Strommast im Sonnenuntergang
Getty Images/Jose A. Bernat Bacete
Hohe Strompreise in EU

Klimapolitik zwischen Ursache und Wirkung

Die Energiepreise ziehen derzeit stark an. Ob einer der Gründe auch die ambitionierte Klimapolitik der EU ist, wurde am Dienstag im Parlament in Straßburg debattiert. Auf dem Tapet stand das Klimapaket „Fit for 55“, das stärker auf CO2-Bepreisung setzt. Doch das sei nicht die Ursache für hohe Strompreise, so die EU-Kommission – im Gegenteil. Diese seien gerade ein Hinweis darauf, beim Klima noch einen Zahn zuzulegen.

Der Winter dürfte teuer werden: Derzeit treibt ein Rekordlauf die Energiepreise auf dem Weltmarkt auf Höchststände. In Spanien etwa stiegen die Strompreise laut der Zeitung „El Pais“ im Vergleich zum Vorjahr um fast 35 Prozent. Erste Proteste gab es bereits, beim Treffen der EU-Finanzminister am Wochenende wurde auch schon vor sozialen Unruhen gewarnt. Spaniens linker Regierungschef Pedro Sanchez geriet unter Druck und veranlasste ein Maßnahmenbündel gegen die steigenden Preise.

Auch Griechenland reagiert auf die hohen Preise und bietet der Mehrheit der griechischen Haushalte bis Ende des Jahres Subventionen an, um sie zu entlasten. Der griechische Energieminister Kostas Skrekas sprach von einer „internationalen Energiekrise“. In Italien rechnet man damit, dass die Stromrechnungen ab Oktober gar um 40 Prozent steigen werden. Auch hier versucht die Regierung nun, schnell abzufedern.

CO2-Bepreisung ein Faktor

Für die rasanten Preisanstiege gibt es laut einer Reuters-Analyse etliche Gründe. Die Weltwirtschaft, besonders jene Asiens, erhole sich, die Nachfrage nach Energie steige.

Frans Timmermans
APA/AFP/Julien Warnand
Frans Timmermans

Folglich nehmen die Kosten für Gas, die Hauptquelle für die Stromproduktion, zu. Gleichzeitig gebe es noch zu wenige erneuerbare Energiequellen. Nicht zuletzt der politische Willen zur Erhöhung der europäischen CO2-Emissionszertifikate sei ausschlaggebend. In der EU müssen Unternehmen, die Kohlendioxid produzieren, darunter auch Energieunternehmen, dafür bezahlen, indem sie Emissionszertifikate im Rahmen des EU-Emissionshandelssystems kaufen. Der Preis für diese Zertifikate wird schrittweise erhöht, um die Unternehmen zur Dekarbonisierung zu bewegen. Das führe aber auch zu einem Anstieg der Produktionskosten und damit der Rechnungsbeträge, warnten Fachleute.

Schuld suchen bei der EU

Der Plan, die CO2-Bepreisung voranzutreiben, ist Teil des Klimapakets „Fit for 55“, das die EU-Kommission im Juli vorgestellt hat. Es soll den „Green Deal“ in konkrete Vorhaben, bereit zur Umsetzung, packen und dabei alle Bereiche der Gesellschaft umfassen, vom Wohnen über den Verkehr bis zum Konsum.

Ziel ist es, bis 2030 mindestens 55 Prozent der Emissionen zu reduzieren, bis 2050 will die EU dann klimaneutral sein – also nicht mehr Kohlenstoff in die Atmosphäre blasen, als anderswo aufgenommen wird. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wird am Mittwoch in ihrer „State of the Union“-Rede über das Paket sprechen. Am Dienstag begannen in Straßburg bereits die Beratungen des Europäischen Parlaments darüber.

Europas Emissionshandel hatte bereits in vielen Mitgliedsstaaten Auswirkungen auf die Strompreiserzeugung. In Polen etwa, das rund 70 Prozent seines Stroms aus umweltschädlicher Kohle gewinnt, gehen die CO2-Kosten der großen Energiefirmen in die Hunderten Millionen. Und jedes Jahr steigt die Summe. Polens Premier Mateusz Morawiecki machte auf einer Konferenz vergangenes Wochenende die EU für die hohen Strompreise verantwortlich: „Wir haben hier die sehr teure Klimapolitik der Europäischen Union“, sagte er laut dem Onlinemagazin Politico. Die Menschen würden die Hauptlast dieser Preiserhöhung tragen.

Timmermans: Hohe Preise wegen Abhängigkeit

Eben nicht, kontert die EU-Kommission. Nur ein Fünftel des derzeitigen Preisanstiegs sei auf die CO2-Bepreisung zurückzuführen, sagte am Dienstag Klimakommissar Frans Timmermans im EU-Parlament. „Der Rest ist einfach eine Folge der Knappheit auf dem Markt.“ Die Preise für erneuerbare Energien seien weiterhin niedrig und stabil geblieben, so Timmermans.

Die Preissteigerungen im Energiesektor sollten die europäischen Mitgliedsstaaten gerade dazu veranlassen, den Übergang zu erneuerbaren Energien zu beschleunigen. Wäre dieser Übergang schon früher in Angriff genommen worden, stünde man heute nicht so da, abhängig von fossilen Brennstoffen und Erdgas. „Das Einzige, was wir uns nicht leisten können, ist, dass die soziale Seite der Klimaseite entgegengesetzt wird. Ich sehe diese Bedrohung jetzt sehr deutlich, da wir über die Preiserhöhung im Energiesektor diskutieren“, sagte er.

Soziale Abfederung gefordert

Tatsächlich kam die Sorge vor Unruhen wegen steigender Preise als Folge von „Fit for 55“ sofort nach Präsentation des Pakets auf. Europaweite Proteste wie jene von Frankreichs „Gelbwesten“ wollte man unbedingt vermeiden. Mittels eines Sozialfonds sollen zehn Milliarden Euro pro Jahr in Ausgleichsmaßnahmen fließen. Damit soll nicht nur Ländern wie Polen geholfen werden, sondern zahlreichen Haushalten auf dem ganzen Kontinent. Allen Mitgliedern werde die Möglichkeit gegeben, Maßnahmen zum Schutz ihrer Bürgerinnen und Bürger einzuführen, etwa die Senkung der Mehrwertsteuer oder von Energieabgaben, so die EU-Kommission.

Verwässerung befürchtet

Auf entsprechende Ausgleichsmaßnahmen setzen auch einige der österreichischen Abgeordneten im EU-Parlament. Im Rahmen der Steuersysteme sei das aber Aufgabe der nationalen Regierungen, sagte am Dienstag NEOS-Mandatarin Claudia Gamon in einem Onlinepressegespräch. Hier müsse sich die Entlastung auch niederschlagen. Gamon, SPÖ-Delegationsleiter Andreas Schieder und Thomas Waitz, EU-Abgeordneter der Grünen, drückten die Sorge aus, dass das Paket in den Mühlen der EU-Politik noch stark verwässert werden könnte.

Dafür gebe es schon jetzt Anzeichen aus einigen Mitgliedsstaaten. Diese müssen dem Paket, genau wie das EU-Parlament, erst noch zustimmen. So schnell, wie Timmermans es am Dienstag forderte, wird es nicht gehen. Die Debatten darüber werden wohl mindestens ein Jahr brauchen.