Gegen Amazons Imperium

Später Weckruf für den Onlinehandel

Seit gut zwei Jahrzehnten ist der Onlinehandel hierzulande praktisch gleichbedeutend mit Amazon. Für viele ist das US-Versandhaus die erste Anlaufstelle, mittlerweile betreibt es ein kleines Imperium: Nach Wien und Umgebung sorgt aktuell ein geplantes Lager bei Graz für Debatten. Ausgerechnet die Pandemie war für die heimische Konkurrenz ein Weckruf, die Suche nach einem funktionierenden Konkurrenzkonzept ist aber schwierig.

Während der US-Konzern von Jeff Bezos schon seit dem Jahr 2000 ein eigenes Österreich-Angebot hat, hat das Versandhaus vor allem in den vergangenen Jahren noch an Tempo zugelegt. 2018 wurde das erste Verteilzentrum in Niederösterreich gebaut, 2020 folgte eines im Süden Wiens. Das nächste Amazon-Lager soll im Süden von Graz gebaut werden.

Eine Woche vor der dortigen Gemeinderatswahl schlägt das Projekt immer noch politische Wellen – es könnte eine Belastung für den Verkehr und umliegende Anrainerinnen und Anrainer werden, eine Umweltverträglichkeitsprüfung sei aber nicht nötig, hieß es zuletzt im Juli. Vor Kurzem hat die Stadt offiziell Beschwerde gegen diese Entscheidung eingelegt. Doch bei aller Kritik: Der Bedarf ist offenbar gegeben, wie auch der Grazer Stadtchef Siegfried Nagl (ÖVP) sagte.

Großer Partner und große Konkurrenz für Post

Der US-Händler baut mit derartigen Großprojekten eine großteils eigenständige Logistik auf: In Wien setzt Amazon auf kleine Lieferdienste, mit dem Ergebnis, dass Pakete oft innerhalb von 24 Stunden ausgeliefert werden können – und damit schneller als bei praktisch allen anderen Onlinehändlern im Land. Gleichzeitig ist Amazon vor allem außerhalb dieser Gegenden noch immer auf die Österreichische Post angewiesen – und ist so praktisch großer Partner und Konkurrent zugleich.

Postauto in St. Pölten
ORF.at/Christian Öser
Amazon setzt auf eigene Lieferanten – doch auch die Post spielt noch immer eine wichtige Rolle bei der Auslieferung

Die Marktmacht hierzulande bestätigt auch eine Umfrage der Wirtschaftskammer von dieser Woche: Für sieben von zehn Befragten ist Amazon die erste Anlaufstelle im Onlinehandel. Rund 15 Prozent haben überhaupt noch nie bei einem österreichischen Anbieter online gekauft, heißt es darin weiter.

In der Pandemie konnte der US-Konzern damit aus dem Vollen schöpfen: Gemeinsam mit anderen ausländischen Versandhäusern, darunter Größen wie Zalando, lag der Umsatz 2020 bei 4,4 Mrd. Euro, wie das Finanzministerium im Frühling mitteilte. Im Vergleich dazu lag der Erlös heimischer Onlinehändler bei nur 1,3 Mrd. Euro – wenngleich beide in der Krise Zugewinne verzeichnen konnten.

Amazon und Co. „Jahrzehnte voraus“

Die Pandemie war damit ein später Weckruf. Wolfgang Zeglovits, Digitalanthropologe und Leiter der Agentur Datenwerk, sieht im Gespräch mit dem ORF vor allem ein Versäumnis der vergangenen Jahre: „Wir haben einfach lange zugeschaut, wie sich Jeff Bezos einen Geschäftsbereich nach dem anderen bei Amazon aufgebaut hat.“ In mancher Hinsicht seien internationale Onlinehändler „tatsächlich schon Jahrzehnte voraus“, so Zeglovits.

Der österreichische Handelsverband, der den US-Händler naturgemäß kritisch sieht, bezeichnet Amazon dennoch als „Benchmark“ – Amazon sei „nicht sexy, aber kompromisslos kundenorientiert“, heißt es gegenüber ORF.at. „Der moderne Konsument will das hochwertigste Produkt zum günstigsten Preis und am besten schon gestern geliefert.“ Amazon habe „diese Erwartungshaltung jahrelang befeuert und daraus ein kundenorientiertes Geschäftsmodell entwickelt“, so der Handelsverband.

