Therme Bad Griesbach
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Coronavirus

Fluch und Chance für Bayerns Thermen

Pünktlich zu Beginn der heißen Phase des Bundestagswahlkampfs hat Bayern seine Covid-19-Maßnahmen trotz steigender Fallzahlen gelockert. Die Kur- und Thermenregion Niederbayern – mit auch für Oberösterreicher und Salzburger beliebten Zielen wie Bad Griesbach und Bad Füssing – hält trotzdem an strengen Hygienekonzepten fest. Vom Fluch könnte die Pandemie aber zur neuen Chance für die Region werden.

Die in der Grenzregion zu Österreich auftretenden Thermalwasserquellen wurden vor mehr als 70 Jahren bei Ölbohrungen entdeckt. Seither hat sich das bayrische Golf- und Thermenland, wie die Region bestehend aus sieben ostbayrischen Landkreisen bezeichnet wird, zu einem der wichtigsten Kur- und Tourismuszentren Niederbayerns entwickelt.

Mit knapp sechs Millionen Übernachtungen jährlich sind die Heilbäder auch ein wirtschaftlicher Motor für die sonst eher ländliche Gegend. Das heilsame Thermalwasser und die Grenznähe ziehen dabei auch viele österreichische Tagesgäste an. Ähnlich wie in Österreich erlebte die Region mit der Pandemie nun einen abrupten Stillstand, denn seit März 2020 blieben die Tourismusbetriebe insgesamt über neun Monate lang geschlossen.

Im Lockdown „leblose Stadt“

„In den beiden Lockdowns war Bad Griesbach eine leblose Stadt, da wir hier hauptsächlich vom Tourismus leben“, erklärt der Tourismusdirektor von Bad Griesbach, Dieter Weinzierl, gegenüber ORF.at. Damit entfielen auch wichtige Einnahmen für die Region, die trotz staatlicher Förderhilfen nur schwer kompensiert werden können.

Bayrisches Golf- und Thermenland

Seit 21. Mai 2021 haben Heilbäder und Sauna wieder unter strengen Hygienevorschriften geöffnet. Dampfbäder wie das beliebte Hamam in der Wohlfühltherme Bad Griesbach müssen wie in den vergangenen 18 Monaten auch weiterhin geschlossen bleiben. Während die Besucherzahlen im Juni noch eher verhalten waren, fällt die Bilanz für die Sommermonate Juli und August positiv aus.

Neben dem Heilbäderangebot profitieren auch die Hotellerie und die Gastronomie von den Öffnungen. „Im August gab es circa 90.000 Übernachtungen in Bad Griesbach, was ungefähr dem Niveau von 2018 entspricht“, so Weinzierl. Auch Angebote wie Camping und E-Bike-Verleih erleben in der Hügellandschaft Niederbayerns einen regelrechten Boom. Durch die jüngsten Lockerungen in Bayern werden nun auch Indoor-Veranstaltungen unter Einhaltung der „3-G“-Regelungen wieder möglich.

Frühstück im Bett statt am Buffet

Von den Thermenbetreibern wird neben einem „3-G“-Nachweis für alle Gäste auch ein Hygienekonzept verlangt. Das Johannesbad in Bad Füssing etwa ließ dabei während der ersten Öffnungsphase das Frühstück direkt in die Hotelzimmer servieren. Mit der Wiederaufnahme des Speisesaalbetriebs wurden alle Gäste gebeten, Masken und Einmalhandschuhe zu tragen, um mögliche Covid-19-Infektionen am Buffet zu vermeiden.

Hinweisschild im Frühstücksbereich
ORF.at/Lena Sinzinger
Am Buffet des Johannesbads in Bad Füssing herrschen trotz Lockerungen noch strenge Hygienemaßnahmen

Überprüft wurden die Regeln anfänglich durch einen „Hygieneschiedsrichter“. Ein Mitarbeiter im Schiedsrichterdress wies die Gäste mit Trillerpfeife auf die geltenden Vorschriften hin und vergab dabei auch die eine oder andere Gelbe und Rote Karte. Bei den – überwiegend älteren – Gästen war der Schiedsrichter ein voller Erfolg.

