Pflegerin und Klientin in Pflegeeinrichtung
ORF.at/Christian Öser
Personal und Geld fehlen

Pflege bleibt Dauerbaustelle

Pflegekräfte stärken, pflegende Angehörige entlasten: Rudi Anschober (Grüne) wollte vor seinem Abschied aus der Politik als Sozialminister im Frühling 2021 eine Reform des Pflegewesens in Österreich angehen. Schon die Jahre zuvor waren konkrete Reformmaßnahmen nur Lippenbekenntnisse.

Nun ist Anschobers Nachfolger Wolfgang Mückstein (Grüne) gefragt. Denn die Situation hat sich im Zuge der Pandemie drastisch verschärft. Es fehle an Personal und Geld, schlagen in diesen Tagen viele Hilfsorganisationen erneut Alarm und fordern die Politik – von Sozialminister über Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) bis zu den Ländern – zum Handeln auf, um den Personalengpass nicht noch mehr zu verschlimmern.

Der Personalmangel sei bereits spürbar, hieß es etwa am Mittwoch von der Volkshilfe. Neun von zehn befragten sehen aufgrund des Personalmangels eine professionelle Pflege und Betreuung erschwert. Das zeigt das jährliche Pflege-Sozialbarometer der Volkshilfe. „Die demografische Uhr tickt, es müssen jetzt Maßnahmen gesetzt werden“, fordert Volkshilfe-Direktor Erich Fenninger.

Bessere Arbeitsbedingungen gefordert

Fast 90 Prozent sehen die emotional und körperlich belastete Arbeit als schlecht bezahlt an. 1,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gibt Österreich für die Pflege aus – der Anteil in den Niederlanden ist etwa eineinhalbmal höher, zeigt ein Bericht des Sozialministeriums. Zwei Drittel der Befragten sehen die Regierung gefordert, und noch mehr hätten Verständnis für mehr Steuergeld zur Finanzierung der Pflege, zeigt das Pflege-Sozialbarometer.

Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein
APA/Hans Punz
Nun liegt es an Sozialminister Mückstein, eine Pflegereform voranzutreiben

„Es ist fünf Minuten nach zwölf“, warnte auch Caritas-Direktor der Diözese Gurk-Klagenfurt, Ernst Sandriesser, am Dienstag – mehr dazu in religion.ORF.at. Viele Beschäftigte in der Pflege hätten Höchstleistungen vollbracht: „Viele ziehen aber die Notbremse und hören auf.“ Gefordert werden etwa die Gleichstellung der Langzeit- mit der Akutpflege, ein besserer Personalschüssel und die Abschaffung der Deckelung in der mobilen Pflege, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern.

Neben höheren Gehältern zählen dazu aber auch verbindliche Dienstpläne, längere Freizeiten und mehr Zeit im Berufsalltag für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen, forderte kürzlich Caritas-Direktor Klaus Schwertner – mehr dazu in religion.ORF.at.

„Sitzen auf einem Dynamitfass“

„Wir sitzen auf einem Dynamitfass, das hochgehen wird, wenn sich nichts ändert“, beschreibt eine Pflegeassistentin ihren Berufsalltag. Es fehle der Nachwuchs. Prognosen zufolge werden bis 2030 100.000 Menschen mehr im Pflegebereich gebraucht. Allein bei den Pflegeeinrichtungen der Caritas könnten bereits jetzt Hunderte offene Stellen nicht besetzt werden. Das habe zur Folge, dass zahlreiche Klienten und Klientinnen abgewiesen werden müssen.

Hoher Bedarf an Pflegekräften

Die Pflege von Alten und Kranken ist ein Problem, das schon jahrzehntelang diskutiert wird. Und es wird zunehmend akut. Bis zu 100.000 zusätzliche Pflegekräfte würden in den kommenden zehn Jahren gebraucht, rechnet die Volkshilfe vor.

Also müssen mehr Menschen für den Pflegebereich ausgebildet werden. Auch hier orten Hilfsorganisationen Verbesserungsbedarf. Eine auch von der SPÖ gestellte Forderung ist die Bezahlung während der Ausbildung, wie das bereits bei Polizisten und Polizistinnen der Fall ist. Zudem müssten unterschiedliche Ausbildungswege möglich sein – für junge Menschen, berufsbegleitend und für Quereinsteiger, so die NGOs.

Stütze und zu Stützende: Pflegende Angehörige

Mehr Unterstützung brauche es aber auch für pflegende Angehörige. Fast 80 Prozent aller Pflegegeldbezieher werden zu Hause betreut – von Angehörigen und sozialen Diensten. ÖVP-Seniorenbund-Präsidentin Ingrid Korosec sprach kürzlich von einer „unsichtbaren Armee“ von 900.000 Angehörigen, fast zwei Drittel Frauen, die in der Regel unbezahlt Pflegedienste leisten. Selbst Mückstein sprach in einer Aussendung von betreuenden Angehörigen als „tragende Säule des Pflegevorsorgesystems“.

Für deren Unterstützung stellte er am Montag das Pilotprojekt Community Nursing als einen Baustein der Pflegereform vor. Community Nurses sollen als zentrale Ansprechpersonen niederschwellig Unterstützung anbieten, Betroffene – Pflegebedürftige wie Angehörige – mit Dienstleistern vernetzen und Leistungen koordinieren.

Entlohnung für pflegende Angehörige?

SPÖ-Pensionistenverband-Präsident Peter Kostelka plädierte dafür, das burgenländische Modell – pflegende Angehörige anzustellen und mit bis zu 1.700 Euro netto monatlich zu entlohnen, Grundausbildung in Heimhilfe inklusive – auf ganz Österreich auszuweiten. Das Hilfswerk hat hier Bedenken. Die Anstellung pflegender Angehöriger werde schlecht angenommen, da deren Alter im Schnitt 62 Jahre betrage. Eine mögliche Anstellung sei nur für ein Drittel theoretisch relevant. Viel mehr brauche es für die Pflegenden einen besseren und schnelleren Zugang zu Unterstützung.