Gescheiterte Aufholjagd mit Kaufhaus Österreich

Versuche, gegen den US-Riesen aufzuholen, gab es einige – der wohl prominenteste der vergangenen Jahre ist Kaufhaus Österreich. Eigentlich hätte die vom Wirtschaftsministerium aufgestellte Plattform in der Pandemie den heimischen Handel befeuern sollen – doch statt Amazon-Konkurrenz stellte sich Kaufhaus Österreich als kaum mehr als eine digitale Version der Gelben Seiten heraus. Die Kritik im Netz und in der heimischen Politik war scharf – mittlerweile richtet sich die Plattform nicht mehr an Konsumentinnen und Konsumenten, sondern dient als Digitalisierungsratgeber für Unternehmen.

Wo Österreich im Internet aufrüsten muss

Österreich hinkt bei der Digitalisierung immer noch hinterher. Gerade die CoV-Krise hat aufgezeigt, wo die Schwachstellen liegen.

Regionalität und Erreichbarkeit als Vorteil

Doch was hilft gegen die Marktmacht von Amazon? Angesichts der Größe des Konzerns dürfte es praktisch ausgeschlossen sein, dass in naher Zukunft ein einzelner Anbieter zu dem US-Händler aufschließt. Stattdessen wird es wohl nötig sein, Alleinstellungsmerkmale der heimischen Anbieter zu finden.

Im Handelsverband sieht man etwa einen Trend hin zu „Faktoren wie Nachhaltigkeit, Qualität und Regionalität“. Und auch die Erreichbarkeit spiele eine Rolle: „Die sofortige Erreichbarkeit ist ein großes Alleinstellungsmerkmal der österreichischen Webshops, wie sich insbesondere in der Pandemie gezeigt hat.“

„Simple Tools, die funktionieren“

Regionalität gilt auch für das Preisvergleichsportal Geizhals in Wien als entscheidender Faktor. Geizhals-Sprecher Michael Nikolajuk sagte im Gespräch mit dem ORF, mittels Kaufhaus Österreich den „heimischen Handel zu stärken, war eine gute Idee“ – doch: „Die Umsetzung war eher schlecht.“ Er verstehe nicht, warum nicht mehr auf „Best Practices im In- und Ausland“ geschaut wurde, „wo man es viel besser geschafft hat, Regionalität zu fördern, um den heimischen Handel zu fördern, weil das war ja die Zielsetzung.“

Dabei gebe es „simple Tools, die funktionieren“ – er verweist hier etwa auf die bei Geizhals eingesetzte Postleitzahlensuche, die nur Händler in der unmittelbaren Nähe zeigt. Damit könne man regionale Händler unterstützen, so Nikolajuk. Und: Der Fokus liegt nicht nur auf der Zustellung, sondern oft werden auch Abholmöglichkeiten geboten, bei denen sich kleinere Händler durchaus gegen die großen Anbieter durchsetzen können. Diese „Omnichannel-Strategie“, also der Verkauf über verschiedene Kanäle, kann zum Unterscheidungsmerkmal von regionalen Händlern im Vergleich zu reinen Onlineanbietern wie Amazon werden.

Handel sieht auch Politik gefordert

Freilich fußt Amazons Dominanz nicht allein auf technischen Details – seit Jahren ist auch die Besteuerung des Konzerns ein viel diskutiertes Thema. Eine Digitalsteuer, die Konzerne wie Amazon dazu zwingt, Steuern in dem Land abzuführen, in dem die Gewinne erzielt werden, wurde schon vor Längerem aufs Tapet gebracht. Der Handelsverband sieht bisher einen Nachteil für österreichische Händler, die „unzählige Zwangsabgaben, Gebühren und hohe Lohnnebenkosten stemmen“ müssten – und fordert eine „faire Besteuerung aller Marktteilnehmer“.

Für den Preisvergleichsdienst Geizhals ist unterdessen Transparenz ein großes Thema – der Onlinehandel schaffe diese, was aber auch zu Skepsis in mancher Branche führen könnte, so Nikolajuk. Er sieht die Aufgabe der Politik darin, „Transparenz im E-Commerce-Bereich zu schaffen – und keine Ängste zu schüren“.

Kein Amazon-Konkurrent in Sicht

Ein Amazon-Konkurrent ist momentan nicht in Sicht – kleinere Händler haben, mit steigender Bedeutung der Regionalität, dennoch eine Chance, online zu überleben. Einig sind sich alle Marktteilnehmer, dass die Pandemie den Onlinehandel hierzulande befeuert hat – und wohl auch weiter ankurbeln wird, selbst über das Ende sämtlicher Maßnahmen hinaus. Das wird zweifellos auch Amazon in die Karten spielen.

Doch die vergangenen 18 Monate haben das Bewusstsein für den Onlinehandel bei vielen kleineren Unternehmen überhaupt erst geschärft – und ihnen damit Chancen, mitzuspielen, eröffnet. Die Pandemie habe das Bereitstellen von Onlinevertriebskanälen jedenfalls „im positiven Sinne beschleunigt“, so Nikolajuk.