Es ist ein besonderes Vermächtnis, das in Paris dieser Tage Kräne in Bewegung setzt und den geschichtsträchtigen Arc de Triomphe in ganz ungewohnter Weise auf der Place Charles-de-Gaulle aufragen lässt. Denn statt der Figurengruppen „Der Triumph von 1810“, „Widerstand“, „Frieden“ und „La Marseillaise oder Auszug der Freiwilligen von 1792“, Allegorien, aus denen sich mehr an französischem Selbstverständnis herauslesen lässt als aus manchem Geschichtsbuch, sieht man 25.000 Quadratmeter Bahnen aus Polypropylengeflecht und 3.000 Meter rotes Seil das Wahrzeichen verhüllen.
Der so ausstaffierte Triumphbogen ist der letzte Coup des Künstlerehepaars Christo und Jeanne-Claude, das ab den 1960er Jahren mit ihrer „Verhüllungskunst“ im wahrsten Sinne des Wortes Maßstäbe setzte. Zeugt es doch nicht gerade von geringem Anspruch, wenn es sich zwei zur Lebensaufgabe machen, etwa den Deutschen Reichstag (1995) und Paris älteste Brücke, die Pont Neuf (1985) einzuhüllen, 7.503 Metalltore („The Gates)“ mit safrangelben Kunststofffahnen in den New Yorker Central Park zu stellen (2005) und dem Iseosee in der Lombardei („The Floating Piers“) 75.000 Quadratmeter schwimmende Stege hinzuzufügen (2018).
Pariser Vermächtnis
Die Idee zu dem eingewickelten Triumphbogen datiert rund sechzig Jahre zurück, als der junge bulgarische Objektkünstler Christo Wladimirow Jawaschew, der Yves Kleins „Nouveu Realisme“ nahestand, bereits Skizzen zu dem, was man nun sein Vermächtnis nennen kann, anfertigte. Das dokumentiert ein gleichzeitig mit der Fertigstellung erschienener Fotoband, der auch belegt, für wie unwahrscheinlich das Paar die Realisierbarkeit hielt: Über Jahrzehnte bemühten sie sich ungeachtet ihrer weltweiten Megaprojekte gar nicht erst um eine Genehmigung für die Aktion.
Jean-Claude starb 2009, Christo machte alleine weiter und realisierte etwa 2018 noch „The London Mastaba“, eine Installation aus gestapelten Ölfässern in Form einer ägyptischen Mastaba im Hyde Park. Sein letztes Projekt verpasste er knapp: „L’Arc de Triomphe, Wrapped, Project for Paris“ wurde erst im Frühjahr 2020 genehmigt. Es hätte im Herbst des Jahres realisiert werden sollen, wurde aber aufgrund des Todes Christos am 31. Mai 2020 im Alter von 84 Jahren und aufgrund der Beschränkungen der CoV-Pandemie verschoben.
Christos Neffe Vladimir Javacheff hat die Leitung des Projekts seines Onkels übernommen und es nach dem Vorbild einer Meisterwerkstatt ganz nach den Plänen Christos ausgeführt. Man kenne alle Details genau, alles sei zu dessen Lebzeiten entschieden worden, sagte Javacheff dem Radiosender France Inter. Man müsse nur seinen Entwürfen und Skizzen folgen. Wie alle Christo-Projekte ist das aufwendige Werk selbst finanziert und kommt gänzlich ohne Subventionen aus. Die rund 14 Millionen Euro kamen durch den Verkauf von Collagen, Vorzeichnungen, Modellen und Lithografien zusammen.
Verhüllen und Locken
Christo selbst bezeichnete seine vergänglichen Arbeiten 2014 als „total irrational und sinnlos“. Die Zweckfreiheit, mit der der 29 Meter hohe Triumphbogen da mit einem riesigen Metallgerüst eingefasst wurde, 70 Gebäudekletterer seit rund einer Woche Stoffbahnen ausrollten und Seile minutiös dort anbrachten, wo die Skizzen es vorsahen, hat für sich schon einen Reiz. Sie unterläuft jeden üblichen Grund, um für ein Gebäude solchen Aufwand zu betreiben: Verhüllung für Restaurationszwecke zur weiterhin strahlenden Repräsentation und die Abdeckplane als zwischenzeitlicher Werbeträger.
