Boris Johnson
AP/Alberto Pezzali
Großer Kabinettsumbau

Johnson nimmt Raab Außenamt weg

Der britische Premierminister Boris Johnson tauscht das Personal seiner Regierung aus: Neben mehreren anderen Ministern traf es auch den bisherigen Außenminister Dominic Raab. Er stand wegen der Evakuierungsaktion aus Kabul in der Kritik. Spekulationen über die Umbildung des Kabinetts hatten seit Wochen die Runde gemacht.

Raab wechselt vom Außenministerium in das Justizministerium, wie der Regierungssitz Downing Street am Mittwoch auf dem Kurznachrichtendienst Twitter mitteilte. Zugleich werde Raab zum Stellvertreter Johnsons und zum Lord Chancellor berufen. Raab wurde heftig kritisiert, dass er während des überhasteten Abzugs der Alliierten aus Afghanistan im Urlaub auf Kreta war und erst spät nach Großbritannien zurückkehrte.

Das dürfte ihn nun den Job gekostet haben. Die Versetzung in das weniger prestigeträchtige Justizministerium gilt als Degradierung. Raabs Nachfolge soll die bisherige Handelsministerin Liz Truss antreten. Die 46-Jährige gilt als Liebling der konservativen Basis und machte sich einen Namen mit dem erfolgreichen Abschluss mehrerer internationaler Handelsabkommen nach dem Brexit.

Dominic Raab
APA/AFP/Daniel Leal-Olivas
Raab wird vorgeworfen, während der Machtübernahme der Taliban nicht sofort seinen Urlaub abgebrochen zu haben

Auch Bildungsminister verliert Posten

Ihre Posten räumen mussten zudem Bildungsminister Gavin Williamson, Justizminister Robert Buckland und Wohnungsbauminister Robert Jenrick. Williamson wird vorgeworfen, die Coronavirus-Gefahr in Schulen unzureichend bekämpft zu haben. Für ihn rückt Nadhim Zahawi ins Kabinett, der bisher als Staatssekretär für die Coronavirus-Impfkampagne verantwortlich war.

Raab und Williamson waren bei der wöchentlichen Sitzung im Parlament nicht mehr wie sonst üblich in der ersten Reihe gesessen. Finanzminister Rishi Sunak saß dagegen neben Johnson während dessen traditioneller Frage-und-Antwort-Runde. Er bleibt ebenso im Amt wie Innenministerin Priti Patel, Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng, Verkehrsminister Grant Shapps und Brexit-Beauftragter David Frost. Auch Verteidigungsminister Ben Wallace darf seinen Posten behalten, er hatte sich in der Afghanistan-Krise bewährt.

Nachfolger Jenricks wird der langjährige Johnson-Verbündete Michael Gove, der sich vor allem um die vom Regierungschef versprochene Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen dem wohlhabenden Süden Englands und dem wirtschaftlich abgehängten Norden kümmern soll. Als gebürtiger Schotte ist er auch für das Thema Einheit des Königreichs zuständig.

„Erholung von der Pandemie“

Die Änderungen zielten auf die Bildung eines „starken und geeinten Teams ab, um besser aus der Pandemie herauszukommen“, hatte es vor der offiziellen Mitteilung aus der Downing Street geheißen. Aus Johnsons Umfeld war zu hören, er wolle nun Minister ernennen, die einen Fokus auf die Zusammenführung der Gesellschaft und eine Verbesserung des ganzen Landes legten.

Ein regelmäßiger Umbau des Kabinetts ist in Großbritannien üblich und gilt als Instrument für den Premierminister, um seine Autorität zu festigen. Johnson hätte das – anders als seine Vorgängerin Theresa May, die eine Minderheitsregierung anführte – eigentlich nicht nötig. Seine konservative Tory-Partei verfügt über eine satte Mehrheit im Unterhaus. Allerdings wird vermutet, dass Johnson weiteren Spekulationen einen Riegel vorschieben wollte, damit die Debatte nicht den bevorstehenden Parteitag seiner Konservativen überschattet.

Torys im Umfragetief

Nach einer kürzlich veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov wurden die Torys (33 Prozent) erstmals seit Anfang des Jahres bei den Zustimmungswerten von der oppositionellen Labor-Partei (35 Prozent) überholt. Einer der Gründe dafür dürfte die von der Regierung angekündigte Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge sein, um das durch die Coronavirus-Pandemie gebeutelte öffentliche Gesundheitssystem NHS zu stützen und den Bereich der Langzeitpflege zu reformieren.

Damit ist das Abgabeniveau in Großbritannien so hoch wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr – obwohl die Konservativen im Wahlkampf 2019 versprochen hatten, die Steuern nicht zu erhöhen. Was die Wirtschaft betrifft, so zieht das Wachstum zwar an, aber Großbritannien hat mit den Folgen des Brexits zu kämpfen, was die mit der Pandemie verbundenen Schwierigkeiten noch verschärft. In mehreren Sektoren gibt es einen Arbeitskräftemangel, unter anderem bei Lkw-Fahrern, was zu Versorgungsengpässen führt. Die Inflation stieg im August auf den höchsten Stand seit 2012.