Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom bei einer Wahlkampfrede
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„Total Recall“ in Kalifornien?

Tag der Wahrheit für Gouverneur Newsom

Im US-Bundesstaat Kalifornien sind am Dienstag rund 22 Millionen Wahlberechtigte aufgerufen, darüber zu entscheiden, ob der demokratische Gouverneur Gavin Newsom weiter im Amt bleiben darf. Umfragen zufolge erscheinen die Chancen für die insgesamt 46 Gegenkandidaten und -kandidatinnen, den Job zu übernehmen, zwar gering. Arnold Schwarzenegger machte es 2003 – wenn auch als bisher Einziger – vor, wie ein Republikaner mittels Recall in der Demokraten-Hochburg Kalifornien zum Gouverneur gewählt werden kann.

Hinter der gegen Newsom laufenden Abberufungswahl steht allen voran dessen von den Republikanern scharf kritisierte Coronavirus-Politik – und wohl nicht zuletzt der Besuch im Edelrestaurant „French Laundry“ in der Weinregion Napa Valley am 6. November des Vorjahres. Die für einen Recall notwendigen Unterschriften „schossen hoch, als Newsom einen strikten Lockdown anordnete, selber aber mit Freunden ein teures Restaurant besuchte“, wie der Politologe Dan Schnur von der University of California gegenüber der dpa dazu sagte.

Die in Kalifornien für einen Recall notwendigen Unterschriften von zwölf Prozent der Wählerschaft sind seit dem Frühjahr erreicht – seitdem befindet sich der bevölkerungsreichste Bundesstaat der USA im Wahlkampf, in dessen Zentrum auf demokratischer Seite die Mobilisierung der Wählerinnen und Wähler steht. Denn Newsom wurde zwar 2018 bei einem Erdrutschsieg mit 62 Prozent zum Gouverneur des überwiegend linksliberal gesinnten Kalifornien gewählt und genießt nach wie vor hohe Zustimmungswerte. Doch während konservative Wähler besonders motiviert sein dürften, zur Wahl zu gehen, könnten Anhänger der Demokraten sich in falscher Sicherheit wiegen und fernbleiben.

US-Vizepräsidentin Kamala Harris unterstützt Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom
AP/Noah Berger
Newsom setzte im Wahlkampf auf prominente Unterstützung – unter anderen auf die aus Kalifornien stammende US-Vizepräsidentin Kamala Harris

„Das ist lächerlich“

Sollte Newsom mit einer noch so knappen Mehrheit tatsächlich abberufen werden, dann wird der Kandidat mit den meisten Stimmen sein Nachfolger, eine absolute Mehrheit ist dafür nicht nötig. Denkbar ist also der bizarre Fall, dass Newsom seinen Posten räumen muss, obwohl er zahlenmäßig viel mehr Befürworter hinter sich hat als sein Nachfolger.

„Es ist für einen Republikaner nahezu unmöglich, eine reguläre Gouverneurswahl in Kalifornien zu gewinnen“, sagte dazu Jim Newton von der University of California in Los Angeles. Der Recall biete den Konservativen aber einen alternativen Weg in den Gouverneurspalast: „Es besteht die Möglichkeit, dass 49 Prozent der Kalifornier für Gavin Newsom stimmen, er aber jemandem unterliegt, der 18 oder 19 Prozent bekommt“ – was Newton dann auch als schlichtweg „lächerlich“ kritisierte.

„Das Recall-System ist eindeutig antiquiert“, sagte auch der deutsche USA-Experte Adrian Daub von der kalifornischen Eliteuniversität Stanford. „Es war einfach für ein so offen undemokratisches, ja antidemokratisches Projekt nicht konzipiert.“ Newsom muss deswegen die Basis mobilisieren, will er sich im Amt halten. Unterstützung kommt von höchster Stelle: Neben etlichen demokratischen Senatoren und einem Heimatbesuch der aus Oakland stammenden Vizepräsidentin Kamala Harris reiste am Montag auch US-Präsident Joe Biden nach Kalifornien, um seinen Parteifreund zu unterstützen.

„Sehr gefährlich“

Geht es nach Schwarzenegger und damit dem bisher einzigen in der Geschichte Kaliforniens, der ein Gouverneursrennen in einer Abberufungswahl gewonnen hat, sei die Lage für das Newsom-Lager durchaus „sehr gefährlich“. „Es gibt Millionen von Menschen da draußen, die unzufrieden sind, unzufrieden mit der Art und Weise, wie Corona gehandhabt wurde, unzufrieden mit den Bränden“, so Schwarzenegger, der in einem auf „Total Recall“ und damit den Namen eines seiner Filme getauften CNN-Podcast zum Schluss kommt: „Die Atmosphäre ist genau die gleiche wie damals, als ich kandidierte.“

Schwarzenegger war am 7. Oktober 2003 einer von mehr als 130 Kandidaten und Kandidatinnen der damaligen Abberufungswahl und löste in Folge den damaligen demokratischen Gouverneur Gray Davis ab, dem seine Gegner unter anderem „grobes Missmanagement“ im Zusammenhang mit der kalifornischen Stromkrise vorwarfen. 1999 verfehlte ein gegen Davis eingeleitetes Recall-Verfahren noch die dafür notwendigen Unterschriften. US-weit war zuvor 1921 nur der Recall von North Dakotas Gouverneur Lynn Frazier erfolgreich.

