Szene aus Der Apotheker
JR/Herbstgold
Herbstgold-Festival

Das Spiel mit den Überraschungen

Wenn es Boutique-Hotels gibt, die im kleinen Rahmen das Große versprechen, dann soll es dieses Prinzip nun auch im Bereich des Kunstfestivals geben. Der international renommierte Geiger Julian Rachlin, seit heuer Chef des ohnedies jungen Herbstgold-Festivals in Eisenstadt will das führende Boutique-Festival machen. Auf diesem wird nicht eingekauft, sondern man zelebriert das Moment der Überraschungen. Und man will zum Mekka des Kammerkonzerts werden, darüber auch die eine oder andere Oper streuen, wie Haydns „Apotheker“.

Seit 2017 hat das Burgenland ein neues Musikfestivals, das auf den verführerischen wie zugleich wenig konkreten Namen Herbstgold hört. Nicht alles, was funkelt, ist Gold – das weiß auch der neue Leiter Rachlin. Doch ohne Funkeln und Feuer ist alle große Kunst nichts, so das Credo des international gefragten Geigers, der bekanntermaßen im Netzwerken immer schon in der Königsklasse zu Hause ist. Wer sich ein Festival mit Rachlin bestellt, bekommt zunächst, richtig: Rachlin. Er bekommt aber zugleich das Versprechen, dass der Weltbürger mit dem Wohnsitz Wien die Welt hinholt, egal wo das Festival verortet sein mag. Zuletzt schaffte er das jedenfalls in Dubrovnik, wo sich auch Stars abseits des Klassikgeschäfts im Zuschnitt eines John Malkovich die Klinke in die Hand gaben.

Haydnsaal im Schloss Esterházy
Josef Siffert
Intimität trifft Opulenz: Die Spielorte des Herbstgold-Festivals sind speziell

Für Eisenstadt und den Spielort Schloss Esterhazy gibt es ein besonderes Versprechen: vom kompakten Spielort große Strahlkraft zu entwickeln – und die historischen Säle des Schlosses, die ja schon einen Joseph Haydn beherbergt haben, zur Herzkammer der Spielfreude zu machen. Das Kammerkonzert, speziell Quartett und Trio, soll im Mittelpunkt stehen und dem breiteren Publikum ohne alle Scheu und Hürden vorführen, dass die größte Klassik ihren Ursprung in dem sehr direkten Zusammenspiel in der kompaktesten aller Formen hat.

Herbstgold im Zeichen der Methamorphosen

Zum fünften Mal findet im Schloss Esterhazy heuer das Festival Herbstgold statt, erstmals unter der künstlerischen Leitung des Geigers und Dirigenten Julian Rachlin. Der Auftakt für das Festival ist am Mittwoch.

„Das Quartett ist für mich die Urform der Musik“, erzählt der umtriebige Rachlin im Gespräch mit ORF.at knapp vor Festivalstart. Rachlin möchte seine guten Kontakte in die Musikszene nutzen, um Stars mit der Kammerkonzertszene zu vernetzen. Und Musiker zusammenschweißen, die vielleicht das Albarn-Berg-Quartett von morgen sind. Das bedeutet nicht, dass keine großen Orchester am Start sind. Die Wiener Symphoniker darf man in Eisenstadt ebenso erleben wie etwa das renommierte Mahler Chamber Orchestra.

Doch Rachlin will und kann anders als etwa in Grafenegg nicht den Vergleich der großen Klangkörper in den Vordergrund stellen. Für ihn liegt der Reiz des Festivals in der Intimität des Ortes – und im gegenseitigen Erkennen und Anerkennen der Musiker selbst.

Julian Rachlin, dieses Frühjahr bei Stermann und Grissemann
Hans Leitner / First Look / picturedesk.com
„Was ich nach dem Konzert mache?“ Julian Rachlin erstaunte heuer im Frühjahr nicht nur Christoph Grissemann und Dirk Stermann.