Noch dazu schafft die Verhüllung mit dem silber-bläulichen Stoff eine ganz eigene Anziehungskraft. „Stoff ist wie eine zweite Haut. Selbst wenn ich den freien Blick auf die Dinge versperre, schaffe ich etwas Einladendes“, wird Christo in dem Bildband zitiert. „Die Verwendung von Stoff ist schließlich etwas anderes als die Errichtung einer Mauer, die von Natur aus abweisend ist und ausgrenzt. Stoff ist ein sinnliches Material, das uns anregt, herauszufinden, was darunter verborgen liegt.“
Den Blick schärfen
Was unter der Hülle verborgen liegt, werden Besucher und Besucherinnen womöglich danach wieder mit geschärftem Blick sehen. Der Triumphbogen, mit vollem Namen Arc de Triomphe de l’Etoile, wurde seit dem Bauauftrag durch Napoleon nach der Schlacht von Austerlitz im Jahr 1805 immer weiter überschrieben, immer weiter umgedeutet und als zentraler Gedächtnisort gefestigt.
Triumphbogen verhüllt
Christos und Jeanne Claudes lange geplantes Projekt, bei dem der Pariser
Von der Grundsteinlegung am 15. August 1806, Napoleons Geburtstag, bis zur Vollendung dauerte es 30 Jahre. Bei Napoleons Hochzeit mit Marie-Louise von Österreich errichtete man als Provisorium ein Holzgerüst, das mit bemalter Leinwand bespannt wurde, um dem Paar beim Einzug in Paris zu huldigen. Ein Detail, das bei Christos Verhüllung pointiert mitschwingt, aber für die Wirkung nicht bedeutsam ist.
Ausstellungshinweis
Cristos „L’Arc de Triomphe, Wrapped, Project for Paris“ ist von 18. September bis 3. Oktober zu sehen. Die Ausstellungsflächen des Arc de Triomphe sind in dieser Zeit bei Reservierung eines Zeitslots geöffnet.
Seit der Umgestaltung von Paris durch Georges-Eugene Baron Haussmann gehen zwölf Prachtstraßen vom Triumphbogen aus, natürlich auch die Champs-Elysees, die etwa die Regierungstruppen bei der Niederschlagung der Kommune 1871 hinunterschossen, während ihre Kanonen im Triumphbogen postiert waren.
Gedächtnisort bis in die Gegenwart
1885 wurde der Triumphbogen wieder verhüllt, statt mit einer Leinwand nun mit einem schwarzen Trauerflor, um das Begräbnis des Nationaldichters Victor Hugo mit zwei Millionen Zuschauern zu feiern. Seit 1920 liegt ein im Ersten Weltkrieg gefallener unbekannter Soldat unter dem Triumphbogen begraben. Regelmäßig finden dort Ehrungen und Kranzniederlegungen statt, wie anlässlich des 11. November, des Jahrestags des Waffenstillstands im Jahr 1918 zwischen Frankreich und Deutschland.
So wundert es nicht, dass der französische Präsident Emmanuel Macron den Triumphbogen am Donnerstag bei der Einweihung des Kunstwerks als zentralen französischen Ort hervorgehoben hat: „Es ist ein Ort, der sehr gelitten hat. Wir erinnern uns an die Verwüstungen 2018“, sagte Macron in Anspielung auf die Ausschreitungen bei den „Gelbwesten“-Protesten, bei denen Demonstranten in die obere Ausstellungsebene des Triumphbogens eindrangen und einige Gipsfiguren zerstörten. Wer per Onlinereservierung eines Zeitfensters bis 3. Oktober nun die Ausstellungsebene betritt, kann das Innere von Christos postumen Werk schillern sehen.