Schulkinder in der Klasse
Reuters/Leonhard Foeger
Quarantäne

Regeln in Schulen werden gelockert

Die Quarantäneregeln für Schüler und Schülerinnen werden gelockert. Das geht aus einer Punktation von Dienstagabend, die ORF.at vorliegt, hervor. Schüler und Schülerinnen sollen sich künftig schon nach fünf Tagen aus der Quarantäne freitesten können. Zudem sollen nur noch direkte Sitznachbarn sowie enge Kontaktpersonen statt der ganzen Klasse abgesondert werden.

So heißt es in den Aktualisierungen, die mittels Erlass für verbindlich erklärt werden, dass abweichend von den bisherigen Empfehlungen eine vorzeitige Beendigung der Absonderung bei Vorliegen einer negativen PCR-Untersuchung, welche frühestens am fünften Tag nach letztem infektiösen Kontakt durchgeführt wurde, möglich ist.

Die direkten Sitznachbarn bzw. Sitznachbarinnen sowie sonstige enge Kontakte eines bestätigten Falles seien als Kontaktperson der Kategorie I zu klassifizieren. „Die restlichen Personen aus dem Gruppen-/Klassenverband inkl. Betreuungspersonen sind grundsätzlich als Kontaktperson der Kategorie II zu klassifizieren“.

Die Regelungen sollen am Mittwoch erlassen werden und gelten unmittelbar. Sie sind eine Reaktion darauf, dass bereits kurz nach Beginn des Schuljahrs rund 400 Klassen in Quarantäne mussten. Unterstützung für die Vorgangsweise von ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann kam aus dem Familienministerium.

Gesundheitsbehörde trifft Entscheidungen

Bei unter Zehnjährigen gibt es schon jetzt die Möglichkeit, wegen des geringeren Risikos der Übertragung durch diese Altersgruppe im Falle von nur einem Infektionsfall alle Kinder als Kontaktpersonen mit niedrigem Infektionsrisiko (Kategorie II) einzustufen. Die Entscheidung darüber trifft die Gesundheitsbehörde. Diese Kinder können also weiterhin in die Schule gehen, sollen aber freiwillig ihre sozialen Kontakte außerhalb einschränken.

Sind zwei oder mehr Schüler bzw. Schülerinnen innerhalb von 14 Tagen bzw. ein Erwachsener in der Klasse infiziert, hat die Gesundheitsbehörde über die Absonderung von Teilen bzw. der gesamten Klasse zu entscheiden. Diese Regelung bleibt bestehen. Nach der Volksschule gilt nun für die Quarantäne die Vorgabe, dass grundsätzlich nur die direkten Sitznachbarn links und rechts sowie sonstige „enge Kontakte“ des infizierten Schülers in Quarantäne müssen.

Das können etwa Schüler und Schülerinnen sein, die sich im Musikunterricht oder bei einer Gruppenarbeit für längere Zeit im Umkreis des infizierten Schülers aufgehalten haben. Alle anderen werden nur dann nach Hause geschickt, wenn es im Einzelfall besondere örtliche Rahmenbedingungen gibt oder auch mehrere Infektionen in anderen Klassen verzeichnet wurden. Hier entscheidet die Gesundheitsbehörde. Geimpfte Schüler und Schülerinnen werden grundsätzlich als Kontakperson der Kategorie II eingestuft.

Gesundheitsministerium gegen Generalregel

Vor allem die Frage, ob nur Sitznachbarn oder die gesamte Klasse bei einem positiven Fall in Quarantäne geschickt werden sollen, hatte für heftige Debatten gesorgt. ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann wollte sich am deutschen Modell orientieren, damit Schüler nicht ständig in Quarantäne geschickt werden. Aber auch in Deutschland gibt es keine „einheitliche“ Regelung. So schickt etwa Nordrhein-Westfalen nur mehr die erkrankten Schüler in Quarantäne, andere Bundesländer beziehen auch das „direkte Umfeld“ mit ein.

„Die neue Regelung nach deutschem Vorbild wäre auch für Familien eine enorme Erleichterung, um wieder rascher Normalität zu erlangen“, hieß es dazu am Mittwoch aus dem Familienministerium. Man müsse alles tun, „damit Kinder wieder einen geregelten Schulalltag haben und Eltern entlastet werden“, so Familienministerin Susanne Raab (ÖVP), die in einer Aussendung die angekündigte Verkürzung der Quarantäne von zehn auf fünf Tage als „sinnvolle Maßnahme“ bezeichnete.