Kalkulation mit dem Unerwarteten

Rachlins Konzept ist der Mix der Persönlichkeiten, die den Charakter der Veranstaltung prägen sollen. „Spielfreude“ ist sein Credo, „Metamorphosen“ das heurige Motto. „Jedes Musikstück“, erzählt Rachlin, „durchläuft an einem Konzertabend eine Reihe von Metamorphosen. Und am Ende steht die Frage, ob es die Emotionen des Publikums erreichen kann.“

Mit dem gar nicht so leicht zu fassenden Prinzip der Verwandlung setzt man zunächst einmal ganz klassisch an. „Der Vater des modernen Quartetts bzw. Kammerkonzertes ist Joseph Haydn“, erzählt er. Haydn, der ja auf Schloss Esterhazy wirkte, habe gerade bei der kammermusikalischen Form fast unbemerkt die Saat für musikalische Revolutionen gesät. „Haydn hat das Streichquartett auf ein neues Niveau gehoben und genau dorthin gebracht, wo Beethoven wenig später ansetzen konnte“, begeistert sich Rachlin und fügt hinzu: Mit Ausnahme von Beethoven seien ja so gut wie alle großen Komponisten am Streichquartett gescheitert. Umso mehr möchte er die jungen Stars der Szene, etwa das Viano String Quartet, in den Vordergrund spielen.

Martin Traxl bei den Proben zum Apotheker
JR/Herbstgold
„Beglückend, wenn der Funke überspringt“: Martin Traxl bei der Probe

Metamorphosen und Rollentausch

Teil der Metamorphosen ist das Konzept des Rollentausches. So dirigiert Daniel Harding etwa die Wiener Symphoniker, obwohl er ja sonst mit den Philharmonikern auf der Bühne oder im Orchestergraben sitzt – und er hat Rachlin am 18. September bei Mendelssohn Bartholdys Violinkonzert in e-moll an seiner Seite. Und ORF-TV-Kulturchef Martin Traxl gibt bei der traditionellen Haydn-Operninszenierung sein Debüt als Opernregisseur und bringt Haydns „Oper buffa“ „Lo speziale"/"Apotheker“ semiszenisch, mit viel Spielfreude und deutlichen Farbakzenten auf die Bühne (Premiere am 18. September).

„Aus reiner Neugierde“, sagt Traxl, habe er sich in diesen Rollenwechsel begeben. „Es geht mir überhaupt nicht darum, etwas zu beweisen nach dem Motto, ich wisse es besser. Ich weiß gar nichts besser. Ja, ich habe viel gesehen und verdanke den Abenden in der Oper unzählige schöne Stunden. Es hat mich gereizt, die Arbeit, die dahintersteckt, noch genauer kennenzulernen“, so Traxl zur Zeitschrift „Bühne“.

Auch wenn man als Journalist immer wieder Einblicke bekomme, sei es doch etwas anderes, einmal ein paar Stunden hinter die Kulissen zu schauen, als 14 Stunden am Stück durchzuproben, so Traxl. Beglückend sei für ihn auch eine Art von Metamorphosenerlebnis, „wenn der Funke überspringt“.

Farblich opulentes Spektakel bei Martin Traxl als Opernregisseur
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Martin Traxl als Opernregisseur. Er liebt es beim „Apotheker“ in durchaus leuchtenden Tönen, wie die Proben zeigen.

Eines der stillen Highlights des Festivals verspricht das „Gipfeltreffen“ der Kammermusik zu werden: Mischa Maisky (Cello), Alexej Volodin (Klavier) und Julian Rachlin (Violine) stürzen sich dann auf die Paarung Pjotr Iljitsch Tschaikowski und Dmitri Schostakowitsch. Zahlreiche weitere Perlen warten im Verlauf der eineinhalb Herbstgold-Wochen. Peter Götzel, legendärer Philharmoniker im Ruhestand, hat die Einladung übernommen, aus Nachwuchstalententen das Streichquartett der Zukunft zu formen und es im Rahmen des Festivals an den Start zu schicken.

Eine „Große Fuge“ zum Finale

Von 15. bis 26. September läuft das Herbstgold-Festival, das an seinem Anfang und Ende schon restlos ausverkauft ist. Am Anfang dirigiert der Leiter des Festivals selbst – am Ende wird Klaus Maria Brandauer die Verbindung zwischen Beethovens „Heiligenstädter Testament“ und dem späten Quartett B-Dur für zwei Violinen, Viola und Violoncello op. 130, genannt auch die „Große Fuge“, zelebrieren. Mit dabei an diesem Abend auch Rachlins Frau, die bekannte kanadische Geigerin Sarah McElravy.

„Wir ziehen jetzt alle nach Eisenstadt“, verabschiedet sich Rachlin vom Vorgespräch. Und ergänzt selbstbewusst. „Gut wird das Festival, weil sich die, die dort auftreten, lieben. Und auch rund um das Festival viel Zeit miteinander verbringen.“ Vielleicht entsteht der Nachwuchs von morgen auch in der Morgenröte des anbrechenden Herbsts.