Von den Lockerungen profitiert auch der berühmte Erlebnispark Haslinger Hof, der als Geheimtipp für vor allem jung gebliebene Singels dies- und jenseits der Grenze gilt, mit seinen zahlreichen Tanzflächen. Ein Partnerwechsel während der Tanzschulabende ist zwar nach wie vor nicht erlaubt, allerdings ist es „völlig egal“, in welchem Verhältnis das „feste Paar“ zueinander steht, wie es auf der Website des Erlebnisparks heißt.

Pandemie als Chance für Veränderung

Längst hat die Region erkannt, dass die Pandemie mittel- und langfristig auch Chancen bietet: Neben kürzeren und spontaneren Aufenthalten ist auffällig, dass der Altersdurchschnitt der Thermengäste seit der Wiedereröffnung um etwa sieben bis acht Jahre gesunken ist. Ebenso kommen vermehrt Familien mit Kindern in die Region, für die das Angebot ausgebaut werden müsse, meint der Geschäftsführer des Johannesbad in Bad Füssing, Ralf Müller, im Gespräch mit ORF.at.

Auch im Kurbereich erwartet man sich regen Andrang. „Die Menschen sind froh und dankbar, unser Heilwasser endlich wieder nutzen zu können. Während der Lockdowns bekamen wir viele Zuschriften von Rheuma- und Arthrose-Patienten und -Patientinnen, die auf die heilende Wirkung unseres Wassers angewiesen sind. Diese haben jetzt großen Aufholbedarf“, so Müller.

Neue Kursparte „Long Covid“

In Zukunft wird besonders die Behandlung von „Long Covid“ für die Kurstandorte ein wichtiges Thema werden. Dafür wird aktuell an neuen Therapiemöglichkeiten speziell für Lungenerkrankungen gearbeitet. So will etwa das Johannesbad in Bad Füssing künftig als eines der ersten Therapiezentren Deutschlands in der hauseigenen Imkerei eine Bienenstocklufttherapie anbieten.

Ralf Müller
ORF.at/Lena Sinzinger
Ralf Müller, Geschäftsführer des Johannesbads in Bad Füssing, erklärt im Gespräch mit ORF.at neue Ideen für den Kurbereich

Der Wettbewerbsdruck zwischen den Kurbetrieben nimmt in Bezug auf „Long Covid“ bereits jetzt spürbar zu. Der Werkleiter der Wohlfühltherme in Bad Griesbach, Franz Altmannsperger, erhofft sich deshalb, dass auch hier die im Zuge der Pandemie gegründete niederbayrische Thermengemeinschaft verstärkt zusammenarbeitet.

Sorgenkind: Personalmangel

Derzeit ringt die Region besonders mit einer negativen Folge der Pandemie: fehlendem Personal. Seit März 2020 haben allein in Bad Füssing rund 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Tourismusbranche verlassen. Als Grund dafür nennt Altmannsperger gegenüber ORF.at vor allem die lange Kurzarbeitsphase.

Die deutsche Kurzarbeitsregelung rechnet keine Trinkgelder oder steuerfreie Zuschläge ein, wodurch die Mitarbeiter einen Teil ihres effektiven Einkommens verloren haben. Aus Angst vor erneuter Kurzarbeit werde ein großer Teil der früheren Mitarbeiter nicht mehr in die Tourismusbrache zurückkehren. Für die Wiedereröffnung wird daher auch vermehrt Personal aus dem Ausland eingestellt.

Für alle neuen und verbliebenen Mitarbeiter werden nun interne Schulungen angeboten. Ab Oktober startet in Bad Füssing die „Wissensakademie Thermenwelt“, in der den Anforderungen der Thermen- und Kurbetriebe entsprechend Aus- und Weiterbildungen stattfinden sollen. Von einem erneuten Lockdown geht man in Niederbayern nicht aus. „Ich weiß nicht, ob unsere Unternehmen einen weiteren Lockdown wirtschaftlich überhaupt überleben würden“, so Weinzierl.