Aus dem Gesundheitsministerium hieß es, dass aufgrund unterschiedlicher Szenarien beim Unterricht eine Generalregel nicht möglich sei. Die Gesundheitsbehörden sollen weiterhin nach den jeweiligen Gegebenheiten entscheiden können. Das Gesundheitsministerium wollte auch geimpfte Schüler und die CT-Werte der PCR-Tests, die Auskunft über die Infektiosität geben, berücksichtigt wissen.

Strenge Auslegung in Wien

Diese Faktoren werden etwa laut Wiener Gesundheitsbehörde (MA 15) bei der Quarantäneentscheidung in Wiener Schulen berücksichtigt. Dennoch wurden die Empfehlungen des Gesundheitsministeriums hier besonders streng ausgelegt. So wurden etwa Klassen auch in der Volksschule bei nur einem CoV-Fall abgesondert.

Nicht alle Wissenschaftler können es nachvollziehen, dass eine gesamte Klasse als Kontaktperson in Quarantäne geschickt wird. In einem aktuellen Thesenpapier deutscher Experten rund um den ehemaligen Berater der deutschen Regierung in Gesundheitsfragen, Matthias Schrappe, hieß es, dass diese Maßnahme „jeglicher Evidenz“ widerspreche und „die Verantwortung für die zu ergreifenden Maßnahmen“ an die Gesundheitsämter delegiere.

Hingegen stoßen die Lockerungen in der Ärztekammer nicht auf Begeisterung. Präsident Thomas Szekeres meinte in der „Presse“: „Das verstehe ich überhaupt nicht. In geschlossenen Räumen können sich nicht nur Sitznachbarn anstecken, sondern alle.“ Ähnlich der Mikrobiologe Michael Wagner in den „Salzburger Nachrichten“: „So viel kann ich gar nicht lüften, dass ich nur den unmittelbaren Sitznachbarn anstecke.“ Wenn das Ziel sei, weniger Schüler in Quarantäne zu haben, dann sollte das auch so kommuniziert werden. Dann müsse man aber auch sagen, dass sich vermutlich wesentlich mehr Kinder infizieren würden, sagte der Wissenschaftler.

Hunderte Klassen in Quarantäne

Am Beginn der zweiten Schulwoche in den östlichen Bundesländern waren bereits Hunderte Klassen in Quarantäne. Aus den meisten Bundesländern, die erst am Montag mit der Schule begonnen haben, liegen noch keine Zahlen vor. In Niederösterreich waren 80 Klassen gesperrt, in Wien waren über 341 Klassen und 71 Kindergarten- und Hortgruppen (Stand Montagabend) in Quarantäne.

Nicht nur für Schüler, auch für zahlreiche Eltern und Arbeitgeber war der unerwartet abrupte Wechsel zum Homeschooling kurz nach den langen Sommerferien eine Herausforderung. Eine Sonderbetreuungszeit mit Rechtsanspruch gibt es erst wieder ab 1. Oktober.

„Sehr eindimensional betrachtet“

Wien handhabte die Quarantäneregeln schon jetzt strenger. Auch Volksschüler mit einem CoV-Fall in der Klasse wurden für 14 Tage in Quarantäne geschickt, mit Freitesten ab dem zehnten Tag. Diese Regelung überraschte viele. Public-Health-Experte Hans-Peter Hutter kann diese Entscheidung nachvollziehen, da Modellrechnungen zeigen, dass auch mehr Kinder aufgrund von Covid-19 auf Intensivstationen landen können.

Zugleich zeigen Studien aber auch, dass Kinder seltener schwer erkranken – mehr dazu science.ORF.at. Hutter kritisierte, dass die Entscheidungen oft „sehr eindimensional betrachtet“ würden: „Ich freue mich, wenn alle anderen Maßnahmen im Vorfeld mehr strapaziert werden würden als bisher.“ Als Beispiele nannte der Experte Luftreinigungsanlagen und das Tragen von Masken, um Maßnahmen wie Quarantänen entschärfen zu können.

1.000 von 4.000 von Schulen angeforderten Luftfiltern wurden laut Angaben des Bildungsministeriums gegenüber der „Wiener Zeitung“ bereits ausgeliefert. Für Schülervertreter geht das nicht weit genug. Dutzende Schulsprecher aus Wien forderten in einem offenen Brief an die Regierung, Schulkinder konsequent zu schützen. Eine der Forderungen: flächendeckende Anschaffung von Luftfiltern in Schulen. Das Bildungsministerium spricht sich zur Verringerung der Ansteckungsgefahr vor allem für das Stoßlüften in den Klassen aus.