Leeres Klassenzimmer
ORF.at/Zita Klimek
Hunderte leere Klassen

Match um Quarantäneregeln in Schulen

Mehr als holprig hat das neue Schuljahr begonnen. Probleme beim Testen und Hunderte Schulklassen, die in Quarantäne geschickt wurden, stellen Schüler wie Eltern vor große Herausforderungen. Die Opposition spricht von „Chaos“. Allein in Wien sind über 340 Klassen wegen zumindest eines positiven CoV-Falls in Quarantäne. Das Gesundheitsministerium will noch am Dienstag neue Regeln vorstellen.

Fix dürfte sein, dass sich Schüler und Schülerinnen nach dem fünften Tag freitesten können – nicht erst am Tag zehn. Verhandelt wird aber noch, ob, wie ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann nach dem deutschen Modell wollte, nur unmittelbare Sitznachbarn zu einem erkrankten Schüler in Quarantäne müssen. Aus dem Gesundheitsministerium hieß es, dass aufgrund unterschiedlicher Szenarien beim Unterricht eine Generalregel nicht möglich sei. Die Gesundheitsbehörden sollen weiterhin nach den jeweiligen Gegebenheiten entscheiden können.

Das Gesundheitsministerium will auch geimpfte Schüler und die CT-Werte der PCR-Tests, die Auskunft über die Infektiosität geben, berücksichtigt wissen. Derzeit sehen die Vorgaben des Gesundheitsministeriums vor, dass Schüler unter zehn Jahre bei nur einem CoV-Fall weiterhin in die Schule gehen dürfen. Bei älteren ungeimpften Schülern gilt wie bei Erwachsenen: Wer mehr als 15 Minuten in weniger als zwei Meter Abstand mit einem Infizierten verbringt, gilt als K1 und muss in Quarantäne.

Schulkind beim CoV-Test
APA/Hans Punz
Derzeit müssen sich Schüler und Schülerinnen dreimal pro Woche testen

Strenge Regeln in Wien

Die Länder gehen unterschiedlich mit CoV-Fällen in der Schule um. Wien handhabt die Quarantäneregeln schon jetzt strenger. Auch Volksschüler mit einem CoV-Fall in der Klasse werden für 14 Tage in Quarantäne geschickt, mit Freitesten ab dem zehnten Tag. Diese Regelung überraschte viele. Public-Health-Experte Hans-Peter Hutter kann diese Entscheidung nachvollziehen, da Modellrechnungen zeigen, dass auch mehr Kinder aufgrund von Covid-19 auf Intensivstationen landen können. Zugleich zeigen Studien aber auch, dass Kinder seltener schwer erkranken – mehr dazu science.ORF.at.

Hutter kritisierte, dass die Entscheidungen oft „sehr eindimensional betrachtet“ würden: „Ich freue mich, wenn alle anderen Maßnahmen im Vorfeld mehr strapaziert werden würden als bisher.“ Als Beispiele nannte der Experte Luftreinigungsanlagen und das Tragen von Masken, um Maßnahmen wie Quarantänen entschärfen zu können. Mit Stand Montagabend waren 341 Klassen und 71 Kindergarten- und Hortgruppen in Wien gesperrt. Ein Team von Amtsärzten entscheide auf Basis der Meldung der Schulen, ob eine Quarantäne verhängt wird oder nicht, sagte Ursula Karnthaler, Covid-19-Projektleiterin bei der Wiener Gesundheitsbehörde (MA15).

Maske, Impfung, Genesung als Kriterien

Ob ein Schüler genesen oder geimpft sei, ob Masken getragen wurden und auch ob eine Infektion frühzeitig durch PCR-Test mit einer niedrigen Infektiosität erkannt worden sei, seien Faktoren, die bei der Entscheidung herangezogen werden. „Je jünger die Kinder sind, desto schwieriger ist es auszumachen, wer in ihrer näheren Umgebung war“, argumentierte Karnthaler für die Schließung von ganzen Volksschulklassen und Kindergartengruppen. Sollte ein Erlass des Gesundheitsministeriums mit einer geänderten Quarantänedauer und anderen Kontaktpersonenregeln kommen, sei der auch in Wien umzusetzen, so Karnthaler. Das brauche aber auch Begleitmaßnahmen wie Schutzmasken und regelmäßige Tests.

In Niederösterreich gab es in der ersten Schulwoche fast 190 positive PCR-Tests an Schulen, 80 Klassen wurden bisher in Quarantäne geschickt. Gegenüber ORF.at hieß es aus Niederösterreich, dass die Gesundheitsbehörde selbst keine Klassen schließe, sondern positive Fälle „als auch Personen im Zuge der Kontaktpersonennachverfolgung abgesondert“ würden. Über Klassenschließungen entscheiden die Bezirksverwaltungsbehörden. In Tirol werde „von Fall zu Fall“ entschieden, hieß es von Elmar Rizzoli vom Tiroler CoV-Einsatzstab. Zahlen zu Schließungen von Klassen gibt es dort noch nicht.

Neue Quarantäneregeln für Schulen

Die Quarantäneregeln an den Schulen sorgen für Chaos. Nun sollen sich Schulkinder bereits nach fünf Tagen aus der Quarantäne freitesten können. Zudem sollen bei einem CoV-Fall in der Klasse nur noch die unmittelbaren Sitznachbarn des betroffenen Kindes in Quarantäne geschickt werden.