Der heute 78-Jährige Davis sei der vielleicht einzige Mensch auf der Welt, der versteht, was Newsom gerade durchmacht, hieß es in „Politico“. Davis bezeichnete das Recall-Verfahren dann auch als „russisches Roulette“. 2021 sei aber nicht 2003, so Davis, der gegenüber „Politico“ nicht zuletzt auf den Hollywood-Promifaktor seines damaligen Herausforderers anspielte: „Schwarzenegger war im Jahr 2003 ein Megastar“ und hatte vor seinem „Last-Minute-Sprung“ in die Politik monatelang einen weltweiten Wahlkampf für „Terminator III“ gemacht.

Elder führt bei Gegenkandidaten

Laut CNN seien sich Newsoms Berater aber auch einig, dass die Wut innerhalb von Kaliforniens Bevölkerung heute genauso groß oder sogar noch größer sei als 2003. Allerdings sei diesmal ein erzkonservativer Anhänger von Ex-Präsident Donald Trump, der sich gegen Abtreibung und für die Todesstrafe starkmacht, und nicht ein Gemäßigter wie Schwarzenegger der führende Republikaner, womit die Folgen einer Abberufung diesmal wohl weit folgenschwerer wären.

US-Republikaner Larry Elder
Reuters/Mike Blake
Trump-Anhänger Elder führt Umfragen zufolge das Feld der 46 Gegenkandidatinnen und -kandidaten an

Es gehe „um Leben und Tod“, sagte Newsom jüngst bei einem Wahlkampfauftritt als Kampfansage an Radiomoderator Larry Elder, der Umfragen zufolge das bunte Feld der Newsom-Herausforderer klar anführt und im Falle eines Wahlsieges etwa die in Kalifornien derzeit geltenden Coronavirus-Maßnahmen zurückdrehen will.

Als Republikaner treten neben Elder auch der frühere Bürgermeister von San Diego, Kevin Faulconer, und der Geschäftsmann John Cox an. „Bei oder über“ fünf Prozent liegen laut „Los Angeles Times“ zudem noch Reality-Star und Transgender-Aktivistin Caitlyn Jenner vom Kardashian-Jenner-Clan und der 36-jährige kalifornische Kongressabgeordnete Kevin Kiley. Zu einer Handvoll demokratischer Bewerber gehören die Cannabislobbyistin Jackie McGowan und der 29-jährige Jungunternehmer und YouTube-Star Kevin Paffrath.

Reguläre Wahl im November 2022

Umfragen zufolge gibt es seit Wochen eine klare Mehrheit gegen eine Absetzung. Die durchschnittlichen Umfrageergebnissen seit dem 14. Juli zur Frage, ob Newsom im Amt bleiben oder abgesetzt werden soll, liegen bei 56,2 zu 41,6 Prozent, heißt es dazu etwa beim US-Portal FiveThirtyEight.

Was im Gegensatz zu 2003 fehle, sei aus Sicht des Politologen Schnur ein starker, charismatischer Bewerber, der auch parteilose Wähler überzeugen könnte. Zudem hätte es ein konservativer Republikaner wie Elder im demokratisch regierten Kalifornien wohl sehr schwer, Gesetzesänderungen durchzusetzen. Schließlich steht im November 2022 schon die nächste reguläre Gouverneurswahl an, bei der kaum mit einem Republikaner-Sieg zu rechnen wäre.

Ex-US-Präsident George Bush mit abgesetzten Gouverneur Gray Davis sowie seinem Nachfolger Ex-Gouverneur Arnold Schwarzenegger
Reuters/John Gibbins
Schwarzenegger, der damalige republikanische US-Präsident George W. Bush und der als Gouverneur von Kalifornien abberufene Demokrat Davis (v. l. n. r.) im November 2003

Gleichzeitig attestiert der Politologe Newsom aber auch eine „extrem riskante“ Wahlkampftaktik. Der Demokrat hatte prominente Parteikollegen aufgefordert, nicht zu kandidieren, um Konkurrenz in den eigenen Reihen auszuschalten. Die Wähler sollen einfach nur mit einer Nein-Stimme den Recall abschmettern und keinen der 46 Kandidaten wählen. So weit der Plan – geht dieser nicht auf, sei es allerdings „sehr leicht“, dass die Republikaner zum zweiten Mal in Kalifornien einen Gouverneursrecall gewinnen.