeiro
Reuters/Pilar Olivares
Tödliches Jahr

Höchstzahl bei Morden an Umweltaktivisten

Der Kampf gegen Landnahme und Raubbau an der Natur wird immer gefährlicher: Im vergangenen Jahr wurden weltweit 227 Umweltschützerinnen und Umweltschützer getötet, wie die NGO Global Witness am Montag bei der Vorstellung einer neuen Studie mitteilte. Das waren mehr als vier Morde pro Woche und mehr als jemals zuvor. Drei Viertel der tödlichen Angriffe wurden in Lateinamerika registriert.

In Kolumbien wurden 65 Aktivisten und Aktivistinnen aus Natur- und Umweltschutz getötet, in Mexiko 30, auf den Philippinen 29 und in Brasilien 20. Die Organisation geht allerdings davon aus, dass die tatsächliche Zahl der Getöteten noch deutlich höher liegt.

„2020 war das bisher schlimmste Jahr. Die Aggressionen gegen Umweltschützer und Menschenrechtsaktivisten haben stark zugenommen“, sagte Lourdes Castro von der kolumbianischen Nichtregierungsorganisation Somos Defensores: „Am häufigsten geraten Indigene ins Visier, die ihre angestammten Ländereien verteidigen.“ 2019 kamen 212 Menschen aus dem Umweltschutz weltweit ums Leben.

Meiste Morde in Forstwirtschaft

Hinter den Gewalttaten stecken meist Unternehmen, die Landwirtschaft und teilweise auch staatliche Akteure sowie kriminelle Banden, paramilitärische Gruppen und Aufständische. Weltweit standen die meisten Morde im Zusammenhang mit der Forstwirtschaft, gefolgt von Wasser- und Dammbauprojekten und der Landwirtschaft, wie aus dem Bericht von Global Witness hervorgeht.

Menschen gehen hinter dem Sarg des Umweltaktivisten Homero Gomez in Michoacan
Reuters/Alan Ortega
Trauerzug für einen Umweltaktivisten in Mexiko

„Solange die Regierungen den Schutz der Umweltaktivisten nicht ernst nehmen und die Unternehmen nicht anfangen, die Menschen und den Planeten vor den Profit zu stellen, werden sowohl der Klimazusammenbruch als auch die Morde weitergehen“, sagte Chris Madden von Global Witness: „Jene, die im Kampf gegen die Klimakrise ihr Leben riskieren, um die Wälder, Flüsse und Ökosysteme zu retten, tragen eine schwere Last. Das muss aufhören.“

In einem Artikel für „Politico“ wies NGO-Geschäftsführer Mike Davis darauf hin, dass mindestens ein Drittel der Morde mit Industrieaktivität in Verbindung stehen. Die Erzeugnisse bedienen oft westliche Märkte. Er rief die EU-Kommission dazu auf, die Konzerne etwa durch ein strenges Lieferkettengesetz in die Verantwortung zu nehmen.

Vor Haus erschossen

Die NGO schilderte mehrere konkrete Taten. So wurde etwa im September im Norden von Mexiko der indigene Aktivist Oscar Eyraud Adams vor seinem Haus von Unbekannten erschossen. Der Sprecher des Volkes der Kumiai hatte zuvor gegen den Wassermangel in Tecate im Bundesstaat Baja California protestiert. Mexiko leidet derzeit unter der schlimmsten Dürre seit drei Jahrzehnten.

Er warf der staatlichen Wasserbehörde Conagua vor, der Brauerei Heineken die Nutzung von Brunnen erlaubt zu haben, ohne die indigene Bevölkerung zu konsultieren, und dieser gleichzeitig den Zugang zu beschränken. Die Bürgerkommission für Menschenrechte macht Conagua und Heineken für den Mord an Adams mitverantwortlich. „Die Regierung nimmt das Problem nicht ernst. Viele der Gewalttaten bleiben deshalb ungesühnt“, klagte Luz Coral Hernandez vom Mexikanischen Zentrum für Umweltrecht (CEMDA).

Starker Anstieg in Afrika

Umgerechnet auf die Einwohnerzahl war das gefährlichste Land für Umweltschützerinnen und Umweltschützer Nicaragua mit zwölf Morden, gefolgt von Honduras und Kolumbien. In Afrika stieg die Zahl der Morde von sieben im Jahr 2019 auf 18 im vergangenen Jahr extrem. Allein in der Demokratischen Republik (DR) Kongo wurden zwölf Ranger und ein Fahrer bei der Attacke einer Miliz im Virunga-Nationalpark getötet. Dort werden unter anderem die vom Aussterben bedrohten Berggorillas geschützt.

Auch andere Formen von Druck

Neben Gewalttaten und Morden haben auch Bedrohungen, Verleumdungskampagnen und juristische Verfahren gegen Umweltschützer zugenommen. Nach Einschätzung des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) werden Aktivisten immer häufiger im Internet ausgespäht und bedroht. „Unterdrückung, Einschüchterung und offene Überwachung können die Motivation der Aktivisten und ihre psychische Gesundheit stark beeinträchtigen“, heißt es in einem Bericht von SIPRI.

Fachleute sind sich einig, dass gerade angesichts des Klimawandels dem konsequenten Schutz der Natur und dem Erhalt der Ökosysteme eine globale Bedeutung zukommt. Deshalb fordern sie einen besseren Schutz der Aktivisten. „Um die Lage der Umweltschützer und Indigenen zu verbessern, müssen wir die weit verbreitete Straflosigkeit beenden“, forderte die Anwältin Hernandez von der mexikanischen Organisation CEMDA. „Die Regierung muss die Gewalttaten ernst nehmen und die Täter konsequent verfolgen.“

Nach Einschätzung von Castro tragen auch Unternehmen und Konsumenten in Europa zumindest eine Mitverantwortung für die Gewalt gegen Umweltschützer. „Firmen und Kunden sollten sich bewusst machen, dass Bergbau, Landwirtschaft und Abholzung in Lateinamerika oft mit Gewalt einhergehen“, sagte die Aktivistin von Somos Defensores.