„Wissenschaftlich nicht begründbar“

Experten und Expertinnen stehen dem Freitesten nach fünf Tagen offen gegenüber. Skeptischer zeigen sie sich gegenüber der möglichen Beschränkung der Quarantäneregel auf den unmittelbaren Sitznachbarn, da die Delta-Variante um vieles übertragbarer sei, so die Epidemiologin Eva Schernhammer von der Medizinischen Universität Wien gegenüber ORF.at. Sie plädierte daher auch dafür, „sicherheitshalber“ die ganze Klasse abzusondern. Sie hält aber wie auch die Virologin Dorothee von Laer eine fünftägige Quarantäne mit negativem PCR-Test für ausreichend, da die Delta-Variante eine kürzere Inkubationszeit von drei bis fünf Tagen habe.

Ausmaß unterschätzt

Für die Schüler und damit auch für betreuungspflichtige Eltern würde die bundesweite Regelung zumindest eine Halbierung der Quarantänezeit bedeuten. Derzeit müssen Schüler und Schülerinnen mindestens zehn Tage – bis zum Freitesten – zu Hause bleiben und dürfen im Fall von getrennt lebenden Eltern auch nicht den Ort der Quarantäne wechseln, wie das Gesundheitsministerium gegenüber ORF.at spezifizierte.

Das Ausmaß der geschlossenen Klassen und Hortgruppen und die Konsequenzen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer wurden offenbar unterschätzt. SPÖ und NEOS kritisierten das „Quarantäne-Chaos“ und warfen der Regierung vor, „den Sommer verschlafen“ zu haben. Noch Ende August hieß es von einem Sprecher von ÖVP-Arbeitsminister Martin Kocher gegenüber dem „Standard“, dass eine Verlängerung der Sonderbetreuungszeit nicht angedacht sei. Denn aufgrund der CoV-Maßnahmen wie Impfungen und Präventionskonzepte an Schulen sei der Bedarf an Sonderbetreuungszeit zurückgegangen.

Sonderbetreuungszeit ab Oktober

Wenige Tage geöffnete Schulen haben nun das Gegenteil bewiesen. Innerhalb kurzer Zeit waren wieder Homeschooling und dafür verfügbare Eltern gefragt. Das Arbeitsministerium schwenkte um, eine erneute Sonderbetreuungszeit von insgesamt drei Wochen wurde in Aussicht gestellt. Diese soll am 1. Oktober in Kraft treten und bis Ende Dezember gelten. Arbeitgeber erhalten 100 Prozent der Entgeltkosten ersetzt.

Die Verspätung bei der Sonderbetreuungszeit erklärte Kocher am Dienstag damit, dass man erst die Quarantäneregeln in den Schulen abgewartet habe. Nun brauche es noch den Beschluss der Sonderbetreuung im Nationalrat.

Anspruch auf Entgeltfortzahlung

Gewerkschaft und Arbeiterkammer hatten auf die Verlängerung dieser Regelung gepocht. Über das Angestelltengesetz sowie nach dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) für Arbeiter haben Eltern aber auch ohne diese Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Das Gesetz legt diesen fest, „wenn er durch andere wichtige, seine Person betreffende Gründe ohne sein Verschulden (..) an der Leistung seiner Dienste verhindert wird“. Dazu zählt auch die Obsorge für ein Kind, das in Quarantäne geschickt wurde, erklärte Arbeitsrechtsexperte Martin Gruber-Risak von der Universität Wien im ORF.at-Interview.

Das sei je nach Anlassfall, also auch für mehrere Kinder und wiederholt möglich, wenn sich niemand anderer um das Kind kümmern kann. Die Dauer ist nicht explizit festgelegt. Das Gesetz spricht von einer „verhältnismäßig kurzen Zeit“. Mit dieser Regelung könne der Arbeitnehmer maximal zehn bis 14 Tage von der Arbeit fernbleiben. Das Entgelt zahlt weiterhin der Arbeitgeber.

Urlaub und Pflegefreistellung keine Option

Erst am Dienstag forderte die AK Niederösterreich, die Sonderbetreuungszeit rückwirkend geltend zu machen – mehr dazu in noe.ORF.at. Denn viele betroffene Eltern würden nun Urlaub oder Pflegefreistellung in Anspruch nehmen, kritisierte die AK. Der Anspruch auf Freistellung werde in der Praxis von Arbeitgebern meistens hinterfragt, es liege im Ermessen der Betroffenen, ob sie einen Konflikt mit dem Arbeitgeber in Kauf nehmen wollen, hieß es von der AK im Ö1-Mittagsjournal.

Auch Gruber-Risak ist überzeugt: „Alles, was den Druck vom Arbeitgeber nimmt, nimmt man als Arbeitnehmer auch leichter in Anspruch.“ Der Arbeitsrechtsexperte stellte aber auch klar: Für die Betreuung eines Kindes in Quarantäne könne kein Urlaub oder Pflegefreistellung genommen werden. Pflegefreistellung ist im Urlaubsgesetz verankert und nur bei erkrankten Kindern möglich.

Kein Nacharbeiten notwendig

Ausgeschlossen sei auch, dass man bei eingeteilter Arbeitszeit nacharbeiten müsse, sagte Gruber-Risak. Eine Teilzeitkraft, die vormittags arbeitet und ihr gesundes Kind in Quarantäne beaufsichtigt, könne nicht dazu gezwungen werden, die Arbeit am Abend nachzuholen. Wenn im Homeoffice gearbeitet werden kann, sei das Vereinbarungssache zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Gruber-Risak: „Wenn es eine aufrechte Homeoffice-Vereinbarung gibt, muss man mitziehen, wenn die Arbeit mit der Kinderbetreuung kompatibel ist.“